Kolumne

Nachhaltigkeitsdialektik

Zielkonflikte mutig angehen

Auf allen Ebenen nachhaltig zu agieren, ist längst eine schiere Notwendigkeit. Doch die Vorstellungen davon, welches Handeln nachhaltig ist, könnten teils unterschiedlicher nicht sein. Zielkonflikte sind an der Tagesordnung. Doch mit Mut und Offenheit lassen sich diese zum Vorteil aller nutzen, wie Jan Köpper von der GLS Bank beschreibt.

29.06.2022

In unserer komplexen, globalisierten und eng verzahnten Welt entsteht zunehmend das Narrativ der Nachhaltigkeit. Neue Start-ups, ökologischere Produkte, bessere Mobilität, eine andere Energieversorgung, gemeinwohlorientierte Städte: Neue Denkmuster und Innovationen ebnen den Weg zur sozial-ökologischen Transformation.

Doch ganz so einfach ist es nicht beziehungsweise so leicht dürfen wir es uns nicht machen. Denn der Wandel trägt zahlreiche Zielkonflikte in sich und genau diese gilt es proaktiv in den Blick zu nehmen. Jedenfalls dann, wenn wir eine Breitenwirksamkeit erreichen und wirklich tragfähige Lösungen entwickeln wollen.

Schwerpunkte von Kolumnist Jan Köpper

Bashing ist zu einfach

Unlängst kritisierte ein Artikel der „ZEIT“ die Deutsche Umwelthilfe dafür, dass diese bei der niedersächsischen Landesregierung Widerspruch gegen den für die Unabhängigkeit von russischem Gas wichtigen Bau des schwimmenden LNG-Terminals einzulegen gedenke, da schwere Beeinträchtigungen für Schweinswale durch Schallemissionen zu befürchten seien.

Derselbe Artikel kritisierte auch den NABU, der sich gegen ein für die Mobilitätswende gebrauchtes ICE-Werk der Deutschen Bahn stellt – aus Sorge, dass die letzten Rückzugsgebiete des Gefleckten Knabenkrauts, einer Orchideenart, dadurch bedroht würden.

Den gesamten Artikel durchzieht die etwas despektierliche These, dass in Deutschland Projekte von größter Dringlichkeit und höchstem gesellschaftlichen Nutzen aufgrund belangloser Randproblematiken verzögert würden. Indem der Text recht einseitig argumentiert und sich nicht an einer konstruktiven Auseinandersetzung versucht, wird eine große Chance vertan, ein Thema zu behandeln, das uns schon länger begleitet, aber selten offen adressiert wird: die Zielkonflikte.

Die Zielkonflikte der Transformation

Die gesellschaftlichen Ziele der sozial-ökologischen Transformation sind in Anbetracht der sich vor unseren Augen darbietenden Dramaturgien und Verwerfungen von unschätzbarer Dringlichkeit. Doch welche Ziele dies genau sind und wie sie zu erreichen sind, haben wir gerade erst zu verhandeln begonnen. Wie schaffen wir die Balance zwischen sozialem Ausgleich, ökologischer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Tragfähigkeit?

Illustration von Jan Köpper
Jan Köpper leitet die Stabsstelle Wirkungstransparenz & Nachhaltigkeit in der GLS Bank eG gemeinsam mit seiner Kollegin Dr. Laura Mervelskemper. In dieser Funktion verantwortet er die Konzeption und Umsetzung der gesellschaftlichen Wirkungsmessung, der Übersetzung von Nachhaltigkeitsrisiken sowie die Integration von Nachhaltigkeit und Wirkung in die Kunden- und Steuerungsprozesse der Bank

Auf dem Weg zu diesen Zielen werden wir wohl häufig in matschigem Grau landen. Wenn wir beispielsweise unsere Energie vollständig aus regenerativen Quellen beziehen möchten, werden dafür Rohstoffe insbesondere aus dem globalen Süden benötigt, deren Abbau zurzeit in den meisten Fällen unter Arbeitsbedingungen stattfindet, die nicht mit unserem Begriff von Würde vereinbar sind. Darüber hinaus kommt es dabei zu massiven Eingriffen in die Natur; etliche Ökosysteme werden dauerhaft geschädigt.

Der Ausbau der Erneuerbaren bedeutet zudem eine weitere Verschärfung der bereits bestehenden Flächenkonkurrenz zwischen unterschiedlichen Nutzungsinteressen wie etwa Verkehr, Wohnen und Landwirtschaft.

Häufiger Verlierer dabei ist der Schutz der Natur. Wie lässt sich der Weg hin zu einer ökologischen Landwirtschaft mit dem Ziel der Bundesregierung in Einklang bringen, weitere zwei Prozent der Landesfläche für Windenergie bereitzustellen und weitere Photovoltaik-Freiflächenanlagen zu installieren? Wie schaffen wir bezahlbaren Wohnraum für eine wachsende Bevölkerung ohne weitere Flächen zu versiegeln? Wie erreichen wir eine nachhaltige Versorgung mit Holz in Einklang mit dem Aufbau von naturnahen Mischwäldern und Rückzugsräumen?

Zielkonflikte ermöglichen innovatives Denken

Die Abwägung von Zielen und Zielkonflikten eröffnet den Raum für Innovationen, die einen tatsächlichen Ausgleich von Interessen schaffen beziehungsweise uns einem Ausgleich deutlich näher bringen können. Nur wer aktiv zuhört und hineinspürt, kann alle Zielkonflikte ausreichend würdigen, sie bestmöglich in die Lösungsfindung einbinden und dadurch verschiedenen Gruppen von Betroffenen nutzen.

Stimmen oder Bewertungen wie in dem erwähnten „ZEIT“-Artikel verengen den Blickwinkel auf vermeintlich unwesentliche Einzelfälle. Doch wir haben auf der Erde bereits zu viel gewütet, um uns derart zu Belangen von Umweltschützerinnen und Umweltschützern zu äußern.

Umdenken statt in alten Denkmustern zu verharren

Dort, wo nun alle den vermeintlichen Pfad der Tugend im Rahmen der Nachhaltigkeit zu finden behaupten, brauchen wir

  • eine ehrliche Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Konfliktlinien,
  • eine offene Begegnung und Diskussion zu Zielkonflikten und
  • damit auch den Beginn einer neuen Diskursmentalität hin zu mehr Dialektik.

Solange wir aber in althergebrachten Denkmustern des Wachstums und des wirtschaftlichen Primats verharren, verlieren wir mitunter den Blick für das Wesentliche der Zielkonflikte.

Innovationen erreichen dann nicht das notwendige Potenzial der Balance zwischen sozialem Ausgleich, ökologischer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Tragfähigkeit. Dies gilt auch für die Zielsteuerung und Berichterstattung in Unternehmen und Organisationen. Nur wer Ziele ehrlich setzt, hinterfragt und verbessert kann die tatsächlichen Hürden ihrer Umsetzung verstehen und sie schrittweise überwinden. Genau diese Übung proaktiv anzugehen, kann eine neue Ehrlichkeit im Narrativ der Nachhaltigkeit ermöglichen.

Und ja: Selbstverständlich werden wir Güterabwägungen treffen müssen und dabei nicht allen gerecht werden können. Wir müssen scheitern dürfen und daraus lernen. Wir brauchen Mut, auch das Unperfekte zu wagen.

Zielkonflikte werden uns immer wieder begegnen. Es nützt dabei wenig, legitime Interessen despektierlich zu delegitimieren. Vielmehr müssen wir uns konstruktiv an die Ursachen der Zielkonflikte wagen und uns trauen, den Ballast unseres bisherigen Denkens hinter uns zu lassen.