Eine Schnur mit Kreisen symbolisiert Veränderung
26.03.2021    Inga Höltmann
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Später ist alles wieder normal. Dann können wir wieder planen, zusammen im Büro sitzen, dann ist Corona „vorbei“. Und überhaupt – Veränderungen sind ein Schönwettergeschäft, oder? Das kostet ja Geld und kann schmerzhaft sein und gerade geht es ja vor allem um eines: irgendwie durch eine schwere Zeit zu kommen.

Ein Kulturwandel ist immer notwendig

Ich halte das für eine fatale Haltung. Denn wenn wir auf einen guten Moment für einen Veränderungsprozess warten, kann es sein, dass dieser nie kommt. Und wenn uns Corona eines gezeigt hat, dann: wir sollten vorbereitet sein! Auch (und gerade) auf das, auf das man sich kaum vorbereiten kann. Kulturwandel ist immer notwendig, er ist ja ein Prozess und nicht ein Zeitpunkt. Wir sollten in Bewegung bleiben, unsere Arbeit und unsere Werte hinterfragen und nicht nur alle Jubeljahre mal draufschauen, wenn wir gerade Lust haben.

Kolumne von Inga Höltmann

Baustellen identifizieren

Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass genau jetzt ein sehr guter Zeitpunkt ist, sich mit seiner Kultur auseinanderzusetzen. Und warum? Weil uns die Art und Weise, wie wir gerade arbeiten – ungewohnt, remote, im Ausnahmemodus – unsere Baustellen vor Augen führt. Wo knirscht es in der Zusammenarbeit? Wo haben wir Lücken in Prozessen? Wo erleben wir Konflikte? Das sind Stellen, auf die wir jetzt ganz genau gucken sollten.

An seiner Kultur zu arbeiten, heißt hinzuschauen, wie wir uns verhalten und das genau zu analysieren. Es heißt zu verstehen, welche Glaubenssätze oder Werte hinter unserem Verhalten stehen – um dann miteinander auszuhandeln, ob wir wirklich wollen, dass das die Werte sein sollen, die unsere Zusammenarbeit prägen. Und diese Reflexionsarbeit können wir machen, wenn wir zusammen in einem Raum sind genauso wie wenn wir remote zusammenkommen.

Meine Arbeitshypothese ist, dass das, was wir als „Kulturwandel“ beschreiben, vor allem ein Wandel dieser Werte ist. Und die digitale Transformation ist natürlich ein Prozess der technologischen Anpassung, aber auch ein Prozess, mit dem wir unsere Arbeit, unsere Strukturen und Prozesse neu an diesen Werten ausrichten, um die tatsächlichen Werte mit unseren Wunschwerten deckungsgleich zu bekommen.

Freitagnachmittag für Remote-Session nutzen

Und wie können wir das im Corona-Arbeitsalltag umsetzen? Zuerst, in dem wir Raum dafür schaffen. Schafft ein Meeting unter der Woche ab und gebt Euch Freitagnachmittag eine Remote-Session, in der ihr Euch ausschließlich mit Eurer Zusammenarbeit beschäftigt. Reflektiert gemeinsam: Was lief gut in dieser Woche? Was lief nicht gut? Woran lag das?

Traut Euch auch, die Frage zu stellen, wie sich das für Euch angefühlt hat. Welches Gefühl hat eine bestimmte Situation in Euch ausgelöst? Kommt Euch dieses Gefühl bekannt vor – gab es schon einmal eine Situation, in der ihr das empfunden habt?

Glaubenssätze auf den Prüfstand

Ein Problem zu lösen oder einen Prozess zu verbessern, sollte in dieser Freitagsrunde erst an zweiter Stelle stehen. Versucht zuerst zu verstehen, wie es zu dieser Situation kam und wofür sie eigentlich steht. Was steckt dahinter: Mangelndes Vertrauen? Ein bestimmtes Menschenbild? Vorannahmen über das Gegenüber? Erst wenn ihr wirklich verstanden habt, welche Werte, Haltungen oder Glaubenssätze eigentlich hinter Spannungen, Konflikten oder Problemen stehen, werdet ihr sie wirklich lösen können – ohne dieses emotionale Verständnis doktert ihr nur an Symptomen herum.

Illustration von Inga Höltmann

Inga Höltmann ist Expertin für die Themen Kulturwandel in Unternehmen, New Work und Digital Leadership. Sie ist Gründerin der Accelerate Academy, einer Plattform für Neues Arbeiten und Neues Lernen, sie tritt als Keynote-Speakerin auf und arbeitet im Rahmen von Workshops in Unternehmen zu Themen rund um Neue Arbeit. Sie ist zudem ausgebildete Wirtschaftsjournalistin. Bekannt ist sie unter anderem für ihre beiden Podcasts zur Zukunft der Arbeit.

Zum Beispiel:

  • Warum dauert ein bestimmter Prozess viel zu lang?
  • Weil zu viele Menschen involviert sind, weil auch Zwischenergebnisse durch zu viele Hände gehen müssen.

Eine schnelle Lösung wäre hier, einfach ein paar Zwischenschritte aus dem Prozess herauszustreichen und zu gucken, was passiert. Ich empfehle Euch aber, weiter zu fragen:

  • Warum sind da so viele Menschen involviert?
  • Weil sie alle Bescheid wissen müssen.
  • Und warum müssen sie alle Bescheid wissen?
  • Weil sonst Fehler passieren.
  • Warum passieren sonst Fehler?
  • Weil viele Kollegen und Kolleginnen im Alltagsgeschäft zu unaufmerksam sind.

Und schon seid ihr an einem ganz anderen Punkt: Bei einem Glaubenssatz über die Kompetenz von Kollegen und Kolleginnen und ihre Herangehensweise an ihre Arbeit. Schaut hin und versucht zu ergründen, woher dieser Glaubenssatz kommt und wie ihr mit ihm umgehen könnt.

Doppelstrukturen entdecken

Was noch in der letzten Antwort drinsteckt: Offenbar übernehmen all die Augenpaare unterwegs auch eine Art Qualitätskontrolle. Ist das Euer Qualitätsmanagement? Oder kommt das noch dazu? Das kann darauf hindeutet, dass ihr Doppelstrukturen habt. Schaut Euch an, woher diese doppelten Strukturen kommen – sind sie einfach historisch gewachsen? Oder seid ihr der Meinung, dass ihr sie braucht? Auch das gibt Euch Hinweise, wo etwas vielleicht nicht so funktioniert wie es sollte.

Das Wichtigste bei dieser Meta-Arbeit: Gebt Euch Zeit. Ob remote oder im Büro – so etwas funktioniert nicht von heute auf morgen. Seid geduldig, bemüht Euch um eine Atmosphäre des Vertrauens und lernt gemeinsam, auf Eure Zusammenarbeit und Eure Intuitionen zu schauen und sie gemeinschaftlich zu analysieren. Ihr werdet erst nach ein paar Wochen oder Monaten im Rückblick feststellen können, was sich alles getan hat. Wartet deshalb nicht auf die Rückkehr ins Büro – jetzt ist der rechte Moment, um das anzugehen.

26.03.2021    Inga Höltmann
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