Die Zahlen sprechen für sich: Allein durch die Altersfluktuation verliert Stuttgart aktuell pro Jahr über 300 Beschäftigte. In den kommenden Jahren wird sich das Problem noch verschärfen. „Dann brauchen wir bis zu
500 Neueinstellungen jährlich, um personell überhaupt die Nulllinie halten zu können“, erklärt Dr. Fabian Mayer, der seit 2016 Bürgermeister und seit 2019 Erster Bürgermeister von Stuttgart sowie Leiter des Referats für Allgemeine Verwaltung, Kultur und Recht ist. Hinzu kämen die betriebliche und betriebswirtschaftliche Fluktuation sowie der Bedarf an neuen Stellen, die erst geschaffen werden müssten, um neue Aufgaben bewältigen zu können, so Mayer. Und weiter: „Wir merken, dass diejenigen, die sich gezielt für den öffentlichen Dienst interessieren, nicht ausreichen, um unseren gro- ßen Personalbedarf zu befriedigen. Deshalb setzen wir unter anderem auch immer stärker auf Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger“, erklärt der CDU-Politiker.
Fakt ist: Die Institutionen und Organisationen in öffentlicher Hand haben ein massives Rekrutierungsproblem. Kürzlich veröffentlichte das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ eine Erhebung, nach der dem öffentlichen Dienst in Deutschland bis 2030 etwa eine Million Beschäftigte fehlen werden. Mayer spürt den Personalbedarf bereits jetzt und ist alarmiert: „Wir sind in Stuttgart besonders belastet durch einen starken Wirtschafts- und Industriestandort mit erfolgreichen Hightech- und Kreativunternehmen. Wir kämpfen genauso wie die Firmen der Privatwirtschaft um die besten Köpfe, und natürlich gibt es Bausteine wie die Vergütung, bei denen wir überhaupt nicht mithalten können.“
Flexible Arbeitszeiten als Pluspunkt
Die Stadt setzt als Arbeitgeberin beim Recruiting deshalb auf andere Faktoren, die für potenzielle Bewerberinnen und Bewerber den Unterschied ausmachen sollen. „Und wir stellen fest, dass es funktioniert“, sagt Mayer. Konkret meint er zeitgemäße, flexible und nicht zuletzt familienfreundliche Arbeitsbedingungen. Mayer belegt das mit einer Teilzeitquote von über 40 Prozent in den 30 Ämtern und Eigenbetrieben: „Für uns ist das flexible Arbeiten und dadurch die Gewährleistung der Work-Life-Balance sehr wichtig und ein selbst gesetztes Ziel, an dem wir beständig arbeiten.“ Stuttgart will aber auch mit einer modernen Geräteausstattung und dem Zugang zu mobilem Arbeiten für möglichst viele Berufe und Bereiche punkten. Für die Stadt mit ihren vielfältigen Berufsbildern ist das herausfordernd – aber auch ein Antrieb, sich dem Transformationsdruck aktiv zu stellen.
Um auf die drängenden Fragen in den Bereichen Digitalisierung, Fachkräftemangel oder ökologische sowie ökonomische Transformation die richtigen Antworten zu finden, hat die Landeshauptstadt eine „Personalstrategie 2030“ entwickelt. Sie trägt den Namen „Wir sind Stuttgart von Beruf“. Mayer: „Der Claim ist nicht nur Werbebotschaft und Selbstverständnis, sondern auch Handlungsprogramm, dem wir uns verpflichtet fühlen. Damit zeigen wir die Richtung auf, in die wir gemeinsam mit und für unsere Beschäftigten gehen wollen.“ Und das komme laut dem Bürgermeister bei potenziellen Bewerberinnen und Bewerbern sehr gut an.
Employer Branding: Smarte Stadt sucht junge Talente
Stuttgart will und braucht junge Talente – und stellt sich nicht zuletzt deshalb immer digitaler auf. Dass die Zeit der piefigen Beamtenzimmer in der Schwabenmetropole vorbei sind, belegt der „Smart City Index 2023“, ein Ranking der smartesten deutschen Großstädte, den der Digitalverband Bitkom erhoben hat. Darin belegt Stuttgart als bester Vertreter Baden-Württembergs den achten Platz und lässt Ulm und Karlsruhe knapp hinter sich.
Doch was heißt das konkret? Zum Beispiel, dass die Stuttgarter Wirtschaftsförderung im Juni 2022 mit dem City Innovation Lab (CIL) eine Plattform für innovative Ideen und gemeinsame Projekte von und für ortsansässige Unternehmen aus Handel, Gastronomie und Innenstadtakteuren geschaffen hat.
„Wir beschäftigen uns darüber hinaus auch intensiv mit aktuellen Themen wie Künstlicher Intelligenz oder haben im technischen Bereich bereits viele Lösungen zur vernetzten Welt mit smarten Geräten, dem Internet der Dinge, im Angebot“, sagt Mayer. Stuttgart wolle als Landeshauptstadt Digitalisierungsvorreiter sein und sich so entsprechend bei Digital Natives und jungen Talenten positionieren. Verstärkt natürlich vor allem auf den einschlägigen digitalen Plattformen und Social-Media-Kanälen.
Positionierung beim Recruiting sichtbar machen
Bei der Positionierung spielt auch das Thema Nachhaltigkeit eine immer stärkere Rolle. Schließlich hat sich Stuttgart einen ehrgeizigen Klima-Fahrplan auferlegt und will bis 2035 klimaneutral sein – auch im interkommunalen Vergleich ein ehrgeiziger Wert. „Wir wollen unseren eigenen ökologischen Fußabdruck nach und nach reduzieren, zum Beispiel durch die Förderung von umweltfreundlichen Projekten, aber ganz gezielt im Bereich des Recruitings und unserer Belegschaft“, verspricht der Erste Bürgermeister.
Mayer setzt aber nicht nur auf interne Veränderungen, sondern will diese verstärkt auch nach außen hin sichtbar machen. So zum Beispiel mit dem Prädikat „Arbeitgeber der Zukunft“, den das Deutsche Innovationsinstitut für Digitalisierung und Nachhaltigkeit (diind) der baden-württembergischen Landeshauptstadt verliehen hat. Mayer: „Dieses Zertifikat ist für uns ein Wettbewerbsvorteil und sehr hilfreich. Denn eine unabhängige Organisation hat die Qualitäten von uns als Arbeitgeberin in wichtigen Zukunftsfeldern bestätigt. Damit können wir sehr gut junge und technologieaffine Mitarbeitende adressieren.“ Und bei denen hat Stuttgart – genauso wie die privatwirtschaftlichen Mitbewerber – einen besonders hohen Bedarf in der Personalgewinnung.