Eine digitale Weltkugel, die von Icons mit Nachhaltigkeit-Symbolen umgeben ist
07.07.2021    Miriam Rönnau
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„Die Nachhaltigkeitsdebatte in Deutschlands Top-Unternehmen hat ein neues Verständnis von langfristigem, wirtschaftlichen Erfolg und sinnhaftem unternehmerischen Agieren in den Führungsetagen angestoßen,“ erklärt Gabriele Stahl, Partnerin der Unternehmensberatung Odgers Berndtson. Deshalb wollte sie in ihrer neuen Studie „Sustainability & Leadership 2020-2021“ untersuchen, welchen Stellenwert etwa ESG-Themen haben.

Für die Studie wurden die 90 führenden Unternehmen in Deutschland hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeitsbestrebungen untersucht. Dabei zeigte sich etwa: Nachhaltigkeit ist kein bloßes Lippenbekenntnis mehr. Drei Viertel der befragten Vorstände und CEOs haben schon Nachhaltigkeitskriterien im Purpose ihres Unternehmens verankert. Doch Themen wie ESG und Nachhaltigkeit wird in den deutschen Top-Konzernen vor allem als eines angesehen: Als Chefinnen- und Chefsache. Warum das so ist und was genau hinter ESG steckt, erklärt Stahl im Interview.

Zur Person

Porträt von Gabriele Stahl

Gabriele Stahl

ist langjährige Partnerin bei Odgers Berndtson, eine Unternehmensberatungen im Bereich Executive Search

Inwiefern unterscheidet sich Environmental Social Governance (ESG) von Corporate Social Responsibility (CSR)?

Gabriele Stahl: Es gibt im Nachhaltigkeits-Kanon zahlreiche Strategien und Richtlinien, um zu beurteilen, wie verantwortungsvoll Unternehmen im Dreiklang Ökologie, Gesellschaft und Ökonomie aufgestellt sind. CSR ist im weitesten Sinn als gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen zu verstehen, nachhaltig zu wirtschaften. Es geht also um nachhaltiges Handeln aus Unternehmenssicht. Die ESG-Kriterien haben sich heute als Standard für nachhaltige Kapitalanlagen etabliert. Sie tragen also die Brille der Investoren.

Ergebnis Ihrer „Sustainability und Leadership“-Studie ist, dass Nachhaltigkeit Chefinnen- und Chefsache ist. Doch was ist, wenn der eigene Chef kein Wert auf das Thema legt?

Stahl: Unsere Studie hat ergeben, dass drei Viertel der Entscheider Nachhaltigkeit im Purpose ihres Unternehmens verankert sehen. Unsere Top Executive Evaluation zeigt aber auch, dass die Messungen von Aktivitäten im Bereich ESG belegen, dass Sustainability konsequent in den Unternehmen umgesetzt wird. Dennoch: Nachhaltigkeit ist keine reine Top-Down-Angelegenheit. Es ist wichtig, dass Nachhaltigkeitsaspekte konsequent in den Teams diskutiert werden, die Mitarbeiter begeistert werden und eine Offenheit bis auf die unteren Ebenen initiiert wird. Mit Maßnahmen wie etwa die Messung des abteilungsweiten CO2-Fußabdrucks, des Papier- oder Wasserverbrauchs, können die Mitarbeiter ihrerseits jede Menge Druck erzeugen.

Eine weitere Kernthese lautet, dass Nachhaltigkeit zu oft ein Thema auf Vorstandsebene bleibt, ohne das Unternehmen in seiner Breite zu durchdringen. Bereits in den darunterliegenden Managementebenen ebbe der Elan stark ab – nur zwei von fünf Managern auf der Führungsebene unter dem Vorstand würden Nachhaltigkeit eine hohe Bedeutung für den Unternehmenserfolg beimessen. Doch ist Nachhaltigkeit derzeit nicht ein Megatrend, der sich durch die ganze Wirtschaft und Gesellschaft zieht?

Stahl: Momentan haben die Unternehmen primär mit anderen Dingen zu kämpfen. Die Pandemie und ihre geschäftlichen, wie prozessualen Folgen sind erheblich. Da bleibt wenig Zeit für komplexe Themen, wie die Umsetzung von konkreten Nachhaltigkeitsstrategien. Trotzdem: Wandel, das wissen wir, muss von ganz oben angestoßen werden und alle Mitarbeiter einbeziehen. Nur unter Beteiligung aller internen wie externen Stakeholder kann ein nachhaltig wirtschaftendes Unternehmen geformt werden.

Laut Ihrer Studie sind die Treiber in Richtung Nachhaltigkeit vor allem Kunden – mehr als 75 Prozent der Befragten gaben an, dass sie ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten von der Erwartungshaltung und den Präferenzen der Kunden abhängig machen. Doch warum misst dann vor allem der Vorstand dem Thema eine so große Bedeutung bei? Es sind doch häufig eher Manager oder Projektleiter, die den Kontakt zu Kunden pflegen.

Stahl: Am Ende zählt der Erfolg, und der hängt eben vom Umsatz mit den Kunden ab. Die Vorstände sind zwar nur eingeschränkt bei ihren Kunden, aber haben die absolute Transparenz über Umsätze, Kundenzufriedenheit, Trends und sich verändernde Ansprüche. Ein guter Vorstand handelt nach der Maxime: Was gibt es Wichtigeres als die Kunden?

Aus Ihrer Studie geht auch hervor, dass Nachhaltigkeit im Unternehmen messbar gemacht werden müsse. Doch wie gelingt das? Sie sagen: „Nachhaltiges Handeln im Management sollte zukünftig als stärkeres Kriterium für die variable Vergütung von Bedeutung sein“ – können Sie das konkretisieren?

Stahl: Als erstes geht es darum, zu klären, welche ESG-Kriterien sie messen können: Unter dem E für Environmental etwa den CO2 Verbrauch, die Firmenwagen- und Geschäftsreise-Politik, den Wasser- und Energieverbrauch. Unter S fallen die sozialen Kriterien wie das Arbeitsumfeld, die Büroinfrastruktur und unter G wie Government die Aspekte Diversität und Inklusion sowie alle daran anschließenden Maßnahmen für eine gute Corporate Governance. Die einschlägigen ESG-Kriterien sind die Stellschrauben, an denen Unternehmen drehen müssen, um pro Bereich und Abteilung die vereinbarten Ziele zu erreichen. Dieser Schritt vom Ist- zum Soll-Zustand muss sich auf die variable Vergütung auswirken. Dieses Instrument wird auch eingesetzt, um mehr Frauen in Führungspositionen zu bekommen.

Glauben Sie, Unternehmen müssen bei dem Thema Nachhaltigkeit dogmatisch sein und den Trend in ihren Purpose aufnehmen beziehungsweise für ihr Employer Branding nutzen?

Stahl: Dogmatisches Denken hilft bei diesem hochkomplexen Thema nicht und würde die Organisation überfordern. Nachhaltigkeit ist auf Ganzheitlichkeit angelegt und braucht das Verständnis in der gesamten Organisation.

Worauf sollten Führungskräfte achten, wenn sie das Thema Nachhaltigkeit forcieren wollen? Haben Sie einige Ratschläge parat?

Stahl: Nachhaltiges Handeln geht nur in der Gemeinschaft. Das gilt auch für den Mikrokosmos von Organisationen. Gute Führungskräfte wissen, dass sie ihre Mitarbeiter bei dem Thema aktiv einbeziehen müssen. Nachhaltigkeitskommunikation geht über alle Ebenen hinweg. Die Führungskräfte üben hier ihre Vorbildfunktion aus. Das kann dann auch mal der Weg zur Arbeit mit dem Rad oder einem öffentlichen Verkehrsmittel sein. ESG ist ein weites Feld. Es reicht längst nicht, nur ein Elektroauto zu fahren.

Wo stehen deutsche Unternehmen beim Thema Nachhaltigkeit, auch im internationalen Vergleich?

Stahl: Das ist sicher nicht pauschal zu beantworten. Unter den Ländern mit den höchsten Leistungen für den Klimaschutz laut Climate Change Performance-Index 2021 belegt Deutschland einen Platz im unteren Mittelfeld. Hier sind die Skandinavier führend, wenn auch kein Land die erforderlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Erderwärmung erfüllt. Interessanter sind hier die Ratings im Finanzbereich – angefangen beim Dow Jones Sustainability Index, dem FTSE oder dem Global Compact, denen sich die meisten namhaften Unternehmen in Deutschland verpflichtet haben. Auch die ESG-Kriterien geben einen guten Einblick, wie weit die Unternehmen in Sachen Nachhaltigkeit sind. Aber feststeht: Selbst, wenn der Großteil der Top-Unternehmen in Deutschland eine nachhaltige Wirtschaft und Führung als wesentlichen Bestandteil ihres Purpose sehen, bleibt Nachhaltigkeit eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der wir alle verpflichtet sind.

07.07.2021    Miriam Rönnau
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