Immer mehr junge Menschen studieren, statt eine Ausbildung zu absolvieren. So waren laut Statistischem Bundesamt im Wintersemester 2020/21 über 2,9 Millionen Studierende eingeschrieben, die Zahl der Auszubildenden lag dagegen bei knapp 1,3 Millionen. Die aktuellen Zahlen spiegeln einen seit Jahren anhaltenden Trend wider. Dabei werden derzeit auch Ausbildungs- und Fachschulabsolventen in Deutschland dringend benötigt – als eine Lösung für den vielzitierten Fachkräftemangel. Laut Bundesagentur für Arbeit sind allein im Bereich Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT) 195.000 Stellen unbesetzt.
Der Bundesverband höherer Berufe der Technik, Wirtschaft und Gestaltung e.V. (BVT) will dem entgegenwirken und fordert gleichzeitig mehr Gerechtigkeit für die eigene Klientel. „Wir möchten die berufliche Bildung stärken und verdeutlichen, dass es auch in diesem Bereich Karrierechancen gibt, die bis in den akademischen Bereich hineinreichen“, sagt Hauptgeschäftsführer Gerard Wolny.
Katrin Staffler (CSU) und Dr. Jens Brandenburg (FDP) sind Teil der Enquete-Kommission „Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt“ des Bundestags. Dort haben sie Handlungsempfehlungen auch zur „Stärkung einer gelebten Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung erarbeitet, die dann in der nächsten Legislatur umgesetzt werden können“, so Brandenburg. Das Thema, so der Bildungsexperte, müsse weg von der Sonntagsrede hin zur Umsetzung.
Gemeinsam diskutiert die Dreier-Runde fünf potenzielle Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel.
1. Die Attraktivität der Bezeichnung verbessern
Fachschule, Fachhochschule, Universität: Begriffe, die in den Köpfen vieler ganz unterschiedliche Assoziationen hervorrufen. Wolny sieht schon in diesen Etiketten ein Problem, da sie Vor- und Fehlurteile festigen: „Die Ausbildung an den Fachschulen ist die höchste Stufe der beruflichen Bildung in Deutschland. Hier gibt es auch die längste Ausbildungszeit und die Fachschule stellt die höchsten Anforderungen, um überhaupt angenommen zu werden. Deshalb halten wir zum Beispiel ein Umtaufen der Fachschule in Fachakademie für förderlich, um nach außen hin zu zeigen, dass es sich um eine höhere berufliche Ausbildung handelt.“
Dass es bei Fachschulabschlüssen noch an Wahrnehmung „in der breiten Öffentlichkeit fehlt“, beklagt auch CSU-Politikerin Staffler: „Da ist sicher noch Luft nach oben.“ Auch die Fachschulen selbst sieht sie in der Pflicht, die eigene Attraktivität nach außen zu tragen. Brandenburg wäre offen für eine neue Etikettierung, „wenn dann ein Konsens da ist.“ Eine Lösung allerdings sieht er nicht darin: „Wir müssen hier vielmehr an die Substanz, an die Kommunikation herangehen.“
2. Transparenz und Vergleichbarkeit fördern
Welche Verdienstmöglichkeiten bieten Ausbildungsberufe? Welche Weiterbildungsoptionen gibt es? Und wie sieht es generell mit den Karrierechancen aus? Sind diese vergleichbar mit denen von Hochschulabsolventen?
All diese Fragen müssen beantwortet werden, um Transparenz und Vergleichbarkeit herzustellen, fordert FDP-Mann Brandenburg: „Gerade in Akademiker-Haushalten ist vielfach noch der Eindruck verbreitet, dass nach einer dreijährigen Ausbildung Schluss ist. Und viele Menschen kennen zwar den Begriff Meister, verbinden diesen aber nicht mit einer Aufstiegsfortbildung. Der Techniker ist als solches ebenfalls zu unbekannt.” Es ist also noch reichlich Aufklärungsarbeit zu leisten – von allen Seiten. Darin sind sich Politik und Verband einig.
3. Bundesweite Berufsorientierung etablieren und auf Vorbilder setzen
Junge Menschen wählen ihren Berufsweg aus den unterschiedlichsten Gründen. Das elterliche und schulische Umfeld kann dabei eine wesentliche Rolle spielen. „Ich glaube, dass eine bundesweite Berufsorientierungsoffensive an allen Schulen entscheidend wäre. Ich erlebe leider immer wieder Schulleitungen an Gymnasien, die der Meinung sind, dass sie die Jugend nur auf die Hochschule vorbereiten“, moniert Brandenburg.
Wichtig sei außerdem, möglichst früh – zum Beispiel ab der siebten Klasse – und sehr praxisorientiert über Berufe zu informieren. Davon ist auch CSU-Bildungspolitikerin Staffler überzeugt: „Der unmittelbare Praxisbezug ist ausschlaggebend, etwa in Form von Praktika. Ich bin davon überzeugt, dass auch Role-Models viel ausmachen – also Menschen, die mit Freude von ihren Berufen berichten und damit andere von diesem Weg überzeugen.“ Auch mehr junge Frauen ließen sich über Vorbilder für die MINT-Berufe begeistern, so Staffler. Und Studienabbrecher könnten in der Kombination Ausbildung und Fachschule eine echte Alternative finden.
4. Mehr finanzieller Spielraum für digitale Lehrmethoden
Um Fachschulen nachhaltig attraktiv zu machen, sind auch gezielte Maßnahmen am Bildungsstandort selbst nötig. So wären VR-Brillen, die den realen Einsatz zum Beispiel auf der Baustelle simulieren, eine Möglichkeit, um einen kreativen Zugang zum Beruf zu gestalten. Doch um digitale Lehrmethoden einzusetzen, brauche es erst einmal die finanziellen Mittel für deren Integration, wie Staffler anmerkt: „Solche Lehrinhalte sprechen die jüngere Generation an. Die Politik muss die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, damit Fachschulen diese auch nutzen können.“
5. Hemmschwellen abbauen, um lebenslanges Lernen zu fördern
Niemand hat nach dem Absolvieren einer Ausbildung wirklich ausgelernt. Gerade in Zeiten der digitalen Transformation ist die Notwendigkeit zur Weiterbildung größer denn je. Und die Möglichkeiten sind umfangreich. Oftmals aber bilden sich gerade dadurch Hemmschwellen: Um sich beispielsweise zur Technikerin oder zum Techniker ausbilden zu lassen, muss der Arbeitgeber den Mitarbeitenden zwei Jahre freistellen oder aber vier Jahre eine berufsbegleitende Weiterbildung ermöglichen. Viele Unternehmen sind laut Wolny aktuell nicht bereit entsprechend zu investieren. Außerdem müssten Gesellinnen und Gesellen für die Weiterbildung meist selbst Geld in die Hand nehmen – anders als bei einem Bachelor- oder Masterstudium.
„Wir fordern daher schon lange, dass die höhere Berufsbildung einen angemesseneren Stellenwert bekommt. Ich bin der Meinung, dass diese kostenfrei sein sollte, damit die Vergleichbarkeit zum Studium wirklich gegeben ist“, sagt Staffler. Die Bundesagentur für Arbeit habe außerdem laut BVT eine Informationspflicht und müsse Interessierte über Möglichkeiten aufklären. Eine weitere Forderung des Berufsverbands: Nicht nur der Meister, sondern jede Aufstiegsfortbildung muss prämiert werden. „Ich sehe da eine Gerechtigkeitslücke, denn die Weiterbildung zur staatlich geprüften Technikerin und zum Techniker ist weit aufwendiger als der Meister, was die aufgewendeten Stunden angeht“, so Wolny.
Aber egal ob Studium, Fachschule oder Ausbildung – künftige Berufstätige stehen vor der Herausforderung, dass sich Berufsbilder immer schneller verändern. Ständige Weiterbildung wird daher ein Weg sein, um dem Fachkräftemangel zu begegnen und den Veränderungen des digitalen Wandels gewachsen zu sein. Brandenburg sieht hier eine große Aufgabe für die Politik: „Nach Umbrüchen entstehen immer wieder neue Berufsbilder. Die Herausforderung ist, dass wir ein attraktives wie effizientes Bildungssystem aufbauen, was Menschen ein Leben lang dazu befähigt, immer neu zu lernen.“