Wer sein Unternehmen zukunftsfähig aufstellen will, braucht vor allem eines: Durchhaltevermögen. Denn ein tiefgreifender Transformationsprozess gelingt nicht von heute auf morgen. Er gelingt aber besser, wenn es eine klare Strategie gibt – und wenn Mitarbeitende über das nötige Know-how verfügen. „Ich glaube, die Transformation ist ein Change-Management-Thema und weniger ein Technologie-Thema. Insofern ist der Mitarbeiter extrem wichtig und muss im Fokus dieser ganzen Transformationsreise stehen“, betont Professor Yorck von Borcke, Studiendekan an der Hochschule Fresenius. Das heißt
im Umkehrschluss allerdings auch: Der Erfolg eines Transformationsprozesses wird ganz wesentlich davon abhängen, die richtigen Angestellten zu finden und diese auch zu halten. Doch in Zeiten des Fachkräftemangels ist gerade das keine leichte Aufgabe.
Was also macht einen Arbeitgeber attraktiv? Antworten auf diese Frage suchten Moderatoren-Legende Gerhard Delling, DUP UNTERNEHMER-Herausgeberin Brigitte Zypries sowie Marc Wittbrock, Geschäftsführer des Deutschen Innovationsinstituts für Nachhaltigkeit und Digitalisierung, in Gesprächen mit mehr als einem Dutzend Unternehmerinnen und Unternehmern sowie Expertinnen und Experten aus den Bereichen Management und Personalführung. Das Ergebnis dieser Gespräche sind neun Strategien, die das Recruiting beflügeln und Management und Mitarbeiterführung modernisieren.
1. Sich vor dem Recruiting fragen: Wen genau brauchen wir für den Erfolg?
„Ich bin schon immer eher auf der Suche nach Leuten, die auch unternehmerisch denken“, sagt Matthias Ditsch, der mit seinem Unternehmen Vigom eine digitale Golfmesse veranstaltet. So wie er formulieren zu können, welche Mitarbeitenden für das Unternehmen konkret gebraucht werden, ist eine Grundvoraussetzung. Denn nur dann kann man mithilfe der richtigen Recruitingmaßnahmen erfolgreich nach ihnen suchen. Auch Oliver Guimaraes vom Markenschutzexperten globaleyez weiß, welche Leute sein Unternehmen nach vorn bringen: „Wir brauchen diese digitalen, offenen Menschen. Das muss keiner sein, der in seiner Freizeit Webseiten programmiert. Aber jemand, der sagt: Meine Arbeit kann ich am besten mit digitaler Unterstützung erledigen.“
Wen man benötigt, das kann auch von der Entwicklungsphase abhängen, in der sich das Unternehmen gerade befindet. Dennis Ahrens vom Augmented-Reality-Spezialisten Spacific beschreibt das so: „Am Anfang haben wir ein sehr stark IT-fokussiertes Team zusammengestellt, weil wir erst einmal etwas bauen mussten, was wir einem Kunden zeigen konnten. Aber jetzt suche ich Leute für die Marktbearbeitung.“
2. Neue Recruiting-Strategien nutzen
Um die besten Mitarbeitenden zu bekommen, müssen sich Personaler heute einiges einfallen lassen – zumal ein Großteil der Mittelständler den Fachkräftemangel als große Gefahr für den Erfolg sieht. Daniel Bartsch etwa hält den Kontakt zur Wissenschaft beim Recruiting für wichtig. Er ist Mitgründer von creditshelf, einer Finanzierungsplattform für mittelständische Unternehmen, und sagt: „Wir haben Kooperationen mit Universitäten, in denen wir die Professoren gut kennen und Vorträge halten. Dort versuchen wir, schon früh Praktikanten und Werkstudenten zu gewinnen.“ Manchmal reiche das aber nicht, berichtet Bartsch: „Last, but not least muss man in manchen Situationen dann auch über Headhunter gehen – beispielsweise wenn es Spezialisten-Profile sind, die tatsächlich sehr schwierig zu besetzen sind.“
Ulf Valentin, der mit der Beratung Convidera Mittelständler im Transformationsprozess begleitet, plädiert für Active Sourcing: „Wir gehen an die Quelle, also dorthin, wo die Leute sich aufhalten. Auf Programmierersuche gehe ich eben in die Programmier-Communitys und stelle dort Aufgaben.“
3. Mitarbeitende als Botschafter nutzen
Unternehmen eine starke Arbeitgebermarke und kommunizieren diese nach außen. Oliver Hach von der Beratung Parsionate macht das ganz direkt und nutzt seine Mitarbeitenden als Markenbotschafter: „Wir lassen Kandidaten mit allen Menschen im Unternehmen reden und zeigen dadurch das Vertrauen, die Offenheit und Transparenz, die wir leben – ganz unabhängig von Hierarchie.“ Auch Valentin geht bei Convidera diesen Weg. Denn: „Viele der neuen Generation warten nicht, bis der Recruiter sie einlädt. Die fragen erst einmal ihre möglichen künftigen Kollegen im Unternehmen, wie es dort ist.“
Neben dem persönlichen Kontakt spielen beim Employer-Branding soziale Netzwerke eine große Rolle. Björn Waide nutzt das ganz gezielt. Er ist Geschäftsführer von smartsteuer, einem Anbieter von Online-Steuererklärungen, der zur Haufe Group gehört. Waide sagt: „Wir beschäftigen uns in Hannover, einer Stadt, die nicht den besten Ruf hat, mit Steuern. Dieses Thema hat wahrscheinlich sogar einen noch schlechteren Ruf als Hannover selbst. Wir müssen also – statt über das Produkt zu reden – darüber sprechen, wie wir arbeiten und welche Freiräume wir bieten. Das ist auch der Grund, warum ich auf LinkedIn so aktiv bin. Es ist der Versuch, ein menschliches Gesicht zu zeigen. Denn am Ende, wenn man ein Zeitschriftenregal sieht, sind da vor allem Menschen abgebildet. Da ist kein Tesla auf dem Cover, sondern Elon Musk.“
4. Führung neu interpretieren
Eine stimmige Außendarstellung ist das eine. Aber wichtig ist es zugleich, innerhalb des Unternehmens ein völlig neues Selbstverständnis zu entwickeln. Unter dem Schlagwort „Next Leadership“ geht es für Führungskräfte unter anderem darum, Kontrolle abzugeben, Vertrauen zu schenken und Hierarchien abzubauen. „Sie müssen auf einer anderen Ebene mit Mitarbeitenden kommunizieren, nämlich auf Augenhöhe, anstatt diese Einstellung zu haben: ‚Ich bin der Arbeitgeber, und du bist derjenige, der die Arbeit nimmt.‘ Es ist ja eigentlich faktisch andersherum“, sagt Waide. „Diejenigen, die hier sind, die geben uns als Unternehmen ihre Arbeitskraft.“
Ahrens von Spacific stimmt dem zu: „Die Organisationsmodelle zu hinterfragen – also klassische Hierarchien von oben nach unten mit Abteilungen und Silo-Denken aufzulösen und mehr in Teams und Rollen zu denken – ist zu empfehlen. Wir haben zum Beispiel ein Markt-Team und ein Development-Team. Die stehen in der Struktur nebeneinander – und mehr gibt’s bei uns nicht.“
5. Global nach Fachkräften suchen
Weil der hiesige Markt teils leergefegt ist, halten viele Unternehmen mittlerweile international nach entsprechend qualifizierten Fachkräften Ausschau. Bartsch sagt: „Tatsächlich ist es so, dass bestimmte Profile besonders schwer zu besetzen sind, vor allem im IT-Bereich. Da schauen wir zunehmend nach Talenten im Ausland – und das nicht nur im nahen europäischen Ausland, sondern durchaus global.“ Anderswo seien eben mehr Talente verfügbar, berichtet Valentin: „Man muss nur die Absolventen-Anzahl im Informatikbereich von Köln mit Kiew in der Ukraine vergleichen. Wir haben uns daher entschlossen, dort vor Ort aktiv zu werden, eine eigene Firma zu gründen, die Leute auszubilden und mit in unser Team zu integrieren.“
Und auch die Qualität spielt zunehmend eine Rolle, gibt Marcus Brans von der Private-Equity-Gesellschaft Triton zu bedenken: „Die innovativsten Coder sitzen nun mal nicht mehr an der RWTH Aachen. Die sitzen in Israel, Sankt Petersburg, Seoul und so weiter.“
6. Den Purpose klar kommunizieren
Damit alle Mitarbeitenden im Sinne der Unternehmensleitung erfolgreich an einem Strang ziehen, ist ein Purpose – also ein klarer Unternehmenszweck – vonnöten. Bartsch erklärt: „Die Leute sollen nicht den Eindruck haben, sie arbeiten ihre Stunden runter. Sie sollen spüren, dass das, was sie jeden Tag machen, auch wirklich Sinn stiftet und darüber hinausgeht, dass eine Firma wächst und finanziell erfolgreich ist.“
Beim Start-up Spacific entwickelt man diesen Purpose gerade gemeinsam. Gründer Ahrens sagt: „Ich habe eine ganz klare Vision, wo ich hinmöchte mit Spacific. Ich will, dass wir eine moderne Firma sind, in der jeder sich nach seinem Willen entwickeln kann.“
7. Die Relevanz von Aus- und Weiterbildung erkennen
Wenn es darum geht, die mühsam rekrutierten Fachkräfte langfristig zu halten, wird Weiterbildung zu einem zentralen Thema. „Seit mehr als 20 Jahren können wir für den Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie fast nur Neulinge ansprechen und rekrutieren“, sagt Gottfried Bertram, Aufsichtsratsvorsitzender des Antriebstechnikers Harmonic Drive. „Das sind dann Leute, die verstehen, dass sie nach ihrem Berufseinstieg in eine Firma erst dort zu eigentlichen Softwareingenieuren werden.“
Auch Christiane Hegemann liegt das Thema am Herzen. Sie ist Personalerin bei Klépierre Management Deutschland, einem Unternehmen, das Shoppingcenter betreibt. Sie sagt, sie habe immer im Blick, die Skills von Mitarbeitenden zu fördern und zu erweitern. „Manchmal merken wir: Okay, der Kandidat bringt vielleicht nicht zu 100 Prozent die Skills mit, die wir benötigen, aber er bringt den richtigen Spirit mit. Dann fördern wir ihn dahingehend, dass er diese Skills nachträglich erlernt. Aber wir profitieren davon, dass dieser Mensch zu 100 Prozent ins Team passt.“
8. Alle Altersgruppen einbeziehen
Längst ist allgemein bekannt: Diverse Teams sind erfolgreicher. Unternehmen profitieren also von einem gesunden Mix der Generationen in der Belegschaft. Oliver Hach von Parsionate empfiehlt allerdings, immer die speziellen Bedürfnisse jeder Generation zu berücksichtigen. In der Generation Z etwa nimmt er gerade ein Verlangen nach Führung wahr: „Es ist ganz stark zu spüren, dass gerade diese Generation mit Freiheiten nicht gut umgehen kann, sondern eher sehr klare Ansagen und klare Strukturen braucht, um die Arbeitsleistung abzuliefern.“
Auch der Respekt für die älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist wichtig. „Wir sagen den Mitarbeitern, die 20 oder 30 Jahre dabei sind, ja nicht: ‚Das hast du bisher leider falsch gemacht. Jetzt übernehmen die jungen Wilden.‘ Wir versuchen, beide Welten miteinander zu verbinden“, so Waide von der Haufe Group. Hegemann von Klépierre spürt ebenfalls, dass der Mix der Generationen das Unternehmen bereichert: „Die Jüngeren profitieren vom Wissen der Älteren; die Älteren profitieren von den Ideen und den Techniken, welche die Jüngeren schon beherrschen.“
9. Flexible Arbeitsmodelle, aber auch persönlichen Austausch ermöglichen
Im Zuge der Coronapandemie wurden Homeoffice und Remote Work in einem vorher nicht vorstellbaren Tempo zu einem normalen Teil der Arbeitswelt. „Wer die Möglichkeiten bietet, dass Mitarbeiter technologisch von überall und zu allen Zeiten arbeiten können, und wer moderne Tools bereitstellt, wird zu den Unternehmen gehören, die gerade für Hochqualifizierte attraktiv sind“, sagt Vigom-Gründer Ditsch.
Und Guimaraes von globaleyez ergänzt: „Man muss nicht nebeneinander sitzen, um gemeinsam tolle Arbeit zu machen.“ Waide hingegen ist da etwas zurückhaltender. Er sieht eindeutig Vorteile darin, sich in regelmäßigen Abständen face to face zu sehen: „Die Kommunikation ist einfacher, weil man auch die Zwischentöne richtig interpretieren kann. Da ist dieses persönliche Miteinander und dass man auch mal abends zusammen einen trinken geht schon gut.“