Wolfgang Steiger: „Dolchstoß für die Unternehmen“
Rund 1,5 Millionen Arbeitsplätze sind derzeit in Deutschland unbesetzt, Unternehmen klagen über alle Branchen hinweg über einen gravierenden Mangel an Arbeitskräften. Mit dem Renteneintritt der Babyboomer werden noch mehr Stellen in der Wirtschaft nicht mehr besetzt werden können. Dabei steckt unsere Ökonomie mitten in der Rezession. Angesichts dieser Gemengelage klingt die Idee Viertagewoche, als stamme sie aus einem anderen Jahrtausend. Und im Prinzip ist das auch so. Die vor 40 Jahren 1984 hart durch Streiks erkämpfte Einführung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich in der Metall- und Elektroindustrie warb mit fast denselben Argumenten, die heute für die Viertagewoche ins Feld geführt werden: Lebensqualität, Familienzeit, Produktivität und Gesundheit der Arbeitnehmenden sollten sich verbessern. Diese Effekte waren nicht unbedingt nachweisbar, die höheren Lohnkosten, die die Wirtschaft damit einhergehend zu schultern hatte, schon.
Kontinuierlich sinkende Produktivität
In Deutschland sind auch ohne Viertagewoche die Arbeitskosten zuletzt bereits sehr deutlich gestiegen. Im Schnitt kostete 2023 die Arbeitsstunde 41,30 Euro und war damit um 30 Prozent teurer als der EU-Durchschnitt. Für eine Arbeitsstunde im verarbeitenden Gewerbe mussten Arbeitgeber sogar 44 Prozent mehr als im EU-Schnitt aufbringen. In den vergangenen Jahren wurden nicht nur substanzielle Lohnsteigerungen durchgesetzt, zugleich lassen immer schwerer zu finanzierende Sozialversicherungssysteme die Beiträge für Arbeitgeber und Arbeitnehmer explodieren. Obendrauf kommen noch die Entgeltfortzahlungen im Krankheitsfall. Diese haben sich laut Institut der deutschen Wirtschaft Köln in den zurückliegenden 14 Jahren verdoppelt und die Wirtschaft 2023 fast 77 Milliarden Euro gekostet. Die Produktivität hingegen sinkt in Deutschland seit 2017 kontinuierlich. 2023 ging das Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigenstunde um 0,8 Prozent zurück.
Wochenarbeitszeit unter EU-Durchschnitt
Die Deutschen arbeiten auch insgesamt weniger als die meisten ihrer europäischen Nachbarn. Schon der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl beklagte im Jahre 1993 „den kollektiven Freizeitpark Deutschland“. Zum guten Ton gehören hierzulande im Schnitt 30 Tage Urlaub und acht gesetzliche Feiertage. Bei der Wochenarbeitszeit lagen wir bei Vollzeitstellen mit im Schnitt 40,3 Stunden 2023 unter dem EU-Durchschnitt.
Ein Viertel höhere Stundenlöhne wären in der Rezession der Dolchstoß für die Unternehmen hierzulande.
Summa summarum käme eine Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich nicht nur zur Unzeit, sondern die Unternehmen auch teuer zu stehen. Unser ohnehin schon durch hohe Energiekosten, Arbeitskräftemangel, Bürokratielasten und hohe Arbeitskosten wenig wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstandort würde international weiter abrutschen. Das können sich weder SPD noch IG Metall wünschen. In vielen Industriebetrieben ist die Lage bereits prekär. Die Mehrheit der Bürger hat da das richtige Gespür: 55 Prozent lehnen Umfragen zufolge die Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich ab. Sie wissen, dass Wohlstand erarbeitet werden will und in der Rezession ein Viertel höhere Stundenlöhne der Dolchstoß für die Unternehmen hierzulande wären.
Holger Grießhammer: „Ein gangbarer Weg“
DUP UNTERNEHMER-Magazin: Viertagewoche ja oder nein?
Holger Grießhammer: Das kommt auf die Branche an. Ich bin selbst Handwerksmeister, und wir haben das Thema in meinem Malereibetrieb lange diskutiert. Denn dass Work-Life-Balance ein wichtiger Aspekt ist, spüren wir in der Belegschaft. Aber stellen Sie sich vor, wir streichen ein Schlafzimmer und werden Donnerstag nicht ganz fertig. Dann können wir die Auftraggeber nicht vier Tage auf dem Wohnzimmersofa schlafen lassen, weil wir im Betrieb die Viertagewoche haben. Andererseits kenne ich auch Handwerkerkollegen, bei denen die Viertagewoche gut funktioniert. Ein Möbelschreiner zum Beispiel liefert einfach dann, wenn das Möbelstück fertig ist.
Es müssten ja nicht alle Mitarbeitenden am selben Tag frei haben.
Grießhammer: Das haben wir auch überlegt. Aber wenn am fünften Tag ein ganz anderes Team zu den Kunden kommt als an den Vortagen, ist das in unserem Metier zumindest schwierig. In anderen Branchen, zum Beispiel in der Pflege, mag das gehen. Deshalb bin ich für flexible Regelungen mit den Tarifpartnern statt für pauschale Lösungen.
Manche Betriebe nutzen die Viertagewoche, um überhaupt noch Fachkräfte zu finden.
Grießhammer: Ja, wir sehen beispielsweise in der Pflegebranche, dass Geld nicht alles ist. Seit 2018 gab es dort Lohnsteigerungen von 50 Prozent mit Inflationsausgleich. Aber den Fachkräftemangel hat das nicht behoben. Die Viertagewoche kann ein Baustein sein, um Mitarbeitende an den Betrieb zu binden.
Bei Volkswagen sehen wir den umgekehrten Fall: Dort hat Ihre Parteichefin Saskia Esken vorgeschlagen, mithilfe der in der Vergangenheit schon angewendeten Viertagewoche betriebsbedingte Kündigungen und Werksschließungen abzuwenden. Ist das ein
Modell für krisengeplagte Unternehmen?
Grießhammer: Das ist mit Sicherheit ein gangbarer Weg. Wenn sich Arbeitgeber und Belegschaft einigen und sich alle Seiten etwas zurücknehmen, kann das die Krise und ihre Folgen abmildern. Vier Tage zu arbeiten bei entsprechendem Lohnverzicht ist besser, als wenn Hunderte Leute entlassen werden müssen.
Mit mehr Fleiß allein werden wir unsere Wirtschaft nicht retten.
Für Vertreter anderer Parteien und auch so manchen Ökonomen schließen sich Viertagewoche und wachsender Wohlstand aus. Wie soll Deutschland mit weniger Arbeit aus der Rezession herauskommen?
Grießhammer: Ich bin weder für eine pauschale Anhebung noch für eine pauschale Absenkung der Wochenarbeitszeit. Die CDU und auch die CSU in Bayern fordern immer wieder, wir müssten Leistung wieder in den Vordergrund stellen und mehr statt weniger arbeiten. Aber die Arbeit muss für Mitarbeitende, beispielsweise körperlich tätige Handwerker, auch leistbar bleiben. Ich bin überzeugt, dass sich auf die Dauer eines Arbeitslebens gesehen nicht mehr Arbeitsleistung erzielen lässt, indem die Wochenarbeitszeit angehoben wird. Daher halte ich die Forderung, wir müssten mehr arbeiten, um den Fachkräftemangel zu beheben, für eine Scheindebatte. Fakt ist: Wir haben einen gravierenden Arbeitskräftemangel. Ob im Handwerk, in der Pflege oder bei der Polizei – es fehlen so gut wie überall Auszubildende. Deshalb brauchen wir qualifizierte Zuwanderung in den Arbeitsmarkt. Gleichzeitig müssen wir den Zuzug in die Sozialsysteme verringern, um Akzeptanz für qualifizierte Zuwanderung zu erreichen. Das ist ein Spagat. Und daher ist der Rechtsruck, den wir momentan sehen, so fatal. Denn welches Bild gibt Deutschland gerade ab? Wer möchte da zu uns kommen, um hier zu arbeiten? Das ist ein großes Problem, denn mit mehr Fleiß allein werden wir unsere Wirtschaft nicht retten.