„An diesen Symptomen erkennst du einen Eisenmangel“, beginnt die Medizinstudentin Alina Walbrun alias „Doc Alina“ ihr Reel. Und listet dann nicht nur typische Anzeichen auf – etwa Gesichtsblässe, Lippenrisse, Kopfschmerzen, Müdigkeit, einen Leistungsknick, brüchige Nägel, ausfallende Haare, trockene Haut –, sondern zeigt auch auf, wofür Eisen im Körper eigentlich benötigt wird. Und das alles in nur 59 Sekunden.
„Was ist Meningitis?“, fragt der Arzt und Ernährungsexperte Felix Berndt alias „Doc Felix“ – und erklärt dann, was die Erkrankung so gefährlich macht, auf welche Symptome geachtet werden sollte und wie in der Regel behandelt wird. Kurz und knapp in 60 Sekunden, in einfachen Worten, leicht verständlich – auch für medizinische Laien.
Was es eigentlich mit den unterschiedlichen Laborwerten auf sich hat. Oder mit Pfeifferschem Drüsenfieber. Oder mit einer Schilddrüsenunterfunktion. Oder mit dem komplexen regionalen Schmerzsyndrom. So etwas erfahren die Follower von „Der Hausarzt“. Zudem bekommen sie Tipps an die Hand, wie sich etwa der Blutdruck ohne Medikamente senken ließe oder chronische Rückenschmerzen gelindert werden können.
Aufklärung über Themen, die viele Menschen betreffen
Hinter dem Instagram- und TikTok-Account „Der Hausarzt“ steht David Reckers, angehender Allgemeinmediziner. Er fokussiert sich in seinen Videos auf medizinische Aufklärung. „Ich versuche immer Themen zu wählen, die möglichst viele Leute etwas angehen“, sagt Reckers in unserem Podcast „Mit Herz und KI“. Seltene Diagnosen spielen daher bei ihm nur eine untergeordnete Rolle. Stattdessen will er über Volksleiden informieren.
„Ich nutze die sozialen Medien, weil ich finde, dass man darüber viel schneller und auch viel mehr Menschen erreicht als durch klassische Aufklärungskampagnen über Zeitungen, Fernsehen, Plakate oder Flyer“, so Reckers. Das nehme kaum jemand bewusst wahr. „Kurzvideos, die einem eingespielt werden, haben einen deutlich größeren Effekt.“
Und das gilt nicht zuletzt auch mit Blick auf die Zielgruppe, an die sich Reckers, Walbrun, Berndt und die unzähligen anderen Medfluencer mit ihrem Content richten.
Was sind Medfluencer?
Unter dem Begriff Medfluencer werden Personen zusammengefasst, die in sozialen Medien über Gesundheitsthemen informieren und/oder authentische Einblicke in den eigenen beruflichen Alltag geben. Unter den Medfluencern finden sich Ärztinnen und Ärzte, Medizinstudierende, Pflegepersonal, Angehörige diverser Heilberufe, Mitarbeitende aus dem Rettungswesen sowie Apothekerinnen und Apotheker.
Der Haken an der Sache: Nicht immer lassen sich die Qualifikationen der Ratgebenden nachprüfen. Prinzipiell kann jeder im Netz über Gesundheitsthemen sprechen. Damit steigt auch die Gefahr, dass sich Falschinformationen verbreiten. Userinnen und User müssen also wachsam sein und genau checken, wem sie folgen.
Allerdings haben 75,8 Prozent der Deutschen nur eine geringe digitale Gesundheitskompetenz. Gemeint ist damit die Fähigkeit, im Internet relevante Gesundheitsinformationen zu suchen und zu verstehen sowie deren Zuverlässigkeit und Seriosität zu beurteilen. Das zeigte 2021 eine Untersuchung des Interdisziplinären Zentrums für Gesundheitskompetenzforschung der Universität Bielefeld.
Medfluencer, die medizinisch geschult sind und klar erkennbar evidenzbasiert über medizinische Sachverhalte sprechen, können daher durchaus dabei helfen, der Flut an medizinischen Falschinformationen im Netz zu begegnen. Und sie erreichen durch sachlich-medizinische Kurzvideos oder durch unterhaltenden Content auch Personen, die sonst wenig über ihre Gesundheit nachdenken.
Medfluencer als Meinungsführer
1944 schrieb der Soziologe John Robinson in einer Studie über Massenmedien in den USA etwas, was auch heute noch Gültigkeit hat: „Medien sind effektiver darin zu informieren, Meinungsführer sind effektiver darin, Einstellungen zu beeinflussen.“ Und solche Meinungsführer, die auf persönlicher Ebene mit anderen kommunizieren, finden sich heute eben in den sozialen Medien.
Medfluencer bieten niedrigschwellig und schnell Zugang zu gesundheitsbezogenem Content. Über TikTok und Instagram erreichen sie mit ihren Inhalten hauptsächlich Personen bis zu einem Alter von 35 Jahre. „Das Gesundheitsverhalten von jungen Leuten ist manchmal ein bisschen fragwürdig“, sagt Reckers. Ein Grund dafür könnte sein, dass medizinische Aufklärung bisher nur selten in Medien stattfindet, mit denen diese Gruppe tatsächlich erreicht wird. „Ich sehe es auch als meine Aufgabe an, die jüngere Generation zu erreichen und über die Risiken von bestimmten Verhaltensweisen aufzuklären. Denn die Effekte dieser Verhaltensweisen sieht man natürlich nicht mit 20 oder 30, sondern erst mit 50 oder 60 Jahren.“
Followerzahlen im sechsstelligen Bereich sind keine Seltenheit
In einem seiner ersten Videos im August 2022 ging es übrigens um die vielleicht banal wirkende Frage, warum es rosa, blaue und grüne Rezepte gibt. „Ich habe einfach erklärt, was ein Privatrezept, was ein Kassenrezept ist“, sagt Reckers. Die Antwort stieß allerdings auf enorm großes Interesse: Der 48-sekündige Clip hat allein bei TikTok inzwischen über zwei Millionen Views. Es ist eines der erfolgreichsten Videos von Reckers. Noch mehr Views – über 3,5 Millionen bei TikTok – bekam beispielsweise ein Clip über die Gefahren von Snus, kleinen Tabakbeuteln, die zwischen Oberlippe und Zahnfleisch gesteckt werden.
Schon diese Zahlen zeigen: Medizin-Content kommt in sozialen Medien gut an. Bei Instagram hat beispielsweise
- „Doc Alina“ circa 53.000 Follower,
- „Doc.Felix“ rund 288.500 Follower und
- „Der Hausarzt“ etwa 56.500 Follower.
Und bei TikTok zählt
- „Doc Alina“ circa 182.100 Follower,
- „Doc Felix“ rund 757.100 Follower und
- „Der Hausarzt“ etwa 196.600 Follower.
Einer der bekanntesten deutschen YouTube-Kanäle, auf denen es um Health-Content geht, stammt von Dr. Tobias Weigl, Notarzt und Intensivmediziner. Sein Kanal „DoktorWeigl“ hat rund 827.000 Abonnenten.
Medfluencer als begehrte Kooperationspartner
Followerzahlen im sechsstelligen Bereich bedeuten Views in Millionenhöhe. Das sind Reichweiten, die auch Begehrlichkeiten wecken. So steigt naturgemäß das Interesse von Werbetreibenden an der Zusammenarbeit mit den Medfluencern. Insbesondere Pharmaunternehmen, Krankenkassen sowie Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln und Kosmetika sind an Medfluencern interessiert.
Doch Ärztinnen und Ärzte bewegen sich rechtlich in einem Graubereich, wenn sie sich auf bezahlte Kooperationen einlassen. Die Bundesärztekammer hat daher im Januar eine neue Handreichung dazu veröffentlicht, was Ärztinnen und Ärzte sowie Medizinstudierende bei der Nutzung sozialer Medien zwingend beachten sollten.
Grundsätzlich gilt: Ärztinnen und Ärzte dürfen zwar Imagewerbung für sich selbst machen, aber nicht für die Produkte anderer werben. Schließlich gilt für sie das Fremdwerbeverbot. Der Grund dafür: Medizinerinnen und Mediziner sollen ihr Handeln am Patientenwohl ausrichten, anstatt kommerzielle Interessen zu verfolgen. Wer dennoch wirbt, dem drohen berufsrechtliche Konsequenzen. Und diese reichen von Bußgeldern bis hin zum Entzug der Approbation.
Für Medizinstudierende hingegen gilt das Fremdwerbeverbot (noch) nicht. Sie dürfen also auch für Arzneimittel werden. Wichtig dabei ist: Werbung im Gesundheitswesen darf niemals anpreisend, irreführend oder vergleichend sein. Und: Für verschreibungspflichtige Medikamente darf nicht geworben werden. Das verstößt gegen das Heilmittelwerbegesetz und ist damit ein absolutes No-go – und zwar für jeden.
Nicht auf individuelle Fragen eingehen
Daneben gilt: Immer Vorsicht walten lassen, wenn man Ratschläge gibt. „Social Media ist sicherlich gut, um einen groben Einblick in eine Erkrankung zu geben. Aber es ist kein Medium, um Patienten zu behandeln“, so Reckers.
Ein persönlicher medizinischer Rat kann durchaus als Heilbehandlung ausgelegt werden. Sogenannte Heilungsversprechen via Social Media sind allerdings verboten. Damit würden Medfluencer gegen berufsrechtliche Regeln verstoßen und müssten für eventuelle Schäden voll haften.
Außerdem gilt das Fernbehandlungsverbot. Ärztinnen und Ärzten ist es untersagt, ausschließlich über digitale Kanäle individuelle therapeutische Empfehlungen zu geben. Was dagegen in sozialen Medien erlaubt ist, ist die Beantwortung allgemeiner Gesundheitsfragen. Wichtig ist dabei der deutliche Hinweis, dass Online-Informationen kein Arztgespräch ersetzen.
Einblicke in den Alltag gewähren
Neben medizinischen Inhalten setzen viele Medfluencer auf ihren Kanälen einen weiteren Schwerpunkt: ihren beruflichen Alltag beziehungsweise das eigene Studium.
So gibt beispielsweise Kim Schiele alias „Schwester Kim“ Einblicke in ihre Arbeit als Krankenschwester in einer Notaufnahme. Alina Walbrun nimmt ihre Follower regelmäßig mit zur Uni und zeigt, womit sich Medizinstudierende befassen. Und Luis Teichmann alias „5_sprechwunsch“ berichtet von seinen kuriosesten Einsätzen als Rettungssanitäter.
Daneben nutzt Teichmann seine Reichweite – bei Instagram hat er 348.000 Follower, bei TikTok 1,2 Millionen – auch, um auf ernstere Themen aufmerksam zu machen. Etwa Optimierungsmöglichkeiten bei der Ausbildung von Rettungssanitätern. Oder Gewalt gegen Rettungskräfte. Oder die gestiegenen Ansprüche der Patientinnen und Patienten, die vom Rettungsdienst auch bei Bagatellen eine Rundum-sorglos-Versorgung erwarten – und damit Ressourcen für wirklich lebensbedrohliche Notfälle blockieren.