Nachhaltigkeit

Klimawandel: Grün aus der Corona-Krise

Das Thema Klimawandel hat die Schlagzeilen und die politische Agenda im vergangenen Jahr dominiert. Gesetze wurden erlassen, weitere diskutiert. Dann kam Corona. Doch richtige Ideen halten auch Krisen stand.

12.06.2020

Preisfrage: Was haben die Schauspielerin Juliette Binoche und der Vorsitzende des Umweltausschusses des Europäischen Parlaments, Pascal Canfin, gemeinsam? Ja, sie kommen beide aus Frankreich. Aber viel wichtiger: Beide haben eine Erklärung mit demselben Ziel initiiert – den wirtschaftlichen Neustart zu nutzen, um den Aufschwung nach der Krise unter ökologischen Bedingungen zu realisieren. Binoches offenem Brief, publiziert in der Tageszeitung „Le Monde“, schlossen sich rund 200 Prominente an.

Und Canfin? Er initiierte die „Green Recovery Alliance“. Minister aus mehreren EU-Ländern sowie über 80 CEOs und andere Top-Manager unterzeichneten die Erklärung, die unter anderem grüne Investitionspakete für die Zeit nach Corona fordert, sich für den Kampf gegen den Klimawandel einsetzt und die biologische Artenvielfalt als eine wichtige Säule der Wirtschaftsstrategie verankert sehen möchte.

Klimawandel stoppen: Jetzt oder nie?

„Diese Initiative kommt zur richtigen Zeit. Denn es gibt einige, die sich für ein Öko-Moratorium starkmachen und Klimaschutz jetzt erst einmal hintenanstellen möchten“, sagt Dr. Danyal Bayaz, Wirtschaftsexperte und Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen.

Tatsächlich scheint derzeit beim Thema Nachhaltigkeit Uneinigkeit zu herrschen. Die einen sind überzeugt, dass die Pandemie eine Chance für Unternehmen ist, das Thema wegen ohnehin nötiger Umstrukturierungen anzugehen. Die anderen sehen darin den Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. 

Und Nicola Beer, FDP-Politikerin und Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, hat auch einen Mittelweg parat: Im Zuge des Green Deals – also des von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen entwickelten Konzepts, um Europa bis 2050 klimaneutral werden zu lassen – solle man solche Elemente vorziehen, die auch Wachstum generieren können, und andererseits prüfen, welche zu einer zusätzlichen Last werden könnten und sich verschieben lassen.

Der Stromkunde zahlt die Zeche

„Wir haben eine historische Chance, nun den Wiederaufbau Europas zu nutzen, um Fehler in den Energiesystemen der Vergangenheit zu korrigieren“, sagt etwa Dr. Johannes Teyssen, Vorstandsvorsitzender von E.ON. So begründet er die Unterstützung des Energiekonzerns für die „Green Recovery Alliance“. 

Doch einfach ist die Berücksichtigung ökologischer Themen in der Krise nicht. Teyssen nennt zwei Herausforderungen, die er in seiner Branche erlebt: Der historisch größte Nachfrageeinbruch bei Öl und Gas berge die Gefahr, dass einige Länder jetzt den Fehler machen könnten, noch einen letzten Zyklus von billigem Öl, Gas oder günstiger Kohle mitnehmen zu wollen, statt die Zeit für die grüne Wende zu nutzen. Dadurch würde, zweitens, Strom insbesondere in Deutschland 2021 teurer, weil das aktuell hierzulande geltende Fördersystem in der Krise schwächelt. Denn die Corona-bedingten Preisrückgänge für Öl, Gas und Kohle sowie CO2-Rechte bewirken, dass die Großhandelspreise für Strom stark gefallen sind. 

Chancen für den Mittelstand

Die Konsequenz: Die Umlage des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, kurz EEG, würde demnach 2021 deutlich steigen. E.ON geht aktuell von einer drastischen Erhöhung von bis zu acht Cent pro Kilowattstunde aus. Eine Preissteigerung zulasten der Kunden. Für den Energiekonzern gibt es deshalb nur eine Lösung: „Wenn wir die EEG-Umlage auf höchstens fünf Cent pro Kilowattstunde deckeln und die Stromsteuer auf den Mindeststeuersatz der EU von 0,05 Cent pro Kilowattstunde senken, entlasten wir im nächsten Jahr Familien und Mittelständler“, sagt Teyssen. Und das wäre dann eine Win-win-Situation für die Wirtschaft, die Gesellschaft und für die grüne Wende.

Doch die Erfahrung zeigt: Politische Forderungen nach mehr Nachhaltigkeit haben es nicht einfach – auch nicht beim Mittelstand. Aber selbst dieser verfügt über Möglichkeiten, sich kostengünstig für Nachhaltigkeit einzusetzen. „Die Klimakrise interessiert sich nicht für eine Rezession“, sagt Anna Alex. Gemeinsam mit Benedikt Franke hat sie Planetly gegründet. Sie entwickelten ein Tool, über das Unternehmen ihren CO2-Fußabdruck analysieren und regulieren können. Die Technologie ist kostensparender als ein internes oder externes Team und liefert die Analyse per Knopfdruck.

„Aus den Analysen geht hervor, in welchen Abteilungen wie viele Emissionen entstehen und zu welcher Zeit es zu besonders vielen Emissionen kommt. Zusätzlich bietet das Tool eine Benchmark: Unternehmen können sich vergleichen und erfahren, wo sie gerade stehen“, sagt Alex. Das kann im Wettbewerb ein echter Vorteil sein. So zeigt etwa eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov, dass nahezu 70 Prozent der Befragten aus der Generation Z 2019 verstärkt auf Nachhaltigkeit beim Reisen geachtet haben. Kein Wunder also, dass Planetlys erster Kunde aus dem Tourismus stammt.

Zusammenarbeit ist gefragt

„Politik muss mehrere Krisen gleichzeitig managen können“, sagt der Grünen-Politiker Bayaz. „Und da ist es gut zu wissen, dass es viele Verbündete in der Wirtschaft gibt. Diese Unternehmen haben verstanden, dass die ökologische Modernisierung auch ein Treiber für Wettbewerbsfähigkeit ist.“ Und wenn sich nun vermehrt wieder Prominente für das Thema Klimawandel starkmachen, zeigt dies: Das Bewusstsein für Nachhaltigkeit ist da – trotz Corona.