Interview

New Work: Eigenverantwortung deutlicher definieren und ernst nehmen

New Work: Mann sitzt vor einem Laptop.

01.10.2024

Alternative Arbeitszeitmodelle, diversere Teams, flexible Modelle im Beruf: New Work steht aktuell in der HR-Branche hoch im Diskurs. Doch wie viel Nutzen hat der Trend wirklich? Wir haben HR-Expertinnen und -Experten in unserem neuen Format "Hype oder Revolution? New Work im Expertencheck" gefragt. Joachim Dierks ist Geschäftsführer und Mitgründer der CYQUEST GmbH, einem führenden Anbieter von Assessment-Lösungen für Personalauswahl und Berufsorientierung im deutschsprachigen Raum. Er gründete er im Jahr 2000 CYQUEST. Zudem ist er als Hochschuldozent für Eignungsdiagnostik tätig, Buchautor und Speaker bei HR-Fachkongressen. Sein Recrutainment Blog gehört zu den meistgelesenen HR-Blogs im deutschsprachigen Raum, und als LinkedIn- sowie Personio TopVoice prägt er die Diskussion um die Zukunft der Personalgewinnung maßgeblich mit. 

Joachim Diercks

ist Geschäftsführer und Co-Founder der CYQUEST GmbH. Sein Recrutainment Blog ist einer der meistgelesenen deutschsprachigen HR-Blogs. Er ist LinkedIn- und Personio TopVoice und gilt als einer der Vordenker wie sich die Personalgewinnung zukünftig entwickeln wird.

DUP UNTERNEHMER: Ist New Work für Sie mehr Hype oder echte Revolution?

Der Begriff New Work wird ja leider allzu häufig auf die sichtbaren Artefakte wie Home-Office, Remote Work oder Workations reduziert. Dabei handelt es sich hierbei ja nur um organisationale Veränderungen, die dann allgemein sehr aufgeregt diskutiert werden. Insofern könnte man es als Hype sehen, an Pendel die mal in die eine Richtung ausschlagen und dann wieder in die andere („Home-Office für alle!“ versus „alle wieder ins Büro zurück!“). Die dieser Entwicklung aber eigentlich zugrundeliegenden Veränderungen der Arbeitswelt sind meines Erachtens wirklich bedeutsam: die Organisation der Arbeit um den Menschen und dessen individuellen Fähigkeiten und Potenziale herum statt alles auf den Arbeitsort auszurichten, der Fokus auf das Arbeitsergebnis und weniger auf die Arbeitsweise, die viel größere Bedeutung der Selbstorganisation einzelner oder von Teams, all diese Verschiebungen sind grundsätzlich. Ob man das dann aber Revolution nennen kann, weiß ich nicht. Revolutionen finden ja sehr plötzlich statt. Durch die Pandemie hatte man auch das Gefühl, dass das „auf einmal über uns kam“ – alle auf einmal im Home-Office und so. Ich halte die beschriebenen Entwicklungen aber eher für grundlegende Verschiebungen, eine Evolution.

Haben Sie das Gefühl, dass Flexibilität im Job wirklich mehr Freiheit bringt – oder nur zusätzlichen Druck?

Ganz klar beides. Natürlich ist es auf eine gewisse Weise ein Mehr an Freiheit, wenn man seine Arbeit stärker selbständig organisieren kann. Es gibt einem die Möglichkeit, die verschiedenen Zwänge des Lebens besser unter einen Hut zu bringen. Wenn die Sprechstunde mit der Lehrerin des Kindes am Nachmittag liegt oder ein Arzttermin nur um 11 Uhr zu ergattern war, dann ist es sicher ein Ausdruck von Freiheit, diese Termine wahrnehmen zu können, wo man sie früher hätte ablehnen oder woanders hinlegen müssen, weil es ja „Arbeitszeit“ ist. Oder nach der Oma sehen zu können, die sich das Bein gebrochen hat, aber dreihundert Kilometer entfernt wohnt – dann arbeitet man eben für ein paar Tage von woanders. Aber diese Freiheit hat natürlich ihren Preis: Man ist eben selber verantwortlich, diese Dinge zu koordinieren, die Arbeit dann zu einer anderen Zeit oder einem anderen Ort auch zu leisten. Denn: Man ist ja eben stärker als früher auch selber für das Ergebnis verantwortlich. Und natürlich wird all das auch nicht einfacher, wenn um einen herum alle stärker von den beschriebenen Freiheiten Gebrauch machen: Wer ist wann wo? Die Abstimmung mit den Kolleginnen und Kollegen ist so natürlich erheblich herausfordernder als einfach ein Büro weiterzugehen. Flurfunk lässt sich durch Slack oder Teams einfach (noch) nicht gleichwertig ersetzen. Und das empfinden viele Menschen auch als Druck.

Würden Sie sagen, dass New Work eher den Unternehmen oder den Mitarbeitenden nützt?

Man kann das wahrscheinlich noch nicht wirklich beantworten. Es gibt stapelweise Studien, die von Produktivitätsgewinnen durch New Work berichten und es gibt jede Menge Befunde, die das Gegenteil herausgefunden haben wollen. Ob es also am Ende die „bessere“, effektivere, effizientere Form der Arbeit ist und somit den Unternehmen einen Nutzen bringt, hängt wahrscheinlich stark vom jeweiligen Einzelfall, dem Tätigkeitsbereich, der Branche und auch den individuell Beteiligten ab. Gleichwohl müssen Unternehmen hier natürlich auch bis zu einem gewissen Grad dem Zeitgeist folgen: Wenn man zwar eigentlich lieber bei herkömmlichen Arbeitsformen bliebe, aber keine Mitarbeitenden dafür gewinnen kann – etwa weil diese die Stelle für unattraktiv halten, wenn zum Beispiel keine Möglichkeit zu Remote Work angeboten wird – dann muss das Unternehmen sich hier entsprechend bewegen. Der Arbeitskräftemangel und die daraus resultierende Machtverschiebung werden ganz eigene Zwänge erzeugen. Und ob es den Mitarbeitenden nützt? Nun, da gilt eigentlich das eben gesagte mit der Freiheit und dem Druck: New Work schafft mehr Freiheiten und zumindest ein Mehr an einer gewissen Form von Druck. Wer das für sich wie genau bewertet, ist dann oftmals eine sehr individuelle Frage…

Glauben Sie, dass durch New Work die klassische Karriereleiter überlebt hat?

Die Antwort darauf kann nicht ja oder nein lauten. Hierarchien sind ja keine Erfindung der Industrialisierung oder des Taylorismus, sondern eine evolutorische Entwicklung – auch Stämme und Clans hatten Chefs und „Kommandoketten“… Und New Work bedeutet ja auch nicht, dass es alle gleich sind. Der Wunsch Verantwortung zu übernehmen und auch die Fähigkeit, diese auch tragen zu können, ist ja oftmals etwas, was „im Menschen“ begründet ist. Aber ich denke schon – und das halte ich auch für eine große Chance -, dass Überordnungs- und Unterordnungsverhältnisse sich bei New Work stärker an der Sache festmachen und weniger an externen Rahmenbedingungen wie Betriebszugehörigkeit, Alter, Status oder Ähnliches. Es kann also durchaus sein, dass etwa der Azubi ein Weisungsrecht gegenüber dem Abteilungsleiter bekommt, wenn er von einer Sache mehr versteht. Die TikTok Kampagne für das Arbeitgebermarketing ist da vielleicht einfach viel besser aufgehoben. Insofern wird es sicher weiter so etwas wie „Aufstieg“ geben, aber wahrscheinlich erheblich vielschichtiger als das traditionelle Organigramme wiedergeben.

Welche New-Work-Idee würden Sie sofort abschaffen, wenn Sie könnten?

Oh, das ist eine wirklich knifflige Frage! Ich bin ehrlich, ich hadere in diesem Kontext sehr damit, dass der Begriff „Verantwortung“ insgesamt so stark verwässert und unscharf wird. Nach meiner Beobachtung wird darunter oftmals nur noch verstanden, dass man seine eigene Arbeit selber organisieren darf und insofern dafür „verantwortlich“ ist. Aber dass „Verantwortung“ in erster Linie bedeutet, für das Ergebnis verantwortlich zu sein und zwar auch und gerade dann, wenn etwas in die Hose gegangen ist, das gerät irgendwie oft aus dem Blick. Dann heißt es oft „das habe ich nicht zu verantworten“. Und da die Arbeitsorganisation bei New Work per Definition „fluider“ ist, ist es auch viel einfacher, den eigentlichen Fehler irgendwo anders hinzuschieben. Hier wünsche ich mir eine deutlich stärkere Betonung der „Eigenverantwortung“ und zwar im wirklichen Wortsinne.