Sonne und Wind als erneuerbare Energiequellen
06.06.2021
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Ein perfekter Ort, um über die Zukunft zu sprechen: das „Futurium“ in Berlin, eine Art Forschungszentrum und Wissenschafts-Erlebniswelt nahe des Hauptbahnhofs. Dort trafen sich Ranga Yogeshwar und Michael Otto. Der bekannte Wissenschaftsjournalist und der renommierte Unternehmer kennen sich seit Jahren. Auf das Thema Nachhaltigkeit blicken sie mitunter sehr unterschiedlich. Was muss anders werden, um unseren Planeten zu retten? Was müssen wir jetzt tun? Knapp drei Stunden sprachen die beiden miteinander. Über qualitativen Konsum, zirkuläres Wirtschaften, die Digitalisierung – und natürlich über die Zukunft.

Dieses Interview von York Pijahn ist ein Auszug aus „NOW“, dem Nachhaltigkeitsmagazin der Otto Group in Kooperation mit GEO.

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Cover des Magazins NOW von Otto

Zur Person

Michael Otto

Professor Dr. Michael Otto

Der Unternehmer, Jahrgang 1943, leitete die Otto Group von 1981 bis 2007 und steht seither dem Aufsichtsrat vor. Otto engagiert sich mit vielfältigen Stiftungen für das Allgemeinwohl und den Klimaschutz

Zur Person

Ranga Yogeshwar

Ranga Yogeshwar

Der Diplom­physiker ist der wohl bekannteste Wissenschafts­journalist Deutschlands. Yogeshwar wurde 1959 in Luxemburg geboren und verbrachte seine ersten Lebensjahre in Indien

Warum ist Ihnen Nachhaltigkeit so wichtig?

Ranga Yogeshwar: Ich bin im Januar 2020 Großvater geworden – Emil heißt mein Enkel. Als ich ihn in meinen Armen gehalten habe, ist mir bewusst geworden, dass Emil sehr wahrscheinlich das 22. Jahrhundert erleben wird. Und das bedeutet: Wir müssen eine Welt gestalten, die dann noch lebenswert ist, auch für meinen Enkel. Wie ist es bei Ihnen, Dr. Otto?

Michael Otto: Also, mein Weckruf kam im Jahr 1972. Da erschien das Buch „Grenzen des Wachstums“ – der erste Bericht an den Club of Rome zur Lage der Menschheit. Ich war damals mit Eduard Pestel, einem der Gründer des Club of Rome, befreundet und erinnere mich noch genau, wie wahnsinnig wichtig ich dieses Buch damals fand. Bis heute hat sich daran nichts geändert. Das Buch schafft Bewusstsein für die Endlichkeit unserer Ressourcen. Es ist ein Aufruf zu handeln. Für mich bedeutete das aber nicht, den Blick allein auf Politik oder Industrie zu lenken. Nein, wir alle sind aufgerufen. Jeder muss bei sich selbst anfangen. Ich habe deshalb bereits damals begonnen, Einzelprojekte wie nachhaltige Kartonagen in unserem Konzern anzustoßen und unser Sortiment in Hinblick auf Nachhaltigkeit zu überarbeiten. Zu Beginn hat man mich für verrückt gehalten.

Yogeshwar: Neben „Grenzen des Wachstums“ gab es eine Umweltstudie des damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter namens „Global 2000“. Die habe ich damals in den 1980er-Jahren zusammen mit Freunden gelesen. Und das Gefühl war: „Hey! Da muss man was tun!“ Dieses Gefühl war für mich der Treibstoff, journalistisch zu arbeiten. Wenn Sie, Dr. Otto, heute Bilanz ziehen, nachdem die Welt von den Grenzen des Wachstums erfahren hat und auch von Studien wie „Global 2000“ – wie fällt diese Bilanz aus?

Otto: Die Bilanz fällt, das wird Sie jetzt nicht überraschen, leider enttäuschend aus. Die Tatsache, dass wir bisher trotz all unseres Wissens über die Umwelt­zerstörung nicht zielorientiert gehandelt haben, bedeutet: Wir müssen nun deutlich zulegen, wenn wir die Erde auch für die zukünftige Generation lebenswert erhalten wollen. Wissen Sie, auch ich habe Enkelkinder, die in einer intakten Welt aufwachsen sollen. Dafür sind wir verantwortlich, und zwar jetzt.

Wie kommt es, dass erst jetzt das Thema Klimawandel in der Breite der Bevölkerung ankommt?

Yogeshwar: Ich glaube, weil wir gerade einen Sinneswandel erleben. Wir spüren, dass das gesamte System, in dem wir leben, nicht mehr funktioniert. Hinzu kommt bei vielen ein Gefühl von Unmut, was unseren Lebensstil betrifft. Denn wir merken, dass uns Konsum nicht die Art von Glück beschert, auf die wir alle immer gehofft haben. Wir sehen, dass ein Fortschritt um des Fortschritts willen etwas vermissen lässt, nämlich: Erfüllung.

Otto: Diese Sehnsucht erleben wir in der Begegnung insbesondere mit jungen Leuten, die bei uns arbeiten oder sich bei uns bewerben. Die Frage nach dem Sinn. Diesen Menschen ist bewusst, dass wir kein Wissensdefizit haben, sondern ein Handlungsdefizit. In Wirtschaft und Politik wird aber häufig erst gehandelt, wenn Druck da ist, etwa durch die Angst, Wählerstimmen oder Kundschaft zu verlieren.

Warum dauert es aber so lange, bis Menschen ihr Verhalten tatsächlich ändern?

Yogeshwar: Weil wir bequem sind. Wir wollen konsumieren, wir trinken Kaffee, wir kaufen uns Pullover wie jenen, den ich gerade trage. Bloß kann ich dem Kaffee nicht ansehen, wo er herkommt, und der Wolle, aus dem der Pulli ist, auch nicht. Konsum ist abstrakt. Wenn ich etwas kaufe, habe ich ein Produkt und einen Preis, aber keine Geschichte. Wir haben zwar jede Menge Zertifikate und Sticker, aber der normale Konsumierende ist völlig überfordert, welches Zertifikat was genau besagt. Wir erklären Produkte für umweltfreundlich, die es aber gar nicht sind. Ich bin vor der Coronazeit beruflich viel mit dem Flugzeug unterwegs gewesen – und das ist nun wirklich umweltschädlich. Trotzdem gibt es die Formulierung „klimaneutrales Fliegen“. Und diese Formulierung ist schlicht eine Lüge.

Otto: Dass der Kampf gegen den Klimawandel so langsam vorankommt, liegt daran, dass der Klimawandel nicht als unmittelbare Bedrohung wahrgenommen wird. Es sind andere Themen wie Corona, denen wir unsere Aufmerksamkeit schenken. Wie schon nach der Finanz- und Eurokrise wurden bereits mit Beginn der Pandemie wieder Stimmen laut, den Klimaschutz erst einmal hintenanzustellen. Denn ­aktiver Klimaschutz erfordert Investitionen. Dabei müssen wir gerade jetzt die Chance nutzen, um die Modernisierung der Wirtschaft voranzutreiben, sie risikotragfähig und klimaneutral zu gestalten. Dazu gehört auch, Klimaschutz als Modernisierungsprojekt für die Wirtschaft zu begreifen und ihn zu einem Geschäftsmodell zu machen. Klimaschutz darf nicht als etwas behandelt werden, was wir uns nur in guten Zeiten leisten können. Und was Ihre Einschätzung der Rolle des Konsums angeht: Selbstverständlich ist Konsum mitentscheidend für den Verbrauch von Ressourcen wie Energie, Wasser, Rohstoffe. Aber nur Verzicht zu fordern ist auch keine Lösung. Aus meiner Sicht liegt die Lösung im qualitativen Konsum. Jüngste Studien belegen: Corona hat das Bewusstsein der Konsumierenden für den inneren Wert der Produkte und ihr Konsumverhalten gestärkt. Qualitativer Konsum ist im Mainstream angekommen. Produkte müssen langlebiger, reparaturfähig, recycelbar sein. Das Ziel muss ein zirkuläres, qualitätsorientiertes Wirtschaften sein. Und ich sage Ihnen, das ist machbar.

Yogeshwar: Ich rede nicht davon, dass man nur noch einen Pulli im Leben haben sollte; ich rede vom Stellenwert, den Konsum in unserem Leben hat. Die deutsche Autoindustrie gibt etwa anderthalb Milliarden Euro im Jahr für PR und Marketing aus. All das nur für die Botschaft „Du musst ein Auto kaufen“. Wir werden permanent professionell verführt, Dinge zu kaufen, die wir nicht brauchen. Wir setzen unsere Prioritäten falsch. Ich teile ihre Hoffnung nicht, dass ein Business as usual mit viel Nachhaltigkeit in der Produktion zum Ziel führt.

Otto: Ich plädiere auch nicht für ein „Weiter so“! Natürlich wäre es ideal, wenn die Menschen von sich aus bewusst konsumieren würden, aber die Zeit für einen solchen Sinneswandel werden wir nicht haben. Deswegen bin ich der Meinung, dass wir Steuerung brauchen. Wir müssen Auswirkungen auf die Umwelt, die während der Herstellung und des Transports eines Produkts entstehen, entsprechend bepreisen.

Die Botschaft der Nachhaltigkeit ist in vielen Fällen auch eine Botschaft, die vom Verzicht handelt. Das ist ja langfristig keine einfache Botschaft. Wie könnte die Positivbotschaft der Nachhaltigkeit lauten?

Otto: Die Botschaft der Wirtschaft könnte lauten: Nachhaltigkeit macht für uns alle Sinn, und wir folgen gemeinwohlorientierten Werten. Die letzte Entscheidung aber, ob sich ein faires, nachhaltiges, wenn man so will, sinnvolles und an Werte gebundenes Produkt durchsetzt, liegt bei der Kundschaft.

Yogeshwar: Es muss sich um Gewinn drehen. Gewinn von Bewusstheit und letztlich auch Gewinn an Zeit. Ich bin in Indien aufgewachsen; es wäre undenkbar gewesen, sich vorzustellen, dass Menschen am Wochenende durch eine Stadt bummeln und shoppen gehen. Als sei Einkaufen ein Wert an sich. Ich finde Ihre Haltung, Herr Otto, nach wie vor widersprüchlich. Als gäbe es zwei Ottos. Den einen, der engagiert sich seit Jahren für die Umwelt. Und den anderen, der sich am Ende des Monats fragt: Wie ist der Umsatz? In Ihrer Brust schlagen zwei Seelen, oder?

Otto: Nein, eine Seele. Und die ist überzeugt, dass beides durch nachhaltiges Wirtschaften miteinander vereinbar ist. Diese Maxime funktioniert in Entwicklungsländern vermutlich erst einmal nicht, denn dort geht es darum, Grundbedürfnisse zu stillen und einen gewissen Wohlstand zu erreichen. Das ist unweigerlich mit einem mengenmäßigen Wachstum verbunden. Aber hier bei uns und in anderen Industriestaaten brauchen wir qualitatives Wachstum.

Yogeshwar: Wenn Sie morgen der „König der deutschen Wirtschaft“ wären, was würden Sie dann tun?

Otto: Ich würde der Wegwerfgesellschaft ein Ende bereiten. Mit unserer Unternehmensgruppe verfolgen wir das Ziel einer zirkulären, qualitätsorientierten Wirtschaft. Das sieht man nicht nur an den Standards, denen wir bei Otto.de folgen, den Nachhaltigkeitskollektionen unserer Konzerntochter Bonprix oder dem Secondhandshop von About You, sondern auch bei unserer Tochtergesellschaft Manufactum. Hier findet man zwar nicht ganz billige, aber dafür langlebige und reparaturfähige Produkte aus kleinen Handwerksbetrieben. Das finde ich gut. 

Yogeshwar: Manufactum ist für mich ein Beleg für etwas anderes. Das ist ein für eine sehr gut zahlende Kundschaft gebautes Beruhigungsnarrativ. Das Produktportfolio besteht aus viel Überflüssigem. Hier geht es doch eher um die romantische Sehnsucht einer gut zahlenden Käuferschicht nach einem Vorgestern.

Otto: Ich sehe es ganz anders. Füller, die in kleinen Fabriken in Handarbeit hergestellt werden, und Gartengeräte, die dauerhaft halten, Outdoorkleidung in anständiger Qualität – das sind keine Sachen, die überflüssig und schon gar nicht gestrig sind. Das sind Dinge, die in Zukunft eine viel größere Rolle spielen. Und ein teures Produkt, das langfristig hält, ist günstiger als ein billiges Produkt, das schnell kaputtgeht und das Sie in der Zwischenzeit schon zweimal nachkaufen mussten. Dass Menschen bereit sind, nachhaltiger zu konsumieren und dafür auch mehr zu zahlen, hängt sicherlich auch mit einem tieferen Verständnis für unsere Welt zusammen. Ich glaube, der Schlüssel ist Bildung. Und zwar Bildung zur Nachhaltigkeit. Meine Umweltstiftung hat vor zehn Jahren ein spannendes Projekt begonnen: die „Aqua-Agenten“, bei dem Kinder der Klassenstufen 3 und 4 in derzeit vier Bundesländern spielerisch das Element Wasser erkunden. Sie besuchen Wasserwerke und Kläranlagen, untersuchen das Leben in Flüssen – all das ausgerüstet mit einem „Agentenkoffer“, der ein kindgerechtes Minilabor enthält. Was hier dann passiert, ist eine Veränderung des Bewusstseins. Es entsteht so etwas wie Liebe zur Natur, Wertschätzung. Denn nur was man liebt und wertschätzt, wird man später auch schützen.

06.06.2021
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