Gastbeitrag

Buch „Next.2030“

So geht Handel im Jahr 2030

Digital, vielfältig und nachhaltig ist die Zukunft des Handels. Alexander Birken, Vorstandsvorsitzender der Otto Group, erklärt, warum sie längst begonnen hat.

10.02.2023

Der Handel, wie wir ihn heute erleben, ist aufgrund der Digitalisierung ein grundsätzlich anderer, als er es noch vor zehn Jahren war. Die Coronapandemie fungierte als Beschleuniger, und man muss davon ausgehen, dass die Veränderungen weiter rasant voranschreiten werden. Gerade in Deutschland betrachtet man das oft mit Sorge. Groß ist hierzulande die Angst vor IT-Giganten, die ihre Marktmacht ausnutzen könnten, vor Monopolen, vor der Manipulation gläserner Kundinnen und Kunden sowie der Zerstörung des Einzelhandels.

Wir sind in diesen Fragen weniger ängstlich. Wir glauben nicht, dass die Konkurrenz monopolartige Strukturen ausbilden wird. Wir glauben vielmehr daran, dass sich inspirierende Shopping-Angebote durchsetzen werden. Und wir haben einiges dafür getan, dass wir mit unseren Konzernfirmen in dieser Hinsicht gut dastehen. Das eröffnet tatsächlich ganz konkrete Perspektiven für die digitale Zukunft des Handels.

Kunde im Fokus

Einer unserer strategischen Schwerpunkte ist Customer-Centricity. Das bedeutet, dass die Kundinnen und Kunden mit ihren Wünschen, aber auch mit ihren Sorgen immer und ohne Ausnahme im Zentrum all unserer Bemühungen stehen.

Konkret heißt das etwa, dass wir jetzt schon smarte Tools anbieten, die ihnen im Online-Shop das Produkt möglichst greifbar machen. Retouren werden auf diese Weise aktiv und nachhaltig reduziert, denn wenn etwas passt und den Erwartungen entspricht, wird es in der Regel nicht zurückgeschickt. Das ist nicht nur im Sinne der Kundinnen und Kunden und nachhaltig. Es ist auch voll und ganz in unserem Interesse, denn die Kosten der Retouren tragen wir.

Neue Digitaltechnologien bieten zahlreiche Möglichkeiten, den Kundinnen und Kunden Produkte anschaulich vor Augen zu führen. Schon heute gibt es bei mehreren unserer Konzernunternehmen – etwa beim Fashion-Anbieter Bonprix – Live-Shopping-Events, bei denen Moderierende in einem Livestream Produkte vorführen. Kleider, T-Shirts oder Blusen werden dadurch plastischer vermittelt als über bloße Bilder.

Im stationären Handel steht das Erlebnis im Mittelpunkt

Vor allem eine Entwicklung verspricht in dieser Hinsicht ein ganz anderes Level an Produktinformation: Augmented Reality. Über sie lässt sich zum Beispiel darstellen, wie ein neues Sofa im heimischen Wohnzimmer genau wirkt. Schon heute wünschen sich ein solches Angebot zwei Drittel der E-Com­merce-Kundinnen und -Kunden. Zudem gibt es bereits die Möglichkeit, neue Mode realistisch und detailgenau am eigenen Avatar, also dem digitalen Abbild, zu betrachten. Eine Entwicklung, die in den nächsten Jahren boomen wird.

Der unaufhaltsame Siegeszug von E-Commerce bereitet vielen Bürgerinnen und Bürgern aber auch Sorgen. Natürlich, man schätzt die Schnelligkeit und die Auswahl beim digitalen Shopping. Zugleich aber befürchten viele, dass der klassische Einzelhandel ausstirbt, dass Innenstädte und Einkaufszentren veröden. In dieser Hinsicht blicken wir ebenfalls optimistisch in die Zukunft. Wir sehen Online- und stationären Handel nicht in Konkurrenz zueinander. Im Gegenteil: Beide Konzepte können sich perfekt ergänzen.

E-Commerce ist in Hinblick auf Auswahl und auf einfaches, bequemes und zunehmend mobiles Shopping unschlagbar. Beim stationären Handel hingegen kann und wird es um das Einkaufserlebnis an sich gehen oder, um es anders auszudrücken: um den Spaß. In dieser Hinsicht werden sich Ladengeschäfte noch mehr verändern müssen. Es reicht dann nicht mehr, Produkte zu versammeln und am Ausgang eine Kasse aufzustellen. Vielmehr muss stationärer Handel begeistern. Geschäfte werden dann ein Ort werden, um eine gute Zeit zu haben, um sich inspirieren zu lassen – oder auch, um andere Menschen zu treffen.

Verschränkung der Handelskanäle

Denkt man dieses Szenario zu Ende, ist man weit entfernt vom Schreckgespenst der Verödung. In Innenstädten und Einkaufszentren werden dann vielleicht wirklich weniger physische Waren geshoppt; dafür stehen vielfältige, lebensnahe Angebote zur Verfügung. Der stationäre Handel fügt sich so in ein vitales Mit- und Nebeneinander aus Gastronomie, Unterhaltung und Shopping ein. In unseren Augen ist das ein sehr attraktives Szenario.

Letztlich werden sich digitaler und stationärer Handel noch weiter verschränken. Das Stichwort dafür ist Connected Commerce. Ein Großteil der Kundinnen und Kunden schätzt es nach wie vor, Waren anfassen und anprobieren zu können. Schon 2019 gründete Otto zusammen mit der ECE-Group, die Einkaufszentren konzipiert und betreibt, das Joint Venture Stocksquare. Hierbei geht es um eine wirklich wegweisende Innovation. Auf otto.de kann die Verfügbarkeit von Produkten in ausgewählten Geschäften geprüft werden, die sich in einem der rund 90 deutschen ECE-Standorte befinden.

Reduzierte Auslieferungsfahrten

Und wir müssen unser Geschäft noch weiter dekarbonisieren – über alle Sparten hinweg. Ein Anfang ist mit der Umstellung in der Logistik von Flugzeug auf Schiff und Schiene bereits gemacht. Aber es geht noch viel mehr. Als wichtiges Etappenziel fungiert hier just das Jahr 2030: Dann wollen wir in allen Kernprozessen klimaneutral sein. Doch auch hier wird die Reise nicht zu Ende sein.

Das Ziel kann nur lauten: zirkuläre Prozesse, bei denen ausschließlich die Ressourcen verbraucht werden, die wieder regeneriert werden können. Dazu sind gewaltige Anstrengungen nötig. Und hier kommt wiederum die Digitalisierung ins Spiel.

Digitale Tools beschleunigen nicht nur den Handel – sie bieten Händlerinnen und Händlern auch die Möglichkeit, ihre Prozesse effektiver zu gestalten. Man kann schon in der Gegenwart erkennen, in welche Richtung die Reise gehen wird. Über eine digitale Tourenplanung kann jede Auslieferungsfahrt heute schon um etwa sieben Prozent reduziert werden. Mit Künstlicher Intelligenz lässt sich das Warenangebot so optimieren, dass der Anteil nicht verkaufter Ware drastisch reduziert wird.

Alexander Birken

hat am 1. Januar 2017 den Vorstandsvorsitz der Otto Group übernommen. Er ist studierter Betriebswirt