Die Vereinten Nationen (UN) schlagen Alarm: Laut einem Bericht des UN-Klimasekretariats aus dem Spätsommer reichen die nationalen Klimaschutzbeiträge derzeit nicht aus, um die bei der Pariser Klimakonferenz 2015 vereinbarten Ziele zu erreichen und die Erderwärmung bis zum Jahr 2030 auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.
Auch Deutschland hinkt den eigenen Ansprüchen weit hinterher und wird laut Umweltbundesamt die im Klimaschutzgesetz bis 2030 festgeschriebene CO2-Reduktion um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 wohl nicht einhalten. Zumal derzeit hierzulande wie auch weltweit die Wirtschaft lahmt. 60 Prozent der Unternehmen stellen deshalb nachhaltige Initiativen hintenan, wie die „Talent Trends Studie 2023“ von Randstad Sourceright zeigt. Darin wurden über 900 Führungskräfte und Personalverantwortliche aus 18 Ländern zur Bedeutung von Nachhaltigkeit befragt.
Kanzler Olaf Scholz: „2023 entscheidender Moment“
Die Aussichten sind also schlecht – doch zumindest der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz ist optimistisch. Er sagte Mitte September beim UN Climate Action Summit in New York: „2023 könnte ein entscheidender Moment in unserem Kampf gegen den Klimawandel werden.“
Wie Scholz zu dieser positiven Einschätzung kommt? „Wir lassen unseren Worten Taten folgen. Als Land sind wir unserer Zusage nachgekommen, mindestens sechs Milliarden Euro für die internationale Klimafinanzierung bereitzustellen. Wir haben das bereits drei Jahre früher als im Vorfeld angekündigt getan – 2022 statt 2025“, so Scholz.
Doch vor allem von Umweltschutzverbänden sowie Vertreterinnen und Vertretern von Klimabewegungen wie „Fridays for Future“ erntete der deutsche Regierungschef ausschließlich Kopfschütteln. Und: Die von Scholz geführte Ampel-Regierung verabschiedete vor wenigen Wochen und nach langem Streit die Reform des Klimschutzgesetzes – und strich die verpflichtenden Vorgaben für einzelne Wirtschaftsbereiche und deren CO2-Ausstoß aus dem Gesetzespapier. Die FDP freut’s, die Grünen nicht.
Green Business: Ohne Digitalisierung geht es nicht
Christian Schiller, Gründer und CEO von Cirplus, einem digitalen Marktplatz für Rezyklate und Kunststoffabfälle, ist laut eigener Aussage ein Befürworter der freien Marktwirtschaft. Trotzdem fordert er: „Die Politik muss signifikant eingreifen und zum Beispiel die Produktion von Neuplastik über eine CO2-Bepreisung deutlich teurer machen.“ Nur so könne Deutschland die Klimakurve vielleicht noch kriegen.
Vorreiter in Sachen Recycling und innovativer Technologien zur Wiederaufbereitung von Kunststoff werde Deutschland laut Schiller jedenfalls nicht mehr. Schließlich sei die Chemieindustrie die Nummer drei unter den Arbeitgebern des Landes und habe kein Interesse daran, gewinnoptimierte Prozesse zugunsten von wirklich nachhaltigen Circular-Economy-Technologien über Bord zu werfen.
Schiller schaut deshalb lieber nach Schweden: „Dort entsteht gerade die modernste und größte Recyclinganlage der Welt. Obwohl Deutschland die mit Abstand größte Kunststoffwirtschaft und das größte Abfallaufkommen in Europa hat. Wir könnten so eine Anlage eigentlich auch bauen, aber der Wille ist nicht da.“
Schiller hat mittlerweile einen direkten Draht nach Berlin, wurde auch vom Bundesumweltministerium in den Rat der 20 Kunststoffweisen berufen und berät als Mitglied des „Runden Tisches Kunststoffe“ die Bundesregierung bei der Erarbeitung der nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie. Bis Ende des Jahres soll die stehen; aktuell wird hinter verschlossenen Türen noch hart gerungen – die Kunststoffhersteller sind auch dabei. Das Problem: Neuware einzusetzen ist für Unternehmen immer noch wesentlich günstiger und einfacher als recycelter Kunststoff in guter Qualität. „Deshalb wird es ohne Digitalisierung aufgrund der Komplexität im Recyclingmarkt nicht gelingen, skalierbare Lieferketten aufzubauen. Nur so können wir vom Neuware-Einsatz im großen Maßstab wegkommen und den Rezyklateinsatz erhöhen“, sagt Schiller.
KI hat riesiges Potenzial für Green Business
Ohne Investitionen in Nachhaltigkeit, Green Business und vor allem digitale Technologien werden Unternehmen kaum mehr nachhaltiger und damit auch nicht wirtschaftlicher. Künstliche Intelligenz (KI) spielt auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft bereits eine große Rolle. Justus Lauten etwa, CEO des Kölner Start-ups Foodforecast, hat eine KI entwickelt, die historische Verkaufszahlen von Bäckereifilialen analysiert und mit wichtigen Einflussfaktoren kombiniert, um eine automatisierte Verkaufsprognose für die Bestellung des nächsten Tages zu erstellen. Das spart Ressourcen und Energie – und ist am Ende wesentlich effizienter.
Experten schätzen, dass allein der Nahrungsmittelabfall für sieben Prozent der weltweiten Treibhausgase verantwortlich ist. „KI kann aus meiner Sicht eine Schlüsselrolle dabei spielen, dass weniger Lebensmittel in der Abfalltonne landen“, ist Lauten überzeugt. „Denn mit immer mehr gesammelten Daten wird die Prognosequalität besser – die Lebensmittelerzeuger arbeiten effizienter und vor allem nachhaltiger“, erklärt der Foodforecast-CEO.
Und was für die Produktion von Lebensmitteln gilt, lässt sich sicher auch auf andere Industriezweige übertragen – vorausgesetzt, der Wille ist da.