Illu eines älteren Arbeitnehmers
07.02.2023
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Bei den meisten Menschen nimmt der Job einen Großteil ihres Lebens ein. Entsprechend schwer fällt es vielen, sich aus dem Berufsleben zu verabschieden. Dabei sollte der Übergang in den Ruhestand, das sogenannte Offboarding, eigentlich frühzeitig und möglichst detailliert geplant werden, rät Angelika Gaßmann. Sie ist Expertin für Führungskräfteentwicklung und Herausgeberin des Buchs „Offboarding: Fach- und Führungskräfte verlassen die Organisation“.

Denn ist der Prozess gut organisiert, hilft das nicht nur Personen, die vor dem Renteneintritt stehen. Im Gespräch erklärt Gaßmann, warum auch Unternehmen von rechtzeitigen Vorbereitungen profitieren und was es beim Offboarding für beide Seiten zu beachten gibt.

Zur Person

Angelika Gassmann, Herausgeberin des Buchs „Offboarding: Fach- und Führungskräfte verlassen die Organisation“

Angelika Gaßmann

ist Germanistin, Sportwissenschaftlerin, Personal- und Organisationsentwicklerin

Das Ende des Arbeitslebens ist in der Regel absehbar. Wie sollten sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer darauf vorbereiten?

Angelika Gaßmann: Menschen, die kurz vor dem Ruhestand stehen, beschäftigen sich vor allem mit dem, was möglicherweise danach kommt. Bezogen auf die Gestaltung ihres eigenen Ausstiegs aus der Arbeit habe ich den Eindruck, dass sie sich in einer Art Schockstarre befinden. Sie haben häufig das Gefühl, sie können oder dürfen dies nicht mitgestalten. Hier möchte ich ermutigen: Es ist wichtig, Gestalter des Übergangs zu sein! Das beginnt dabei, den Ausstiegstermin für sich zu entscheiden und endet damit, sich Gedanken zu machen, wie der Abschied gestaltet werden soll.

Das alles hat auch etwas mit dem richtigen Mindset zu tun, man muss auch loslassen können. Ich gebe zu, es ist nicht einfach, wenn man viele Jahre verantwortlich war, die eigenen Aufgaben zu übergeben. Die Vorstellung, dass nur man selbst die Arbeit gut erledigt, steht jedoch hier im Weg. Vielmehr ist wichtig, als Gehender denjenigen, die die Arbeit übernehmen werden, Zuversicht zu vermitteln, andere Ideen und Herangehensweisen als die eigenen wohlwollend anzunehmen. Wie ein guter Mentor bedeutet es, das eigene Wissen und Erfahrungen in den Dienst des Nachfolgenden zu stellen. Diese Art des uneitlen Handelns gehört wesentlich zur Verantwortung, die eigene Arbeit gut abzuschließen und zu übergeben.

Wie sollten sich Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber vorbereiten, wie können sie den Offboardingprozess aktiv mitgestalten?

Gaßmann: Wichtig ist, die Altersstruktur im Unternehmen regelmäßig zu betrachten und im Blick zu haben, wer älter als 55 Jahre ist. Führungskräfte sollten sich darüber Gedanken machen, welche Standards sie für das Offboarding festlegen wollen.Wie soll der Übergang gelingen? Wann fangen wir an, mit den Mitarbeitenden zu sprechen? Wie wollen wir die Übergabeprozesse gestalten? Mit welchen Ritualen gestalten wir Abschiede? Das genau zu definieren und Verantwortung dafür zu übernehmen, dass der Prozess für alle verlässlich ist – das ist die Aufgabe der Arbeitgeber.

Was sind absolute No-Gos im Offboardingprozess?

Gaßmann: Die Bedeutung dieses Prozesses wird unterschätzt. Man glaubt: Die Mitarbeitenden verlassen das Unternehmen um was muss ich mich dann noch kümmern? Wenig beachtet wird dabei, dass es Verunsicherung bei jenen auslöst, die bleiben. Sie bemerken sehr wohl, wie mit jemandem umgegangen wird, der viele Jahre im Unternehmen seine Leistung erbracht hat. Auch die Jüngeren schauen in so einem Moment genau hin. Denn wie Wertschätzung tatsächlich gelebt wird, zeigt sich, wenn ein Erwerbsleben zu Ende geht und ein langjähriger Mitarbeiter das Unternehmen verlässt. Hier geht es dann nicht nur um Wertschätzung für eine bestimmte Aufgabe, sondern um die Lebensarbeitsleistung, die es zu würdigen gilt. Beschämend ist es, wenn es wie nicht selten gar keinen Abschied gibt. Oder nur einen Blumenstrauß und wie vielfach in Coronazeiten – eine kleine Mail: „Herzlichen Dank! Geben Sie doch bitte noch Ihre Schlüssel und Ihre Unterlagen ab.“ Das ist unwürdig, – und das wirkt sich zwar nicht direkt, aber indirekt auf die Arbeitgeberattraktivität aus.

Wann ist der richtige Zeitpunkt, um das Offboarding anzugehen?

Gaßmann: Es sollte schon vor der Altersgrenze von 60 Jahren Angebote geben, die eine Auseinandersetzung mit dem Thema ermöglichen. Dabei geht es zunächst darum, dafür zu sensibilisieren, dass es nun diesen Übergang zu gestalten gilt. Folgende Fragen sollten dabei aus Sicht des Arbeitnehmenden im Fokus stehen: Was will ich noch erreichen? Wie muss mein Arbeitsplatz angepasst werden? Wie sollen meine letzten Jahre im Unternehmen aussehen? Welche Projekte will ich anpacken?

Und für den Arbeitgeber gilt: Die Stelle muss nachbesetzt werden – und dabei gilt es Übergabezeiten zu berücksichtigen. In der Praxis braucht man für die Nachbesetzung dieser Stellen manchmal länger, als man glaubt. Um den konkreten Übergang reibungslos zu gestalten, sollte vor allem angesichts der Probleme bei der Nachbesetzung durch den Fachkräftemangel ein Zeitfenster von eineinhalb und in manchen Fällen drei Jahren eingeplant werden.

Stichwort Fachkräftemangel: Sollte es angesichts des War for Talents nicht das Ziel sein, ältere Arbeitskräfte möglichst lange im Unternehmen zu halten?

Gaßmann: Kürzlich wurde die Studie zur Altersdiskriminierung veröffentlicht. Und ein Satz aus dieser Studie trifft es ausgesprochen gut. Es heißt: Der Ort, an dem Menschen die meiste Diskriminierung erfahren, ist der Arbeitsplatz. Das ist spannend. Denn im Umkehrschluss bedeutet das: Menschen, die den Arbeitsplatz als einen Ort erleben, an dem sie aufgrund ihres Alters diskriminiert werden, wollen eben nicht unbedingt bis zum regulären Renteneintritt im Unternehmen bleiben. Ältere Angestellte machen die Erfahrung, dass ihr Wissen gar keine Bedeutung hat. Es wird suggeriert, dass man ihnen nichts zutraut, dass sie zum Beispiel bei Fortbildungen gar nicht mehr dabei sein müssen. Neue Projekte werden nicht selten Jüngeren gegeben. Das ist für das Ziel, ältere Mitarbeitende länger im Unternehmen zu halten, kontraproduktiv.

Wie ließe sich da gegensteuern?

Gaßmann: Wichtig ist es Maßnahmen zu ergreifen, um Altersdiskriminierung zu vermeiden, damit Menschen länger im Unternehmen bleiben. Wenn es gelingt, die Rollen der Älteren noch einmal zu verändern, sie an die Seite der Jüngeren zu stellen und den Wissensaustausch zwischen den Generationen zu fördern, dann profitiert das Unternehmen wirklich davon.

Den Arbeitgeber wechseln Angestellte im Laufe des Berufslebens häufiger. Was unterscheidet den Wechsel in den Ruhestand von einem normalen Jobwechsel?

Gaßmann: Ich verdeutliche das mal mit einer Gegenfrage: Was unterscheidet die Trennung vom Partner bei einer Scheidung von der Trennung infolge des Todes? Bei einer Scheidung habe ich die Chance, es beim nächsten Mal nochmal anders zu machen. Beim Tod dagegen ist es vorbei – endgültig.

Übertragen auf das Arbeitsleben heißt das: Bei einem Jobwechsel sind es die guten Erfahrungen, die ich mitnehmen kann. Ich weiß, was ich kann und welche Aufgabe zu mir passt und kann an anderer Stelle weitermachen. Mit dem Übergang in den Ruhestand dagegen endet die längste Lebensphase, die wir haben. Und deswegen ist dieser Übergang so bedeutsam. Ich habe danach keine Chance mehr, im Job nochmal zu zeigen, was ich kann. Es ist eine einmalige Situation. Und deshalb muss eine andere Aufmerksamkeit darauf liegen.

Wem gelingt denn der Übergang in den Ruhestand besser – Männern oder Frauen?

Gaßmann: Aus dem Bauch heraus hätte ich gesagt: Frauen. Denn Frauen sind es aufgrund ihrer Erwerbsbiografie gewohnt, dauernd in neue Phasen einzutreten. Erst der Berufseinstieg, dann kommen die Kinder, dann der Wiedereinstieg nach der Erziehungszeit.

Die Ergebnisse der Studie „Transitions and Old Age Potential“ (TOP) zeigen, dass Frauen den Renteneintritt deutlich belastender erleben. Frauen, die früher als erwartet in den Ruhestand gehen, zeigen die geringste Zufriedenheit mit dem Ruhestandsübergang. Bei Männern ist das genau andersherum. Hier sind die am zufriedensten, die früher in den Ruhestand gegangen sind. Das liegt möglicherweise daran, dass Frauen häufiger aufgrund von unterbrochenen Erwerbsbiografien, Teilzeitbeschäftigung und schlechter bezahlten Jobs darauf angewiesen sind, so spät wie möglich in Rente zu gehen, um ihr Einkommen zu sichern.

Aber ganz grundsätzlich – wenn man das Thema Offboarding nochmal geschlechtsunabhängig betrachtet – ist es entscheidend, dass Männer und Frauen die Kontrolle über diesen Prozess haben. Das heißt, dass sie den Übergang freiwillig erleben, sie finanziell abgesichert sind und sie selbst mitentscheiden, wie der Übergang konkret gestaltet wird, wie der Abschied abläuft. Je fremdbestimmter sie diesen Prozess erleben, desto größer ist die Unzufriedenheit. Das ist ein deutliches Indiz dafür, dass es wichtig ist, dass Unternehmen und Gehende zur Gestaltung des Offboardings sehr früh in den Dialog miteinander gehen.

 

07.02.2023
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