In Zeiten steigender Energie- und Rohstoffpreise und steigender Inflation: Ist es eigentlich in jedem Fall unerlässlich, höhere Kosten früher oder später an Kunden weiterzugeben? Welche anderen Möglichkeiten gibt es, um gestiegene Kosten vielleicht erst einmal auszugleichen?
Sebastian Voigt: Ob es am Ende unerlässlich ist, die Preise anzupassen, muss jedes Unternehmen für sich entscheiden. Aber zumindest ist es unerlässlich, sich mit der Frage danach aktuell auseinanderzusetzen. Wenn ich normalerweise in einem Umfeld mit niedrigen zweistelligen Gewinnmargen operiere, dann können die aktuellen Kostensteigerungen diese ganz schnell komplett auffressen und mein komplettes Geschäft unprofitabel machen. Im März 2022 sind die Preise im Schnitt um gut sieben Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen, aber gerade produktionsintensive Branchen und Unternehmen sahen noch deutlich höhere Kostenanstiege. Der Ölpreis zum Beispiel hat sich binnen zwölf Monaten etwa verdoppelt, Containerfrachtraten ebenso, Metalle wie Nickel oder Aluminium haben sich im Preis vervielfacht, Lithium ist profitabel nicht mehr zu beschaffen. Wer mit solch einschneidenden Kostensteigerungen arbeiten muss, für den sind Preisanpassungen in der Tat aktuell unerlässlich.
Womit geht man eigentlich ein größeres unternehmerisches Risiko ein: die Preise zu erhöhen und damit eventuell Kunden zu verärgern oder aber Preise trotz steigender eigener Ausgaben nicht anzupassen?
Voigt: Meiner Erfahrung nach wird das Risiko von fundierten Preiserhöhungen überschätzt. In den meisten Fällen überwiegt die Chance, dadurch die eigene Rentabilität zu steigern oder diese – wie in der aktuellen Lage – zumindest zu halten. Selten war die Notwendigkeit, die Verkaufspreise den gestiegenen Kosten nachzuziehen, so offensichtlich wie heute. Wir haben bei hy kürzlich eine Umfrage entlang verschiedenster Industrien durchgeführt. Etwa zwei Drittel aller Teilnehmer berichteten, in diesem Jahr bereits erfolgreich höhere Preise umgesetzt zu haben. Wer darauf wartet, seine Preisstrategie erst dann anzupassen, wenn sich die Lage wieder etwas beruhigt hat, der wird vermutlich deutlich mehr Gegenwehr bei seinen Kunden spüren.
Wie kommuniziert man Kunden eine Preisänderung so, dass sie möglichst großes Verständnis dafür haben?
Voigt: Transparenz und Ehrlichkeit sind in der Preiskommunikation wichtig. Jedoch ist es oft nicht notwendig, jeden einzelnen gestiegenen Kostenpunkt offenzulegen. Es empfiehlt sich jedoch, klar zu kommunizieren, dass eine Preissteigerung kein optionaler Vorschlag, sondern eine Notwendigkeit ist, um so Verhandlungen und Einwände zu vermeiden. Kunden haben ja oft dasselbe Interesse wie der Lieferant: Sie wollen, dass sich die Geschäftsbeziehung in dem bekannten Maße fortsetzt. Niemand will, dass die Produktion ausfällt oder Lieferengpässe entstehen.
Unternehmen sollten aktuell auch laufende Verträge preislich untersuchen und unter Umständen anpassen. Akzeptiert ein Kunde hier eine nötige Preisanpassung nicht, muss jedes Unternehmen sich auch fragen, ob der Vertrag profitabel bedient werden kann oder nicht gegebenfalls abgekündigt werden sollte, um sich stattdessen auf andere Verträge und Kunden zu konzentrieren. Dieses Vorgehen ist aktuell häufiger, als man denkt.
Dennoch sollten Preisverhandlungen keinen „Friss oder stirb“-Charakter haben. Hier bieten sich zahlreiche Optionen für die Verhandlung. So setzen manche Unternehmen auf temporäre Zuschläge wie Dieselfloater, koppeln ihre Preise an einen Index, nutzen Preisgleitklauseln, reduzieren die Dauer der Preisstabilität oder bieten Preisstabilität nur noch gegen eine Prämie. Das Spektrum an Verhandlungs- und Kommunikationsoptionen ist hier ziemlich groß.
Bis zu welchem Grad werden Preissteigerungen von Kunden akzeptiert?
Voigt: Dies hängt natürlich stark von der Branche, der Kundenbeziehung und der Marktmacht von Anbieter und Kunde ab. Wichtig ist zu wissen, dass der Fakt, dass eine Preiserhöhung erfolgt, bereits zu Diskussionen führen wird. Die Höhe der Preiserhöhung ist hier oftmals nachrangig. Oder technisch gesprochen: Die Preiselastizität ist beim ersten Cent der Preisanpassung am höchsten und nimmt danach ab. In der aktuellen Lage würde ich mich bezüglich der Höhe im ersten Schritt vor allem an den gestiegenen Kosten orientieren, da davon auszugehen ist, dass auch die Wettbewerber mit Problemen gleichen Ausmaßes zu kämpfen haben. Im zweiten Schritt gilt es, individuell die Beziehung zu meinen Kunden zu bewerten, um herauszufinden, wie weit man gehen kann beziehungsweise will.
Gibt es eigentlich Unterschiede bei Pricing-Strategie zwischen dem B2C-, B2B- und D2C-Bereich?
Voigt: Ja, die gibt es – und die Unterschiede sind fundamental. Jedoch ist die Lage aktuell in allen Bereichen ähnlich. Lieferengpässe, Inflation, steigende Lohn- oder Energiekosten gibt es sowohl im Anlagenbau als auch bei Kosmetikfirmen. Die verschiedenen Branchen haben oft ihre eigenen Berechnungsmechanismen, die aktualisiert werden müssen. Wenn eine Direct-to-Consumer-Company mit dem üblichen „CoGS x 10“-Prinzip operiert, muss der Verkaufspreis genauso angepasst werden wie im B2B-Geschäft.
Eines aber ist für alle Bereiche gleich: Das Pricing sollte nicht rein kostengetrieben über alle Kunden gleich erfolgen, sondern an den Zahlungsbereitschaften der Kunden beziehungsweise Kundensegmenten orientiert sein. Denn am Ende interessiert sich der Kunde für den Preis, den sie oder er zahlt und nicht für dessen Kostenbasis.