Gründung durch Frauen

Lexware-CEO Christian Steiger: „Scheitern? Viel zu negativ behaftet“

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Für die Transformation hin zu einer diversen Gründungsszene bedarf es Zeit und Geduld. Carina Frings, Gründerin des Start-ups UDO, und Christian Steiger, Geschäftsführer des Softwareunternehmens Lexware, erklären, wie es mehr weibliche Gründungen geben könnte, warum Scheitern hilfreich sein kann und weshalb das richtige Maß an Leidenschaft bei der Unternehmensgründung so wichtig ist.

17.02.2023

Carina Frings kennt die Höhen und Tiefen des Unternehmertums. Mit ihrem Start-up UDO, das ab 2017 nachhaltige Mehrwegdeckel für Tassen, Becher und sonstige Gefäße herstellte, sahnte sie einen Deal bei der TV-Investment-Show „Die Höhle der Löwen“ ab. 2022 musste sie dennoch aus verschiedenen Gründen Insolvenz anmelden.

Ein Grund dafür, so Frings, sei die fehlende Erfahrung gewesen. Umso wichtiger ist es für Christian Steiger, Geschäftsführer des Softwareunternehmens Lexware, dass sich Gründerinnen wie Frings für die firmeneigene Gründungsinitiative Lexrocket engagieren. Die ehrlichen Einblicke liefern Start-ups und Unternehmen wertvolle Erkenntnisse.

Carina Frings

gründete 2017 das Start-up UDO, das Mehrwegdeckel für verschiedene Gefäße entwickelte. Nach der Insolvenz 2022 wurde sie Business Relations Consultant bei Muydozo sowie Content Creator und Mentorin bei Lexrocket

Christian Steiger

ist Geschäftsführer von Lexware und Founder der Cloud- Buchhaltungslösung Lexoffice. 2008 gründete er die Livestreaming- Plattform Zaplive Media, die er 2010 wieder verließ

Frau Frings, an der Spitze aller 160 Dax-, MDax- und SDax-Unternehmen standen 2022 mehr männliche CEOs mit dem Namen Thomas als weibliche Vorsitzende. Was überwiegt bei Ihnen – Verwunderung oder Enttäuschung?

Carina Frings: Keines von beidem, denn es würde nichts ändern. Wir sind in dieser Hinsicht zu ungeduldig; immerhin befinden wir uns mitten in einer Transformationphase – Wandel bedarf Zeit. Natürlich muss sich langfristig etwas verändern, allerdings geht das nicht von heute auf morgen.

Herr Steiger, was halten Sie von diesen Zahlenspielen?

Christian Steiger: Diese Zahlen sind natürlich bitter. Deswegen ist es umso wichtiger, dass wir Veränderungen zulassen und zusätzliche Vorbilder schaffen. Dazu fällt mir der berührende Satz der Poetin Amanda Gorman bei der Vereidigung des US-amerikanischen Präsidenten Joe Biden ein: „Once little girls can see it, little girls can be it.“ Menschen brauchen Vorbilder, die sie inspirieren. Derzeit ist der Männeranteil an diesen öffentlichen Vorbildern noch größer, was aber an den Rahmenbedingungen der vergangenen Jahrzehnte liegt – und sich zunehmend ändert.

Wie wollen Sie das anstellen?

Steiger: Carina hat recht: Diese gesellschaftliche Transformation geht nur schrittweise. Ziel muss es sein, kontinuierlich Konzepte zu entwickeln, Debatten über Geschlechterparität oder auch Diversität zu führen, entsprechende Initiativen anzustoßen und bewusst die Erfolgsstorys von gelungenen Beispielen zu erzählen. Bei Lexware gibt es das Format „Tell your Story“. Darin können Unternehmerinnen und Unternehmer ihre persönlichen Visionen und Ideen für die Welt von morgen schildern. Aus derartigen Netzwerken schöpfen junge Menschen Mut sowie Inspiration, und sie fördern gleichzeitig den Austausch untereinander. Menschen mit diesem besonderen Unternehmergeist möchten wir eine Stimme geben.

Frings: Bei Lexrocket, der Gründungsplattform von Lexware, ist der weibliche Anteil bei den Bewerbungen für die Start-up-Camps und die generelle User-Rate sogar höher als der männliche. Die Ursache ist im Austausch begründet, der in diesem Netzwerk auf Augenhöhe stattfindet. Wir brauchen noch mehr solcher Programme auf Augenhöhe, die ohne Vorurteile alle Gründungsgeister berücksichtigen und die oft elitären Strukturen der Vergangenheit durchbrechen. Dann werden auch mehr Frauen ihr eigenes Business ins Leben rufen.

Ihr Unternehmen UDO ist insolvent gegangen, dennoch sehen Sie sich nicht als gescheitert. Warum nicht?

Frings: Anfangs habe ich mich wie eine Versagerin gefühlt. Mein größter Traum ist in sich zusammengefallen, ohne dass ich es aus eigener Kraft aufhalten konnte. Nach einer sehr intensiven Trauerphase kam aber irgendwann mein Mut zurück, mich der Situation zu stellen und meinen Weg zu rekapitulieren. Immerhin habe ich den kompletten Lebenszyklus eines Start-ups begleitet: Angefangen mit der Gründung während des Studiums über harte Investorenrunden bis hin zur bitteren Pleite, bei der plötzlich keine Kreditkarte mehr funktionierte. Mit zwei Coaches und in einer Psychotherapie arbeite ich diese Zeit auf. Mein vermutlich größtes Learning bisher ist, dass Scheitern dazugehört. Es ist vergleichbar mit einer schlechten Hausaufgabe oder einer nicht bestandenen Prüfung: Das kann jedem Menschen passieren. Lehren daraus zu ziehen und die Möglichkeit, offen darüber zu sprechen, sind entscheidend. Das gilt besonders für junge Gründende, die diese Last ansonsten ihr ganzes Leben mit sich herumtragen.

Nach Ihrem Auftritt bei „Die Höhle der Löwen“ hat Star-Investor Ralf Dümmel in UDO investiert. Wie hat er auf die Insolvenz reagiert?

Frings: Ralf ist ein erfahrener Unternehmer, der sich des Risikos eines Investments bewusst ist. Er hat mich in dieser Phase sehr unterstützt. Wir stehen nach wie vor im Kontakt. Steiger: In der Öffentlichkeit ist das Wort „scheitern“ zu negativ behaftet. Aber Carina hat sehr schön beschrieben, wie es sich anfühlt – bildlich gesprochen – einfach mal gegen die Wand zu laufen, um danach allen Selbstzweifeln zum Trotz schlauer wieder aufzustehen. Wer diesen Mut aufbringt, wird auf lange Sicht belohnt. Schauen Sie sich Verena Bahlsen an...

...die als Strategiechefin des Keks-Konzerns Bahlsen unlängst ihren Rücktritt verkündete.

Steiger: Sie hat zugegeben, dass sie der komplexen Führungsaufgabe in einem Weltkonzern mit Ende 20 aus verschiedenen Gründen noch nicht gewachsen ist. Medial wurde sie als Verliererin gescholten. Aber viele Menschen haben ihr für diese ehrliche Selbstreflexion und ihren mutigen Realismus Respekt gezollt. Dieses Eingeständnis hat eine wichtige Debatte entfacht.

Frau Frings, was würden Sie heute anders machen?

Frings: Ich würde mich bewusster mit den Risiken beschäftigen und potenzielle Auswege in jede Entscheidung miteinbeziehen. Ich war so begeistert von meiner Idee, dass ich Schwächen und Risiken einfach übersehen habe. Als Junggründerin bekommt man zum Beispiel nicht so einfach einen Geschäftskredit, sodass ich einen Kredit mit privater Haftung aufgenommen habe. Diesen bezahle ich noch jahrelang ab. Es gibt weitere Punkte, aber die Aufarbeitungsphase ist noch nicht abgeschlossen.