Eine Frau steht am Fenster und denkt
02.07.2021    Mark Simon Wolf
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Der häufige Wechsel der Arbeitsstelle galt vor gar nicht allzu langer Zeit noch als Beleg für berufliches Scheitern. Doch einem Arbeitgeber bis zur Rente treu bleiben? Diese Zeiten sind vorbei. So belegen Erhebungen des Marktforschungsinstituts Toluna: Seit 2012 ist der Anteil an Menschen, die sich aktiv mit einem Jobwechsel befassen, kontinuierlich gestiegen – von 37 auf 50 Prozent im Jahr 2019.

Mittlerweile ist der Jobwechsel zu einem üblichen Prozess im Arbeitsleben von Millionen Beschäftigten geworden und als fester Bestandteil eines diversifizierten Erfahrungsschatzes akzeptiert. Doch wann sollte man einen Wechsel in Betracht ziehen? „Wenn sich langfristig abzeichnet, dass keine Identifikation und keine Leidenschaft mehr für den aktuellen Beruf vorhanden ist“, sagt Marlene Pöhlmann vom Personaldienstleister Robert Half (siehe Interview unten). 

Doch trotz allem Frust und Ärger sollte eine berufliche Neuorientierung wohlüberlegt sein. Drei Gründe sprechen dafür, den Schritt zu wagen.

Drei Gründe für den Neustart

1. Die Gesundheit: Stress, Angst und Druck machen auf Dauer krank. Steht man konstant übermäßig unter Termindruck oder verlangen Vorgesetzte ein überdurchschnittliches Arbeitspensum, das nicht ohne Überstunden bewältigt werden kann, ist es an der Zeit, über einen Jobwechsel nachzudenken. Ähnliches gilt für permanente Angst um die Zukunftsfähigkeit des Berufsfelds. Dann schont der Schritt in stressfreiere Bereiche das Wohlbefinden.

2. Die Perspektive fehlt: Menschen streben nach Weiterentwicklung. Bleibt diese aus oder fühlt sich jemand längere Zeit unterfordert, leiden Spaß und Motivation.

3. Der Wohlfühlfaktor fehlt: Ob Vetternwirtschaft der Chefin, Cliquenbildung oder atmosphärische Störungen – fühlt man sich an der Arbeitsstelle unwohl, hemmt dies das Potenzial und die Produktivität. Aber Achtung: Es gilt, zwischen kurzfristigem Ärger und irreparablen Verwerfungen zu unterscheiden. „Oft lassen sich Dissonanzen mit Gesprächen aus dem Weg räumen“, so Pöhlmann.

Tipps für einen beruflichen Neustart

Wer zu einem beruflichen Neustart tendiert, sollte die folgenden drei Punkte vor einer finalen Entscheidung unbedingt beachten:

1. Sich Zeit nehmen: Ganz grundsätzlich sollte eine derartige Entscheidung nicht impulsiv oder kurzfristig getroffen werden. Es gilt, die Situation langfristig zu beobachten und zu analysieren. Erst dann wird tatsächlich klar, ob die Unzufriedenheit mit der Arbeit chronischen Charakter hat. 

2. Andere Meinungen hören: Eine solch weitreichende Entscheidung sollte niemand allein treffen. Besser ist es, Angehörige oder Freunde einzubeziehen oder sich professionell von einer Personalberatung betreuen zu lassen. Eine objektive Meinung zeigt oft neue Perspektiven und Chancen auf.

3. Eine Alternative parat haben: Vor einer Kündigung sollte der Plan B stehen. Dafür ist die intensive Beschäftigung mit der persönlichen Zukunft vonnöten. Eine berufliche Neuorientierung kann – wenn sie wohlüberlegt ist – eine neue Karriere- und/oder eine höhere Gehaltsstufe mit sich bringen. Das neue Arbeitsumfeld kann zumindest eine belebende Herausforderung darstellen. Wer den Quereinstieg in eine neue Branche wagt, sollte sich durch Fortbildungen ausreichend vorbereiten – und damit seinem neuen Ziel Schritt für Schritt näherkommen.

Marlene Pöhlmann von Robert Half

Marlene Pöhlmann

ist seit 2017 die Chefin des Berliner Büros der Personaldienstleistung Robert Half. Mit rund 50 Mitarbeitenden unterstützt sie Menschen bei der Berufswahl – auch jene, die sich vollständig neu orientieren wollen

„‚Work happy‘ ist ein unfassbar wichtiges Credo“

Ohne einen konkreten Plan ist eine berufliche Neuorientierung zum Scheitern verurteilt, sagt die Personalexpertin Marlene Pöhlmann. Worauf es beim Berufswechsel ankommt und welche Fallstricke warten, verrät sie im Interview.



Was sind die Gründe für eine berufliche Neuorientierung?

Marlene Pöhlmann: Die Gründe sind vielfältig. Generell gilt: Wenn sich langfristig abzeichnet, dass keine Identifikation und keine Leidenschaft mehr für den aktuellen Beruf vorhanden ist, kann ein Wechsel sinnvoll sein. Weitere Aspekte, die zum Nachdenken anregen sollten, sind unüberwindbare Spannungen im Arbeitsklima, fehlende Perspektiven und vor allem psychischer Stress. „Work happy“, also glücklich arbei­ten, ist ein besonders wichtiges Credo.

Wo liegt der Unterschied zwischen einer kurzfristigen Verstimmung und unüberwindbaren Differenzen mit der Chefin oder dem Chef?

Pöhlmann: Kleinerer Ärger mit einer Führungskraft gehört manchmal dazu. Oft lassen sich kurzfristige Dissonanzen mit Gesprächen aus dem Weg räumen. Sorgen sie aber langfristig für Unstimmigkeiten, kann das ein Zeichen für eine notwendige Veränderung sein.

Wann der ist richtige Zeitpunkt für den Berufswechsel gekommen?

Pöhlmann: Man sollte für sich persönlich feststellen, ob man im aktuellen Beruf noch glücklich ist. Parallel gilt es zu hinterfragen, was noch fehlt oder ob ein Branchen- beziehungsweise Positionswechsel sinnvoll erscheint. Ist diese Erkenntnis erlangt, gilt es, den Markt zu sondieren und die Möglichkeiten zu überprüfen.

Was sind typische Fehler, die bei diesem Prozess gemacht werden, und wie lassen sie sich verhindern?

Pöhlmann: Oft überstürzen Menschen eine berufliche Neuorientierung. Sie informieren sich vorher nicht umfassend darüber, wie es weitergehen könnte. Ebenso ist es wenig ratsam, das erstbeste Jobangebot anzunehmen und sich unter Wert zu verkaufen. Für einen objektiven Blick auf die Situation hilft sowohl eine professio­nelle Beratung durch Personaldienstleister als auch, sich im eigenen Netzwerk umzuschauen oder privat Feedback von Freunden und Familie einzuholen.   

02.07.2021    Mark Simon Wolf
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