Deutschland braucht mehr Unternehmertum, vor allem in den jüngeren Generationen. Doch wie ist der Status quo? Öffentlichkeitswirksame TV-Formate wie „Die Höhle der Löwen“ oder auch der Hype um Start-ups bilden nur einen positiven Ausschnitt der Realität ab. Denn gerade in kleineren und mittleren Unternehmen (KMU) stellt sich die Situation anders da. „Der Mittelstand weiß, dass er immer älter wird, aber die nachfolgende Generation will vielfach keine Risiken eingehen“, stellt Jan Wolkenhaar, Direktor Gründung und Nachfolge bei der HypoVereinsbank, fest. Start-up-Kultur hin oder her: Den KMU fehlt der Führungsnachwuchs. Und das birgt die Gefahr, dass innovative Ansätze sowie Know-how verloren gehen und der Wohlstand aller aufs Spiel gesetzt wird.
Rechtzeitig für den Notfall vorsorgen
Die Frage der Unternehmensnachfolge kann sich im Zweifelsfall ungeplant und schneller stellen als gewünscht. Denn was passiert, wenn plötzlich etwas passiert? Nils Koerber, Gründer der Beratung KERN, fordert deshalb: „Jeder Unternehmer ist verpflichtet, das Thema Nachfolge rechtzeitig im Blick zu haben – auch schon mit 25 oder 30 Jahren.“ Das operative Geschäft sollte mithilfe eines „Notfallkoffers“ abgesichert sein, damit ein erfolgreiches Unternehmen nicht aufgrund von organisatorischen Unzulänglichkeiten wie etwa fehlenden Kontovollmachten in die Insolvenz rutscht. „Man sollte für den unmittelbaren Notfall Vorsorge treffen“, empfiehlt auch Astrid Binder, Investment Director bei VR Equitypartner.
Zahlen des Bundeswirtschaftsministeriums zeigen die Dimension auf, um die es beim Thema Nachfolge geht: Demnach zählten 2019 99,6 Prozent aller Unternehmen in Deutschland zum Mittelstand – vielfach familien- und inhabergeführt. Der wiederum stellt 58,5 Prozent der Arbeits- sowie 82 Prozent der Ausbildungsplätze und erwirtschaftet 35,3 Prozent des deutschen Gesamtumsatzes. Weltweit anerkannt, ist der deutsche Mittelstand vor allem Innovations-, Technologie- und Wirtschaftsmotor. Damit das in Zukunft so bleibt, braucht es mehr Unternehmertum. „Wichtig ist, dass wir die nächsten Generationen früh dafür begeistern, Verantwortung zu übernehmen – nicht nur für sich selbst, sondern auch für Dritte“, sagt Wolkenhaar. Dafür müsse aber bereits in der Schule der Grundstein gelegt werden.
Unternehmertum braucht neue Ideen
Neue Ideen sind gefragt, damit die deutsche Wirtschaft zukunftsfähig bleibt. Derzeit wird zum Beispiel das Modell des Verantwortungseigentums von Politik und Wirtschaft intensiv diskutiert. Dabei sollen Personen, die dem Unternehmen langfristig verbunden sind, das Unternehmertum weiterentwickeln. Die neuen Eigentümer haben zwar Stimm- und Teilhaberechte, sie partizipieren aber nicht am Gewinn. Der bleibt an das Unternehmen gebunden; dadurch soll das Wirtschaften bei diesem Modell ausschließlich der Verwirklichung des Unternehmenszwecks dienen. Koerber sieht im Verantwortungseigentum eine spannende Erweiterung der gesetzlichen Rahmenbedingungen: „Damit können wir Menschen, die vielleicht nie ein Unternehmen gegründet hätten, in eine neue Verantwortung und Denkweise bringen. Außerdem können wir es mit diesem Konstrukt schaffen, dass eine langfristige nachhaltige Wertentwicklung, die im Mittelstand sehr stark verankert ist, unterstützt wird.“
Beschäftigte schrittweise zu Unternehmern machen – das ist für Binder ein Weg, um das Nachwuchsproblem auf Führungsebene in den Griff zu bekommen. Sie schlägt vor, über das Gehalt Anreize zu schaffen: „Ich glaube, dass es oft auch in der zweiten Reihe geeignete Personen für die Unternehmensführung gibt. Deshalb springen wir gern ein, wenn auf der finanziellen Seite Hilfe nötig ist.
Nachfolge professionalisiert sich
Das Megathema Nachhaltigkeit spielt für die nachwachsende Unternehmergeneration eine immer größere Rolle, bestätigt Binder. Und Nachhaltigkeit werde auch immer wichtiger, wenn es um den Unternehmenswert gehe. „Unternehmen, die auf Kosten der Umwelt und zukünftiger Generationen wirtschaften, haben keine rosige Zukunft“, stellt die Finanzexpertin klar. KERN-Chef Nils Koerber rechnet damit, dass die Nachfrage nach Firmen weiter sinkt. Gleichzeitig werde sich die Nachfolge aber auch professionalisieren müssen. „Denn der Umgang mit strategischen und Finanzinvestoren verlangt eine ganz andere Vorbereitung und Kommunikation als bei einer Personen-Nachfolge“, so Koerber. Auch juristischer Rat wird deshalb von den Experten dringend empfohlen.