Interview

New Work: Ein sozialromantisches Konzept?

In unserem Interview-Format "Hype oder Revolution? New Work im Expertencheck" fragen wir regelmäßig hochkarätige HR-Expertinnen oder Experten zu den aktuellen Entwicklungen in der Personalentwicklung- und gewinnung. Einer davon ist Stefan Scheller. Er ist Gründer von Persoblogger.de, einer der bekanntesten deutschsprachigen HR-Websites.

New Work: Ein Bild einer Frau, die am Laptop sitzt und mobil arbeitet.

29.10.2024

Ist New Work für Sie mehr Hype oder echte Revolution?

Es kommt ganz darauf an, was man unter dem Begriff „New Work“ konkret versteht. Das grundlegende Konzept aus den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts war ja vor allem geprägt von Kapitalismuskritik und sollte zur (teilweisen) Befreiung der abhängig Beschäftigen führen, damit sie in der frei gewordenen Zeit das tun können, was sie wirklich wirklich wollen.
Dass moderne Unternehmen in der Mehrzahl hieran nur bedingt Interesse zeigen, dürfte klar sein. Dennoch erschien es lange Zeit so, als wäre der Zielzustand eines „New Work“ Unternehmens jetzt und heute ein Muss. Und sei es nur für das Employer Branding zu Zeiten des Fachkräftemangels.
Insgesamt wurde der Begriff einerseits komplett verkürzt, zum Beispiel während Corona auf „mobile, digitale Arbeit“ oder auch als reines „Feelgood Management“ ohne Bezug zu den wirtschaftlichen Realitäten des Unternehmens. In gewisser Hinsicht also eine Art „sozialromantische Sichtweise“.
Andererseits wurde der Begriff aber auch vollgepackt mit vergleichsweise unwichtigen Einzelmaßnahmen, wie dem berühmten Obstkorb, Tischkicker oder auch das Bällebad.
Wenn man das Thema „New Work“ aber einmal auf die Ebene der Frage nach den richtigen ganzheitlichen Rahmenbedingungen für die „produktive und gesunde Arbeit der Zukunft“ bringt, halte ich es auch heute noch für hochgradig relevant für alle Unternehmen. Denn wir sprechen hier über die Zukunftsfähigkeit.
Daher ist es deutlich mehr als ein Hype, aber auch keine klassische Revolution. Denn die Umsetzung entsprechender Maßnahmen nimmt sich das Unternehmen ja in seiner eigenen Geschwindigkeit selbst vor – oder eben auch nicht. „New Work“ passiert nicht einfach so. Es ist ein gewollter Invest.

Haben Sie das Gefühl, dass Flexibilität im Job wirklich mehr Freiheit bringt – oder nur zusätzlichen Druck?

Es kommt darauf an, womit diese erhöhte Flexibilität einhergeht. Zum einen müssen die Rahmenbedingungen und Leitplanken klar sein, auch rechtlich. Dann braucht es eine technisch passende Ausstattung sowie ein Gesamtkonzept, wie diese Flexibilität in der Organisation konkret gelebt werden soll. Ein Beispiel ist die Frage, wer entscheidet wie darüber, ob eine Person vorwiegend im Homeoffice arbeitet oder im Büro? Ist dieser Prozess nicht klar geregelt, kann es sehr schnell zu Irritationen und Komplikationen führen, die dann richtig Druck machen können, vor allem wenn arbeitsrechtliche Komponenten hinzutreten.
Auch ist Flexibilität und „Freiheit“ in der Entscheidung beziehungsweise Selbstorganisation nicht für alle gleichermaßen positiv in der Wahrnehmung. Es gibt eine Vielzahl von Mitarbeitenden, die von zu viel Entscheidungsfreiheit durchaus überfordert sind. Das sollten Führungskräfte und HR immer bedenken.
Für mich ganz persönlich bedeutet Flexibilität im Job aber tatsächlich ein erhöhtes Maß an Freiheit, im Sinne von Selbstbestimmung und Jobautonomie.

Würden Sie sagen, dass New Work eher den Unternehmen oder den Mitarbeitenden nützt?

Naja, es muss eindeutig beiden nutzen. Wenn die Arbeit der Zukunft nur für die Mitarbeitenden gedacht wird, werden Errungenschaften sehr schnell wieder zurückgenommen, vor allem in Krisenzeiten. Auch kann es nicht sein, dass wir ein Unternehmen komplett „auf den Kopf stellen“ und die Wirtschaftlichkeit vernachlässigen zugunsten einer irgendwie gestalteten Mitarbeitendenzufriedenheit. Diese führt nicht automatisch zu mehr Produktivität, sondern kann auch träge und selbstzufrieden machen.
New Work richtig umgesetzt dient dem Zweck, das Unternehmen zukunftssicher aufzustellen – auch und insbesondere durch produktive, zufriedene beziehungsweise besser: motivierte, Mitarbeitende. Aber eben nicht nur.
Alle einseitigen Auslegungen des Begriffs führen zu nichts Gutem.

Glauben Sie, dass sich durch New Work die klassische Karriereleiter überlebt hat?

Definitiv nicht. Es reden zwar alle immer von agilen Teams, Arbeit auf Augenhöhe, Selbstorganisation usw. In der Realität hilft es vielen Organisationen aber ungemein, wenn hierarchische Strukturen vorhanden sind. Die Frage ist doch immer, wie diese gelebt werden. Für mich ist Hierarchie nicht per se schlecht. Sie wird dann schlecht, wenn die Produktivität darunter leidet, zum Beispiel weil Führungskräfte einseitig die Mitarbeitenden unter Ausnutzung der hierarchischen Struktur demotivieren.
Hierarchie kann aber auch sehr viel Halt und Stabilität geben. Und die tatsächliche Führung muss deswegen noch lange nicht „hierarchisch“ oder gar autoritär sein.
Insofern bleibt Karriere in der Vertikalen bestehen – den Begriff „Karriereleiter“ empfinde ich dennoch als überholt und häufig negativ konnotiert.
Aber: Hinzu kommen zahlreiche weitere Karrieremöglichkeiten, zum Beispiel horizontal. Wir sprechen hier zum Beispiel über Job-Enrichment, Job-Enlargement, Projekte, von einer Trennung der personellen von der fachlichen Führung und vielem mehr.
Im Grunde stellt sich bei „Karriere“ immer die Frage, was als solche wahrgenommen wird. Kann eine Person auch in einer Expertinnen- oder Experten-Rolle mehr Verantwortung erhalten und gleichzeitig mehr verdienen, schafft das zusätzlich Flexibilität für alle.
Unabhängig vom Thema New Work, werden die meisten Unternehmen dennoch weiterhin von einer „Karriereleiter“-Denke dominiert. „New Work“ Ansätze sind kein Massenphänomen. Selbstverständlich gibt es hier auch Branchenspezifika beziehungsweise größere Unterschiede je nach Berufsbild.

Welche New-Work-Idee würden Sie sofort abschaffen, wenn Sie könnten?

Nachdem die Unternehmen letztlich selbst entscheiden müssen, was auf dem Weg zur „Arbeit der Zukunft“ für sie das Richtige ist, tue ich mir etwas schwer, Maßnahmen oder Ideen per se zu verteufeln. Je nach Organisation kann eine Maßnahme im einen Unternehmen positiv Wunder wirken, in einer anderen Organisation hingegen Chaos stiften.
„Abbringen“ würde ich aber gerne alle Personalverantwortlichen vom Gedanken, dass New Work insgesamt nur Nonsens ist, und in einem Gegensatz steht zum Unternehmertum oder der wirtschaftlichen Entwicklung einer Organisation. Hier wurde in den letzten Jahren auch medial viel Porzellan zerschlagen.
Klar ist: ALLE Unternehmen müssen sich damit auseinandersetzen, wie sie auch in Zukunft erfolgreich wirtschaften können – mithin ihre Organisation in eine „zukünftige Arbeit“ überführen. Wie viel Evolution oder Revolution das am Ende bedeutet, ist dabei sehr unterschiedlich.

New Work: Portrait des HR-Bloggers Stefan Schuller.

Stefan Scheller

ist Gründer von Persoblogger.de einer der bekanntesten deutschsprachigen HR-Websites. Außerdem zählt er laut Personalmagazin zu den Top HR-Influencern und ist Top Voice in mehreren Kategorien.