Lieber weniger Gehalt, dafür aber auch weniger Arbeitszeit pro Woche und damit eine bessere Work-Life-Balance haben: Für 54 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Deutschland wäre dieses Szenario denkbar. Das geht aus der Studie „Hybrides Arbeiten 2022“ von HubSpot, einem Anbieter von CRM-Software, hervor.
Mit diesem Wunsch stehen die Deutschen im internationalen Vergleich allerdings weitgehend alleine da. Nur Arbeitnehmende aus Irland würden für eine 4-Tage-Woche ebenfalls mehrheitlich auf ein höheres Gehalt verzichten.
Weniger Arbeitstage, dafür mehr Zeit am Wochenende
Im Februar sorgte die Tatsache, dass Angestellte in Belgien einen Rechtsanspruch auf eine 4-Tage-Woche bekommen, auch in Deutschland für Schlagzeilen. Allerdings wird dabei die Arbeitszeit nicht verkürzt, sondern nur anders verteilt. „Es geht darum, Arbeitnehmern mehr Flexibilität und Freiheit zu geben“, begründete der belgische Premierminister Alexander De Croo die Entscheidung.
In Österreich will der Discounter Lidl seinen Büromitarbeitenden noch im Laufe dieses Jahres anbieten, ihre Regelarbeitszeit von 38,5 Stunden ebenfalls in nur vier statt in fünf Tagen abzuleisten. Und laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag von RTL und ntv würden sich 71 Prozent der befragten deutschen Arbeitnehmenden über eine vergleichbare Regelung – also Vollzeit, aber an weniger Tagen zu arbeiten – freuen.
Der Haken an der Sache: Die deutschen Arbeitszeitgesetze sorgen dafür, dass eine 4-Tage-Woche bei vollem Stundenumfang nicht ohne weiteres umsetzbar ist.
Kann die 4-Tage-Woche in Deutschland Realität werden?
Einen Rechtsanspruch haben Arbeitnehmende in Deutschland bereits heute auf Teilzeitarbeit. Dabei werden allerdings die Arbeitszeit und auch das Gehalt reduziert; ob an vier oder fünf Tagen pro Woche gearbeitet wird, wird individuell mit dem Arbeitgeber vereinbart.
Zwar ließe sich eine 40-Stunden-Woche theoretisch auf vier Arbeitstage pro Woche aufteilen, da eine tägliche Höchstarbeitszeit von zehn Stunden zulässig ist. Voraussetzung dafür ist aber, dass ein Zeitausgleich stattfindet, der garantiert, dass Angestellte im Durchschnitt eines Zeitraums von 24 Wochen maximal acht Stunden pro Werktag arbeiten.
Wer also bei einer 4-Tage-Woche weiterhin Vollzeit arbeiten will, bewegt sich konstant am Limit des arbeitsrechtlich zulässigen. Jede Minute Mehrarbeit wäre damit automatisch ein Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz. Und dieses Risiko werden Arbeitgebende kaum eingehen wollen – zumal sie mit Mitarbeitenden, die konstant am rechtlichen Limit arbeiten, auch keine Auftragsspitzen abfedern können.
4-Tage-Woche steigert die Produktivität
Darüber hinaus bringt eine 4-Tage-Woche ganz neue Probleme für die Arbeitsorganisation mit sich. Denn Angestellte, die nur vier Tage arbeiten, sind einen Tag lang nicht für Kunden und Geschäftspartner erreichbar. Diese Lücke gilt es zu füllen, damit solch ein Arbeitszeitmodell nicht zulasten des Unternehmens geht. Das verkompliziert die Personalplanung und macht Schichtmodelle auch in Bereichen erforderlich, in denen das bis dato nicht nötig war. In der Folge steigt der administrative Aufwand für Arbeitgebende.
Befürworter der 4-Tage-Woche betonen allerdings, dass Angestellte aufgrund der längeren Erholungspausen an den langen Wochenenden motivierter und produktiver sind. Als Beweis dafür wird bevorzugt auf ein Projekt in Island verwiesen. Im Auftrag der Regierung arbeiteten dort 2.500 Menschen fünf Jahre lang nur vier Tage pro Woche – und zwar ohne Lohnabzug. Das Ergebnis: Die Teilnehmenden an diesem Test waren insgesamt glücklicher und weniger gestresst; ein Produktivitätsverlust wurde nicht registriert.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kam Microsoft. Der Konzern testete 2019 in Japan die 4-Tage-Woche. Dabei zeigte sich, dass die Produktivität um 40 Prozent zunahm – und dass die Stromkosten um 23 Prozent sanken.
Weltweit größtes Experiment in Großbritannien gestartet
Für Aufsehen sorgte Anfang Juni auch der Start eines groß angelegten Feldversuchs in Großbritannien: Mehr als 70 Unternehmen mit über 3.300 Angestellten beteiligen sich an diesem weltweit bisher größten Experiment zur 4-Tage-Woche. Dabei erhalten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das gleiche Gehalt wie zuvor, müssen allerdings die gleiche Arbeit in weniger Zeit – also in 32 Stunden – schaffen.
Laut ersten Ergebnissen bestätigte sich dabei die sogenannte 100-80-100-Theorie von Andrew Barnes von der neuseeländischen Treuhandgesellschaft Perpetual Guardian. Die Zahlenkombination steht für 100 Prozent Bezahlung, 80 Prozent Arbeitszeit und 100 Prozent Leistung. Dadurch werden folgende Effekte erzielt:
- höhere Effizienz
- höhere Produktivität
- bessere Work-Life-Balance
Das gilt allerdings nur dann, wenn Organisationen auch strukturelle und kulturelle Veränderungen vornehmen, um flexible Arbeitszeitmodelle effektiv einsetzen zu können.
Steuerkanzlei setzt kurze Arbeitswoche um
Großversuche dieser Art gibt es in Deutschland bislang nicht. Doch in einzelnen Unternehmen laufen Tests mit der 4-Tage-Woche. So wurde in der Steuerkanzlei von Andreas Schollmeier in Moers gerade eine kürzere Arbeitswoche bei vollem Gehalt eingeführt. 36 Stunden auf vier Tage verteilt sind dort nun Standard für die 15 Mitarbeitenden.
Möglich sei das, so Schollmeier, insbesondere durch die Digitalisierung von Prozessen: „Die Mitarbeiter können bei mir aufgrund diverser digitaler Tools schlichtweg produktiver arbeiten. So kann die Arbeitszeit eingespart werden.“