Jobmarkt

New Work auf dem Prüfstand: Strengere Regeln für mobile Arbeit

Otto, SAP, Deutsche Bank: Immer mehr Unternehmen rufen ab 2025 ihre Mitarbeitenden zurück ins Büro und schränken die Richtlinien für Homeoffice oder mobile Arbeit ein. Es ist eine Konterrevolution in der Arbeitswelt. Nach dem Hype der vergangenen Jahre stellt sich jetzt die Frage: Ist das Experiment New Work gescheitert?

Illustration Mann in Hängematte mit Laptop. Davor Absperrband mit der Aufschrift "Do not Disturb".

05.12.2024

Die Zeit der verwaisten Büroräume könnte 2025 endgültig Geschichte sein. Tech-Giganten wie Google oder Zoom – nicht nur in der Coronapandemie internationale Vorreiter für New Work und mobiles Arbeiten – korrigierten schon 2023 ihren New-Work-Kurs. Mit einem großen medialen Echo riefen sie strengere Richtlinien für Homeoffice und mobile Arbeit aus. Mittlerweile ziehen immer mehr deutsche Unternehmen nach. Ihre Mitarbeitenden sollen mit verschärften Regeln zurück ins Büro delegiert werden. Online-Händler Otto, SAP und die Deutsche Bank verkündeten kürzlich ebenfalls, dass Mitarbeitende wieder mehr Zeit im Büro statt in den heimischen vier Wänden verbingen sollen. Insbesondere das Modell des Homeoffice steht massiv in der Kritik. So bemängeln Chefinnen und Chefs sowie Führungskräfte hierzulande immer häufiger den zunehmenden Verlust an Produktivität. Dabei verweisen sie auf deutlich erkennbare Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit in den Teams. Gerade in wirtschaftlich angespannten Zeiten ist das für große, mittlere und kleine Unternehmen ein echtes Problem.

Andererseits schätzen viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Flexibilität und Autonomie mobiler Arbeitsformen. Sie wollen ihre lieb gewonnene Freiheit nicht einfach so wieder herschenken. Obwohl die klare Trennung zwischen Arbeits- und Lebensraum in den eigenen vier Wänden oftmals gar nicht gegeben ist. Denn: Eine ständige Erreichbarkeit, fehlende Infra­struktur und die Schwierigkeit, sich zu Hause ausreichend vom Job abzugrenzen, können schnell zu Stress und Burn-out führen.

Umfang von Homeoffice ist unverändert

Ist Homeoffice also ein Auslaufmodell? Jean-Victor Alipour, Forscher beim Münchner ifo Institut, widerspricht. „Der Umfang von Homeoffice ist gegenüber dem Vorjahr unverändert“, sagt Alipour. Er stützt sich auf eine ifo-Konjunkturumfrage unter rund 9.000 Unternehmen aus dem Sommer 2024. Demnach würden die Beschäftigten in Deutschland durchschnittlich 17 Prozent ihrer Arbeitszeit zu Hause verbringen. Der Anteil der Beschäftigten im Homeoffice lag im September bei 23,4 Prozent und damit nur knapp unter dem Wert vom Februar desselben Jahres (24,1 Prozent). Besonders intensiv werde laut Studie in der IT-Branche (58 Prozent der Arbeitszeit) und in den Unternehmensberatungen (50 Prozent) von zu Hause gearbeitet. Dagegen würden Beschäftigte auf dem Bau und in der Gastronomie nur zwei Prozent ihrer Arbeitszeit im Homeoffice verbringen. In der Industrie sind es laut ifo-Erhebung zehn Prozent der Arbeitsstunden.

„Strengere Regeln müssen nicht unbedingt weniger Homeoffice bedeuten“, erklärt Alipour. „Denn bei den Angeboten der Arbeitgeberseite kommt es vor allem auf die Koordination von Präsenzzeiten an, um den persönlichen Kontakt zu stärken.“ Eine Kombination aus Büroarbeit und Homeoffice – wie sie bereits in vielen Unternehmen gelebte Realität ist – erscheint deshalb als sinnvollste Lösung.

Keine Leistungssteigerung

Die Annahme, dass Unternehmen erfolgreicher wirtschaften, wenn die Beschäftigten im Büro präsent sind, widerlegte bereits im Dezember 2023 das Forscher-Duo Yuye Ding und Mark (Shuai) Ma. Sie führten an der Katz Graduate School of Business der University of Pittsburgh eine Studie zum Thema Homeoffice durch. Darin analysierten die beiden die Wiedereinführung der Büropflicht in 137 Unternehmen des US-Aktienindex S&P 500 und kamen zu der Erkenntnis, dass eine Anwesenheitspflicht im Büro keine nennenswerte Leistungssteigerung aufseiten der Mitarbeitenden mit sich bringe. Vielmehr würde es den Führungskräften darum gehen, die Kontrolle über ihre Beschäftigten zurückzugewinnen. Was wiederum die Beschäftigten kritisch sehen würden.

„Dass Homeoffice nicht das Nonplusultra ist, steht außer Frage“, so Kira Marie Cremer, Expertin für New Work, Speakerin, Unternehmerin und Podcasterin, auf dem BIG BANG KI Festival im September 2024 in Berlin. Sie spricht sich dennoch strikt dagegen aus, dass Unternehmen ihre Mitarbeitenden wieder zurück ins Büro delegieren. „Weil der Sinn von New Work ein Plus an Individualität und Flexibilität ist. Und das fördert man mit solch einem Schritt auf keinen Fall.“

Andere Führungsqualitäten gefragt

Bastian Bärenfänger, Gründer des Expertennetzwerks Siomo für Kultur- und Organisationsentwicklung, ist als Agile Coach ebenfalls ein Verfechter von flexiblen und kollaborativen Arbeitsformen. Er wies auf dem BIG BANG KI Festival in einem Panel zum Thema New Work insbesondere auf die mittlerweile veränderten Arbeitsbedingungen hin. „Heute reden wir darüber, dass wir crossfunktional und interdisziplinär unterwegs sind, dass gerade Künstliche Intelligenz eben auch das Thema Wissensarbeit komplett verändert.“ Entsprechend brauche es andere Arbeits- und Führungsformen. „Von Führungskräften ist heute einfach nicht mehr Command and Control gefordert“, so Bärenfänger.

An virtueller Führung kommen Entscheiderinnen und Entscheider auch zukünftig nicht vorbei. Gleichzeitig braucht es klare hierarchische Strukturen, die dabei helfen können, New Work und Homeoffice mit höherer Produktivität zusammenzubringen. Das sieht zumindest Stefan Scheller so (siehe Interview Seite 9). Der Gründer der HR-Website Persoblogger.de sagt: „Für mich ist Hierarchie nicht per se schlecht. Sie wird dann schlecht, wenn die Produktivität darunter leidet.“ Und ergänzt: „Hierarchie kann sehr viel Halt und Stabilität geben. Die tatsächliche Führung muss deswegen noch lange nicht hierarchisch oder gar autoritär sein.“ Es kommt also immer auf das Wie an.

Hybride Arbeit steigert Produktivität

Trotz der aktuellen Kritik an New Work und Homeoffice im Speziellen scheint es derzeit unwahrscheinlich, dass Unternehmen komplett zu den Arbeitsmodellen aus der Vor-Corona-Zeit zurückkehren werden. Schließlich hat die Pandemie einen tiefgreifenden Wandel in der Arbeitswelt ausgelöst, der sich nicht mehr vollständig zurückdrehen lässt. Vielmehr wird es darum gehen, die Vorzüge von New Work zu erhalten und gleichzeitig die bestehenden Probleme zu lösen. Stichwort hybrides Arbeiten: Dass das am Ende die Produktivität steigern kann und deshalb die Lösung für viele Unternehmen ist, zeigt die Langzeitstudie „social health@work“ der Barmer Krankenkasse und der Universität St. Gallen. Demnach ist seit Mitte des Jahres 2022 der Anteil der Befragten, die sich als produktiv einschätzen, von 57 auf 60 Prozent gestiegen. „Hybrides Arbeiten hat Vor- und Nachteile. Es steigert die Flexibilität, lässt aber auch Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen und kann zu Stress und Erschöpfung führen. Deshalb muss mit den neuen Formen des Arbeitens sachgerecht umgegangen werden, damit Beschäftigte langfristig gesund und leistungsfähig bleiben“, sagt Professor Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer.

Die Suche nach dem Gleichgewicht

Flexibilität und Selbstbestimmung sind das Versprechen von New Work. Doch es gibt arbeitsrechtliche Grenzen. Sabine Hockling kennt sie.

Sabine Hockling

Sabine Hockling

ist Journalistin, Buchautorin und gilt als Expertin für moderne Arbeitswelten. Als Kolumnistin und Beraterin analysiert sie die Veränderungen durch die digitale Transformation und den Trend zu hybriden Arbeitsmodellen

Chancen ortsunabhängiger Arbeitsformen

  1. Unternehmen, die Homeoffice, Co-Working-Spaces, Open-Space-Offices und Workation anbieten, gelten als attraktive Arbeitgeber und ziehen qualifizierte Fachkräfte an. In Zeiten des Fachkräftemangels ist das ein starkes Argument für (potenzielle) Mitarbeitende. Zudem verringern ortsunabhängige Arbeitsformen die Fluktuation und binden wichtige Ressourcen.
  2. Ortsunabhängiges Arbeiten steigert Zufriedenheit, Motivation, Kreativität und Wohlbefinden der Beschäftigten. Das reduziert Ausfallzeiten und erhöht die Produktivität. Wer Kinder oder Angehörige betreut, schätzt die Flexibilität, Arbeitszeiten um die Betreuung herum zu planen und von zu Hause oder dem nahe gelegenen Coworking-Space aus zu arbeiten. Der Wegfall des Arbeitswegs spart Zeit, die Ruhe im Homeoffice fördert die Konzentration. Neue Umgebungen bieten Abwechslung, stärken Eigenverantwortung sowie Selbstbestimmung und fördern so Kreativität und neue Impulse.
  3. Unternehmen, die ortsunabhängiges Arbeiten ermöglichen, benötigen weniger Büroflächen. Das senkt Kosten und erhöht die betriebliche Flexibilität.

Grenzen ortsunabhängiger Arbeitsformen

  1. Wollen Arbeitgeber ortsunabhängige Arbeitsformen ermöglichen, müssen sie sich mit dem Arbeitszeitgesetz, der Arbeitsplatzausstattung, dem Gehaltsrisiko, den Rückkehrregelungen, den Gesundheitsrisiken, den Haftungen und der Gefährdungsbeurteilung befassen und die Bedingungen schriftlich festhalten. Dies sollte in einer Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder einem gesonderten Telearbeitsvertrag geschehen.
  2. Datenschutz und Datensicherheit fordern Unternehmen besonders heraus, vor allem außerhalb des Unternehmens und im Ausland. Daher sollten Unternehmen eine verpflichtende Sicherheitsrichtlinie erstellen, die alle wichtigen Aspekte für Beschäftigte festlegt.
  3. Möchten Beschäftigte von einem anderen Land aus arbeiten, müssen Unternehmen das Arbeitsrecht, die Einreisebestimmungen, das Sozialversicherungsrecht und die Besteuerung des jeweiligen Landes beachten. So vermeiden sie Rechtsunsicherheiten und mögliche Strafen, da unterschiedliche nationale Regelungen Konflikte verursachen können.