Ein bisschen mehr Corona-Patriotismus – das würde sich Jens Spahn von den Deutschen wünschen. Denn alles in allem sei das Land vergleichsweise gut durch die letzten Monate gekommen, betont der Bundesgesundheitsminister im DUB Business Talk.
„Wir sind mehr den schwedischen Weg gegangen als wir selbst wahrnehmen“, so Spahn mit Blick auf die eher milden Maßnahmen, welche die Bundesregierung ergriffen hat. „In Frankreich, Spanien, Italien ist Militär patrouilliert und hat kontrolliert, wer länger als eine Stunde seine Wohnung verlässt.“
Würde er also alles wieder genauso machen? „Nein, manches würden wir sicher anders, manches besser machen. Bei Schutzausrüstungen etwa gibt es jetzt ganz andere Vorräte. Würden wir den Normalbetrieb in Kliniken noch einmal so herunterfahren? Nein, weil wir gelernt haben, die Kapazitäten der Intensivstationen besser zu steuern.“ Im März seien solche Maßnahmen allerdings richtig gewesen – insbesondere mit den Bildern aus Norditalien und anderen Regionen vor Augen, wo Krankenhäuser angesichts der vielen Infizierten zeitweise vor dem Kollaps standen.
Das Warten auf die Folgen der Krise
„In der Summe war das wirklich ein sehr gutes Krisenmanagement“, sagt Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse (TK). „Wenn man überlegt, was die Regierung hätte anders machen können, fällt einem nicht fürchterlich viel ein. Aus der fehlenden Bevorratung von Schutzausrüstung ist sicher gelernt worden. Hier der Regierung einen Vorwurf zu machen ist aber auch zu kurz gegriffen, da stehen ebenso die Leistungserbringer in der Pflicht.“
Worauf es aus Sicht von Baas jetzt ankommt? Das Erreichte zu halten und die finanziellen Belastungen für die Gesellschaft und damit auch das Gesundheitssystem gering zu halten.
Das Problem dabei: „Der wirtschaftlich schwierige Teil der Krise kommt erst noch“, sagt Spahn. „Wir haben über die Kurzarbeits- und Insolvenzregelungen sowie die Liquiditätshilfen zwar Brücken gebaut – und einigen wird das bei der Rückkehr in einen wie auch immer gearteten Normalbetrieb helfen. Für andere werden diese Brücken – so muss man es leider formulieren – wirtschaftlich ins Nichts führen.“
Der Minister rechnet mit einer Verschärfung der Situation für einige Unternehmen im Herbst – und mit weiter steigenden Arbeitslosenzahlen. Eine Entwicklung, die auch für Krankenkassen nicht ohne Folgen bleibt. Sinkende Beitragseinnahmen sind programmiert.
Lohnnebenkosten steigen nicht
Einerseits sind durch verschobene Arzttermine und Operationen zwar die Ausgaben der Krankenkassen deutlich gesunken. Baas spricht von Ersparnissen in Milliardenhöhe. „Andererseits wissen wir noch nicht, was uns die Corona-Tests kosten werden und ob Behandlungen wie etwa Zahnersatz nicht doch in ein paar Monaten nachgeholt werden“, so der TK-Chef. „Mehr Sorge bereitet uns aber die Einnahmesituation. In der Spitze hatten wir 60-Mal so viele Anträge auf Beitragsstundungen als normalerweise. Wie viele dieser Antragsteller überhaupt noch zahlen können, müssen wir abwarten.“
Steigende Beiträge für die Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung schließt Spahn allerdings aus. Die Lohnnebenkosten werden die 40-Prozent-Grenze nicht übersteigen, versichert er. „Um die beitragszahlenden Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht weiter zu belasten, werden wir die Sozialversicherungen mit Bundeszuschüssen stabilisieren. In diesem Jahr werden das 5,3 Milliarden Euro für die Kranken- und Pflegeversicherung sein. Und es wird auch im nächsten Jahr Zuschüsse geben.“
Geld alleine reicht nicht
Diese Maßnahme ist Teil des 130 Milliarden Euro schweren Konjunkturpakets der Bundesregierung. Dieses soll Wirtschaftswachstum generieren und die Beschäftigtenzahlen möglichst stabil halten, um Steigerungen der Lohnnebenkosten auch langfristig zu verhindern.
Doch was ist, wenn ein zweiter flächendeckender Lockdown der Wirtschaft weiter zusetzt? „Die Wahrheit ist natürlich: Ein zweites Konjunkturpaket können wir uns nicht leisten“, so Spahn. „Aber aufgrund der Bereitschaft der Bürger sich an Regeln zu halten und der jetzt besseren Vorbereitung auf dieses Virus, bin ich grundsätzlich optimistisch, dass sich ein weiterer Lockdown vermeiden lässt.“ Es werde eher darauf hinauslaufen, dass man lokal Lockerungen temporär zurücknimmt, wenn es wie in Gütersloh eine hohe Zahl an Infizierten gibt.
Spahn betont mit Blick auf das aktuelle Konjunkturpaket zudem: „Viel Geld allein hilft nicht viel. Es muss auch sinnvoll investiert werden – und zwar in Strukturveränderungen.“ Als Beispiele nennt er die Verkehrsinfrastruktur und den 5G-Netzausbau, aber auch die Beschleunigung von Genehmigungsprozessen in der Verwaltung.
Und: Nur die Binnennachfrage anzukurbeln, reicht nicht. „Wir sind mehr als die meisten anderen europäischen Länder darauf angewiesen unsere Produkte in alle Welt verkaufen zu können“, so Spahn. „Deutschland wieder ans Laufen zu bringen hilft uns nur dann, wenn die gesamte Weltwirtschaft auf die Beine kommt. Und das können wir nur begrenzt beeinflussen.“
Zu abhängig von China
Etwas, das in den vergangenen Monaten für Spahns Geschmack zu offensichtlich wurde, ist die Abhängigkeit Deutschlands von China.
Den freien Handel und die Globalisierung im Ganzen infrage zu stellen sei falsch, so der Minister. „Aber wir müssen – auch im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft – über das richtige Maß an Globalisierung sprechen. In einer Pandemie darf sich nicht in China entscheiden, ob wir Schutzmasken für unsere Pflegekräfte in Amsterdam, München oder Warschau haben.“
Seine Empfehlung: Wertschöpfungsketten und Absatzmärkte wieder diversifizieren, andere Regionen also stärker in den Blick nehmen, um die Abhängigkeit von der Volksrepublik zu reduzieren. „Nur, weil China hustet, haben wir immer gleich eine schwere Erkältung“, sagt Spahn. Die Kurzarbeit bei VW und Daimler etwa sei keine Pandemie-Maßnahme in Deutschland gewesen, sondern eine Reaktion auf den Weltmarkt und die Lage in China.
Abhängigkeiten bestehen inzwischen auch bei Technologien. Vor wenigen Jahren galt China noch als Werkbank der Welt, wo massenhaft Waren für den Weltmarkt produziert und westliche Ideen kopiert wurden. Heute sind in dem Land zahlreiche innovative Tech-Riesen zuhause – Alibaba, Tencent oder Huawei etwa. „Beim 5G-Ausbau sollte sich die Debatte in Europa nicht darum drehen, ob man nun mit Huawei oder einem anderen Ausrüster zusammenarbeitet. Wir müssen uns eher die Frage stellen: Warum können wir so eine Technik eigentlich nicht selbst herstellen“, gibt Spahn zu bedenken. Und etwas auch selbst zu können sei nun mal die Voraussetzung, um unabhängig zu werden.