Visionär denken: eine Maxime, die für die Bezos’, Musks, Gates’ oder Zuckerbergs dieser Welt gelten mag – manche Unternehmer mitten im krisenbedingten Existenzkampf aber maximal müde lächeln lässt, im Zweifel gar abwinken. Schließlich geben 40 Prozent der deutschen Unternehmer an, durch die Coronapandemie in einer wirtschaftlich schweren, teils verheerenden Lage zu sein. Das zeigt eine aktuelle Befragung des Personaldienstleisters Hays.
Diversity, Agilität, Purpose: alles inhaltsleere Floskeln also, wenn der Fokus darauf liegt, das eigene Unternehmen und Arbeitsplätze zu retten? Ganz sicher nicht für die 72 Prozent der Befragten, die planen, gestärkt aus der Krise hervorzugehen. Sie wollen und müssen nach vorn, ja visionär denken. Den ohnehin unaufhaltsamen Transformationsprozess – der durch die Coronapandemie deutlich an Fahrt gewonnen hat – nutzen, um die Weichen Richtung Zukunft zu stellen. Denn es sind – in unterschiedlichen Facetten – Vision und Beharrlichkeit, aber auch Information und Technologie, die diese US-Tech-Legenden in den unternehmerischen Olymp geführt haben.Wie nun sieht die unternehmerische Gemengelage hierzulande zwischen Existenzkampf und Aufbruchstimmung aus?
Sieben Strategien für das Morgen
Die DUB UNTERNEHMER-Redaktion hat Dutzende von Calls zum Thema veranstaltet, Protagonisten der deutschen Wirtschaft getroffen, Hintergrundgespräche geführt und Stimmen gesammelt – von Unternehmen des familiengeführten Mittelstands, von Start-ups und Global Playern. Allesamt top gemanagt. Das Ergebnis sind sieben Strategien, mit denen auch Sie Ihr Unternehmen oder Team fit für die Zukunft machen.
Fakt ist: Die digitale Transformation und zuletzt Pandemie wie Lockdown haben die Anforderungen an Führungskräfte von heute dynamisch verändert. Darauf gilt es zu reagieren. Bettina Rotermund, Marketing- und Kommunikations-Chefin bei Siemens Advanta, ist eine von gut 40 Gesprächspartnerinnen und Gespächs-partnern der Redaktion im Zuge der Recherchen. Ihr Arbeitgeber ist eine neue strategische Business-Einheit, die Siemens-Kunden bei Digitalisierungsprozessen berät. Die Transformation von Unternehmen ist also ihr Kerngeschäft. Nach Rotermunds Erfahrung kommt es im Management in Zeiten des Wandels vor allem auf fünf wesentliche Fähigkeiten an:
- Optimistisch bleiben, auch wenn es – wie in den frühen Tagen der Pandemie – einmal schwierig wird.
- Fähig sein, auch die zweite Führungsriege zu involvieren und zu unterstützen, um viele mitzunehmen.
- Transparent bleiben und lieber zu viel als zu wenig kommunizieren.
- Anpassungsfähig sein, ohne die langfristigen Ziele des Unternehmens aus den Augen zu verlieren.
- Resilient sein – in der Lage, auch Mehrfachbelastungen zu meistern in Situationen wie dem Lockdown.
Es geht also um eine „wandlungsfähige“ Führung, die ihre Fähigkeiten aber nicht nur im gelungenen Ma-nagement von vergleichsweise ad hoc auftreteSEOnden Veränderungen wie dem Lockdown, sondern auch in Prozessen von Dauer – Stichwort Digitalisierung und Technologiewandel – unter Beweis stellen muss.
Informationsjäger und -Sammler
Wie bei den US-Tech-Giganten gilt: Entscheidungen sollten ausschließlich auf der bestmöglichen Informationsbasis gefällt werden. Vor allem dann, wenn sie von grundsätzlicher Natur sind. Das zeigt das Beispiel des international agierenden Werkzeug-maschinenherstellers GROB-WERKE. Das Unternehmen hatte als einer der Marktführer Produktionsanlagen für Verbrennungsmotoren hergestellt. Bereits vor Corona erkannte der Konzern jedoch, dass die Entwicklung Richtung E-Mobilität ein unternehmerisches Um-denken verlangt. Mittlerweile generiert der Konzern 40 Prozent des Umsatzes mit Produktionsanlagen für die Elektromotoren- und Batterieproduktion.
„Wir stecken viel Arbeit in unsere Umorientierung“, sagt Christian Müller, Chief Sales Officer der GROB-WERKE. „Dafür haben wir eine Strategieabteilung, die Kundenbefragungen, Markt- und Wettbewerbsanalysen sowie Innovationsstudien auswertet.
So stellen wir sicher, dass unsere Transformation den größtmöglichen Impact hat.“ Gunnar Anger, Geschäftsführer des Start-ups Parcellock, das öffentliche Paketstationen offeriert, ergänzt: „Die Aufgabe einer guten Führungskraft ist es, die Schwächen und Stärken ihres Teams zu erkennen und entsprechend zu nutzen. Auf Veränderungen am Markt muss man flexibel reagieren können – und das gelingt nur mit Austausch von Informationen.“
Strategie 1: Informationsweltmeister werden!
Ob gesellschaftliche Trends, Branchenentwicklungen oder die Stimmung intern – Informationsvorprung ist die Basis für richtige Entscheidungen.
Talente sprechen kein Hierarchisch
Vorbei scheinen die Zeiten, in denen das Durchsetzungsvermögen Einzelner verbunden mit hierarchischen Strukturen für Dynamik sorgte. Viele vor allem junge Mitarbeiter wollen Einbindung und Wertschätzung erfahren. Und das müssen sie auch, um selbst Treiber des Wandels werden zu können. Die Transformation der vergangenen Jahre, vor allem die Homeoffice-Revolution der letzten Monate, spielt dieser Entwicklung in die Karten. „Digitalisierung nimmt Hierarchien“, sagt Frank Schübel, Chef des Familienunternehmens und marktführenden Teeproduzenten TEEKANNE. Schübel hatte vor gut zwei Jahren die Transformation seines Hauses forciert.
Eine Maßnahme, die sich ausgezahlt hat: Die digitale Infrastruktur war im Lockdown und bei der Umstrukturierung auf das Homeoffice bei den Mitarbeitern der Verwaltung schon vorhanden. „Sie haben sie nur nicht genutzt, hatten gewisse Hemmungen. Das hat sich in der Krise geändert. Man musste sich anders organisieren. Und plötzlich kommen im Zuge neuer Kommunikationswege nicht mehr nur Führungskräfte zu Wort. Man holt automatisch auch die Fachleute mit ins Gespräch, die tatsächlich an der Sache arbeiten.“
Strategie 2: Unternehmensinterne Demokratie fördern!
Weniger top-down, mehr bottom-up: Mitarbeiter sollten von Führungskräften mehr involviert, neue Kommunikations- und Organisationswege genutzt werden.
(Sich) für den Wandel begeistern
Doch wie tiefgreifend ist der coronabedingte Digita-lisierungsschub wirklich? Laut einer Befragung der Beratung KPMG bestätigen 75 Prozent der Unter-nehmer, dass die Krise ihre Digitalisierungsprozesse um einiges beschleunigt hat. In Deutschland waren die Voraussetzungen aber auch besser, als von vielen Kritikern behauptet. Diese Meinung vertritt jedenfalls Christopher Grätz, Mitgründer und CEO des FinTechs Kapilendo. Er arbeitet eng mit vielen mittel-ständischen Unternehmen zusammen. Grätz: „Was wir sehen, ist, dass die Digitalisierung des Kerngeschäfts in vielen Unternehmen bereits stattgefunden hat. Der digitale Schub ist eher in prozessualen Aspekten auffindbar, zum Beispiel beim Finanzmanagement. Wir sehen aber auch eine große Bereitschaft, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen.“
Glaubwürdig kann das allerdings nur, wer in Sachen Wandel selbst vorangeht. „In einem Unternehmen mit rund 6.600 Mitarbeitern braucht es Ehrlichkeit, Transparenz und Begeisterung, um neue Richtungen einzuschlagen.“ Tugenden, die von der Chefetage vorgelebt werden müssten, betont Christian Müller von GROB-WERKE.
Strategie 3: Vordenker und Vorbild sein!
Der Mut zum Wandel muss von der Spitze kommen. Wer selbst die Veränderung lebt, inspiriert auch andere.
Öfter mal was Neues
„Die Digitalisierung und Demokratisierung der Arbeitskultur wirkt sich auch positiv auf die Innovationskraft eines Konzerns aus“, ist sich Lukas Linnig, junger CFO des BioTech-Unternehmens BRAIN, sicher. Und Innovation steht im Zentrum des Wandels. Dabei geht es nicht nur um Tech-Unternehmen und Disruption. Innovation, urteilen die Experten unisono, sollte sowohl revolutionär als auch evolutionär sein (siehe Seite 28). So beim Familienunternehmen Rösle, das Küchenwerkzeuge herstellt und vermarktet. Geschäftsführer Henning Klempp: „Um unseren Maßstab zu erfüllen, versuchen wir nicht nur mit dem aktuellen Stand der Technik zu arbeiten, sondern definieren auch neue Technologien.“ Durch einen Produktentwicklungszyklus konnte so beispielsweise der Einsatz von 3-D-Druckern für die Herstellung implementiert, optimiert und beschleunigt werden.
„Kein Produkt ist je fertig“, sagt Tamaz Georgadze, Gründer des FinTechs Raisin. Eine Frage müsse jedoch im Kern einer jeden Weiterentwicklung stehen: „Wo liegen die Pain-Points der Kunden? Was könnte man besser machen als bisher?“ Um diese Pain-Points zu beseitigen, müsse man immer wieder mit Regeln und Gewohnheiten brechen, betont Georgadze.
Strategie 4: Innovationstreiber werden!
Innovationen zu fördern ist eine zentrale Führungsaufgabe. Das bedeutet nicht nur, das Eigene stets weiterzuentwickeln, sondern es notfalls auch zu verwerfen.
Moderatoren gesucht
Veränderung bedingt immer auch begleitende Kommunikation. „In der aktuellen Situation braucht man vor allem starke Moderationsfähigkeiten“, sagt Dr. Ulrich Krantz, Vorsitzender des Vorstands des Pflegediensts K&S. Sein Haus treffen die Auswirkungen der Pandemie-Bekämpfung besonders schwer, da jedes Bundesland andere Hygienevorschriften für die Versorgung pflegebedürftiger Menschen vorgibt. Bei bundesweit 50 Standorten ein organisatorischer Albtraum. „Nur mit der richtigen Kommunikation konnten wir die Entscheidungen der Politik aufnehmen, bewerten, an unsere Mitarbeiter weitergeben und umsetzen.“
Ein Learning, das selbst ein junges Unternehmen der Digitalwirtschaft wie xbAV, eine Plattform für -Altersvorsorgelösungen, noch einmal verinnerlichen musste. „Kommunikation war immer wichtig. Sie bekommt jetzt aber einen neuen Stellenwert“, erklärt Chief Platform Officer Reinhard Janning. „Wir sprechen immer mehr via Video. Wenn wir uns jetzt auf Verständlichkeit, Kontext und Offenheit konzentrieren, gewinnen wir alle.“ All dies geht einher mit einer veränderten Erwartungshaltung seitens der Belegschaft. Heute erwarten Mitarbeiter einfach mehr Transparenz.
Eine für viele neue Herausforderung ist es, Teams oder Unternehmen zu führen, in denen ein (wesentlicher) Teil der Mitarbeiter vom Homeoffice aus arbeitet. Medienkompetenz, Strukturen, eine Feedbackkultur und nicht zuletzt Vertrauen sind gefragt. Dennoch zeigt die Hays-Studie wenig überraschend, dass persönliche Kontakte in diesen Zeiten extrem wichtig sind – insbesondere auch seitens der Mitarbeiter.
Zurück ins Office
Das kann Jan Hatje, Leiter des Teams Internet of Things sowie Vorstandsmitglied bei der M&A-Beratung Oaklins Germany, bestätigen: „Hier findet sich eine Grenze der Digitalisierung. Wir haben die Beobachtung gemacht, dass unsere Mitarbeiter nach anfänglicher Homeoffice-Euphorie irgendwann doch wieder mehr zusammen im Büro arbeiten wollten. Da realisiert man erst, welchen Stellenwert persönlicher Kontakt in einem Unternehmen einnimmt.“ Hatje wird deshalb – wie viele seiner Kolleginnen und Kollegen – in Zukunft eine Kombination aus Arbeit im Büro und im Homeoffice anbieten.
Die in der Pandemie erprobten Möglichkeiten des Remote-Working und dessen systemische Verankerung erleichtern das Recruiting von Mitarbeitern aus anderen Regionen oder Ländern – ein Vorteil beim Kampf um die besten Mitarbeiter, dem War for Talents.
BRAIN-CFO Linnig: „Unser Kern-Asset sind unsere Mitarbeiter. Daher muss man auch neue Arbeitsformen ausprobieren, um Mitarbeiter zu halten und neue Talente zu gewinnen.“ Dabei sieht er es als seine Aufgabe an, die internen Arbeitsprozesse noch flexibler zu gestalten. Die Neuausrichtung der Unternehmenskultur wird somit zum ausschlaggebenden Faktor für die Suche und Bindung von Mitarbeitern.
Strategie 5: Konzentration auf Kommunikation!
Führungskräfte brauchen Moderationsfähigkeiten und Empathie, um die eigenen Anliegen besser kommunizieren und auf die des Teams eingehen zu können.
Anders auf die Dinge schauen
Sobald Mitarbeiter gefunden und gebunden sind, gilt es, ihre unterschiedlichen Talente sichtbar zu machen. So ist auch die Förderung von Diversität und Inklusion in vielen Unternehmen längst keine Kür mehr, sondern Pflicht. Andere Blickwinkel verbessern die Wettbewerbs- und damit die Zukunftsfähigkeit von Produkt und Unternehmen (siehe Seite 24). „Gemischte Teams steigern Kreativität und Innovationskraft – Skills, die für Organisationen unersetzlich sind“, betont Aletta Gräfin von Hardenberg, Geschäftsführerin des Charta der Vielfalt e. V. „Die Krise zeigt ganz deutlich: Wir brauchen noch mehr aktives Diversity-Management, um turbulente Zeiten erfolgreich zu bewältigen.“
Strategie 6: Divers und inklusiv gewinnen!
Verschiedene Fähigkeiten, Sichtweisen und Hintergründe bereichern Teams und Unternehmen.
Die Suche nach dem Sinn
Vision und Unternehmenszweck liefern den Unterbau für die Zukunftsfähigkeit. Dementsprechend geht Purpose über die Profitmaximierung hinaus, denn es geht um eine Ausrichtung, die einen gesellschaftlichen Mehrwert bietet und mit der sich Mitarbeiter wie Kunden identifizieren können. „Wenn Purpose wirklich gelebt wird, profitieren alle Beteiligten“, sagt Kerstin Köder, Head of Marketing EMEA bei SAP (siehe Seite 34). Auch Führungskräfte profitieren von einem glaub-würdigen und gelebten Purpose. Laut KPMG-Studie sagen 79 Prozent der befragten CEOs, dass ein Un-ternehmenssinn sie in der Krise emotional stärker an ihre Firma gebunden habe. 77 Prozent verstehen dank eines Purpose, was zu tun ist, um die Bedürfnisse der Stakeholder – Mitarbeiter, Kunden, Partner, Investoren und Gemeinden – besser zu erfüllen.
Strategie 7: Die Frage nach dem „Warum“ beantworten!
Ohne tieferen Sinn kommt kaum ein Unternehmen noch aus. Doch das, was über die reine Profitmaximierung hinausgeht, muss passen und gelebt werden.
Sieben Strategien, die aus Wandlungsprozessen Dynamik erzeugen – und eine Vision mit Leben füllen.