zwei Personen halten Smartphones mit Bildern von 2 Personen, die miteinander sprechen
21.06.2023    Madeline Sieland
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Die Freude über den unterschriebenen Arbeitsvertrag, über den neuen Mitarbeitenden ist groß. Endlich scheint die händeringend gesuchte Entlastung gefunden zu sein. Doch dann folgt die Ernüchterung: Die Kündigung kommt noch vor dem ersten Arbeitstag. Mehr als ein Drittel der HR-Verantwortlichen und Führungskräfte hat das bereits erlebt. Das zeigt die „Haufe Talent Onboarding-Studie 2023“.

Der Grund dafür: fehlendes Preboarding. Denn wird der Kontakt zwischen Vertragsunterschrift und erstem Arbeitstag konstant gehalten, erhöht das die Mitarbeiterbindung.

„Sowohl das Preboarding als auch das spätere Onboarding sind sensible Prozesse, die vom Unternehmen gut durchdacht werden müssen“, sagt Moritz Sherpa, Market Owner bei Haufe Talent. „Schlechte Vorbereitung kann hier nicht nur dafür sorgen, dass die aufwendige Personalsuche wieder von vorne beginnen muss, sondern wirkt sich langfristig auch negativ auf die Reputation als Arbeitgeber aus.“

Zur Person

Moritz Sherpa von Haufe Talent

Moritz Sherpa

ist seit Oktober 2017 für die Haufe Group tätig. Im Mai 2022 hat er die Funktion des Market Owners bei Haufe Talent übernommen

Vielfach hat man den Eindruck, eine Candidate-Journey endet mit der Vertragsunterschrift. Danach ist Funkstille bis zum ersten Arbeitstag. Welches Potenzial wird verschenkt beziehungsweise welche Risiken birgt es, wenn der Kontakt zur neuen Arbeitnehmerin oder zum neuen Arbeitnehmer nicht gehalten wird?

Moritz Sherpa: Unsere „Haufe Talent Onboarding-Studie 2023“ zeigt, dass Unternehmen ein großes Risiko eingehen, wenn ihre künftigen Mitarbeitenden zwischen Vertragsunterschrift und erstem Arbeitstag nichts mehr von ihnen hören. Denn 36 Prozent der Befragten Personalerinnen und Personaler gaben in unserer Befragung an, dass sie schon mindestens eine Kündigung in dieser Phase erlebt haben. In mehr als einem Fünftel der Fälle lag dies an unprofessionellem Onboarding.

Mitarbeitende haben heute den Luxus, dass sie in einer volatilen Arbeitswelt mit einem Arbeitnehmermarkt sehr flexibel sind. Ein Unternehmen sollte sich deshalb niemals auf einer Vertragsunterschrift ausruhen.

Halten Unternehmen auch nach der Unterschrift Kontakt, wenden sie nicht nur das Risiko einer Frühfluktuation ab. Vielmehr können sie die künftigen Mitarbeitenden auch gleich ins Team integrieren. Vermitteln sie etwa den Kontakt zwischen den baldigen Kolleginnen und Kollegen, können sie viele Pluspunkte beim Talent sammeln, weil sich der neue Arbeitgeber offenkundig um die Belegschaft bemüht.

Gibt es so etwas wie einen idealtypischen Onboarding-Prozess?

Sherpa: Es gibt keine Blaupause für einen perfekten Onboarding-Prozess – dazu sind Unternehmen auch zu unterschiedlich. Es klingt vielleicht selbstverständlich, aber überhaupt einen fest strukturierten Onboarding-Prozess zu haben ist wohl der entscheidendste Faktor. In unserer Studie zeigte sich allerdings, dass nur ein Viertel der befragten Unternehmen einen strukturierten Onboarding-Prozess und nur 17 Prozent dafür ein festes Budget haben.

Was zeichnet einen strukturierten Onboarding-Prozess aus?

Sherpa: Dass er sich nahtlos an das gesamte Recruiting anschließt. Darüber hinaus sind transparente Kommunikation und kontinuierliches Feedback essenzielle Bestandteile eines erfolgreichen Preboardings und Onboardings.

Im besten Fall sollten mehrere Ansprechpartner aus dem Unternehmen direkt nach der Vertragsunterschrift Kontakt mit dem Onboardee aufnehmen. So wird ein Gesamteindruck vermittelt und Fragen des Onboardee können geklärt werden. Gibt es Wünsche und Anregungen des Onboardees für die neue Stelle? Wie läuft der Start im neuen Team ab?

Wichtig ist es, dass dann am ersten Arbeitstag auch alle wichtigen Arbeitsmittel zur Verfügung stehen, damit Onboardees direkt produktiv in den neuen Job starten können. Um die neuen Mitarbeitenden abzuholen, ist es entscheidend, sie direkt in die Teams zu integrieren. Das kann beispielsweise durch einen gemeinsamen Lunch oder durch Afterwork- und Teamevents zur Begrüßung gelingen.

Kann man es beim Onboarding eigentlich auch übertreiben – sprich: einen Onboardee mit zu vielen Maßnahmen und Meetings überfordern?

Sherpa: Theoretisch ist so etwas denkbar, allerdings sehen wir aktuell eher, dass Unternehmen unter- statt übertreiben. Für viele Bewerberinnen und Bewerber gibt es keinen strukturierten Onboarding-Prozess – und das hat Konsequenzen wie zum Beispiel Frühfluktuation.

Generell ist beim Onboarding die Perspektive der Bewerberinnen und Bewerber interessant. Wenn sie in einen neuen Job starten, gibt es neben der Vorfreude meist auch ein Quäntchen Unsicherheit, ob sie die richtige Entscheidung getroffen haben. Daher freuen sie sich in der Regel über jedes Onboarding-Angebot des neuen Arbeitgebers, da es ihnen die Sicherheit gibt, dass sie bei einem Arbeitgeber „gelandet“ sind, der die Mitarbeitenden sieht und wertschätzt.

Ziel der HR muss es deshalb sein, Unsicherheiten schnellstmöglich aus dem Weg zu räumen oder bestenfalls gar nicht erst aufkommen zu lassen. Das gelingt nur mit regelmäßiger Kommunikation mit den Onboardees. Als Unternehmen kann man an dieser Stelle zusätzlich mit flexiblen Angeboten wie Kennenlerncalls arbeiten, die die Bewerberinnen und Bewerber wahrnehmen können, wenn sie möchten.

Was muss man beim Remote-Onboarding anders machen als beim klassischen Onboarding?

Sherpa: Remote-Onboarding bringt im Vergleich zum klassischen Prozess einige zusätzliche Herausforderungen mit sich. Der vielleicht größte Unterschied besteht im sozialen Onboarding: Es ist remote sehr viel schwieriger, das Team kennenzulernen und auch menschlich „anzukommen“, da Gespräche an Kaffeemaschine und Co. wegfallen. Diese persönlichen Interaktionen müssen beim Remote-Onboarding so gut wie möglich in den virtuellen Raum verlagert werden.

Zudem gilt beim Remote-Onboarding, dass die Unternehmenskultur für neue Mitarbeitende nicht so leicht erfahrbar ist, als wenn sie täglich ins Unternehmen kommen würden. Hier muss der Arbeitgeber also stärker kommunizieren, als dies sonst der Fall wäre.

Sollten zudem mehrere Onboardees gleichzeitig in den neuen Job starten, bietet es sich an, diese auch virtuell zu vernetzen. So entsteht direkt ein Wir-Gefühl zwischen den neuen Mitarbeitenden.

In der Startphase hilft es zudem Routinen zu etablieren – zum Beispiel einen regelmäßigen Call mit der oder dem Vorgesetzten, in dem sie Fragen klären und sich über den Start in den neuen Job austauschen können. Dasselbe gilt für interne Netzwerke und Veranstaltungen, zum Beispiel Coffee- oder Lunch-Calls. Hier sollten Teammitglieder die neuen Kolleginnen und Kollegen vom ersten Tag an integrieren.

Was sollte in Onboarding-Prozessen – ob remote oder klassisch – nie vernachlässigt werden?

Sherpa: Transparenz und eine kontinuierliche und ehrliche Kommunikation sind im Onboarding immer wichtig, gewinnen im digitalen Onboarding-Prozess jedoch zusätzlich an Bedeutung.

Zudem ist die Rolle des Feedbacks nicht zu unterschätzen. Was in Präsenz oft nebenbei funktioniert, muss im Remote-Onboarding kontinuierlich und proaktiv geschehen. Onboardees müssen sich auch im digitalen Raum gesehen fühlen, und dafür ist regelmäßiges Feedback unerlässlich. Die erste Onboarding-Woche sollte also besonders beim digitalen Onboarding gut geplant und durchstrukturiert sein. Die richtige Technologie kann den Remote-Onboarding-Prozess an wichtigen Stellen zusätzlich unterstützen.

Die „Haufe Talent Onboarding-Studie 2023“ ist bereits die sechste Erhebung. Wie haben sich Onboarding-Prozesse seit der ersten Studie 2017 verändert?

Sherpa: Den größten Paradigmenwechsel im Onboarding haben wir zu Beginn der Coronapandemie gesehen. Hier mussten Unternehmen gezwungenermaßen rasch auf Remote-Onboarding umstellen. Damit taten sich viele 2020 schwer – und tun dies interessanterweise immer noch: Nur 36 Prozent der befragten Unternehmen bieten Remote-Onboarding an.

Zudem sollte man meinen, dass während der Pandemie die richtigen Strukturen geschaffen wurden. Das ist allerdings noch zu selten der Fall und ein klarer Wettbewerbsnachteil, wenn man bedenkt, dass die meisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer heute eine Option für Hybrid- oder Remote-Work erwarten.

Trotzdem wird digitales Onboarding weiter an Bedeutung gewinnen, da es in einer digitalisierten Arbeitswelt unerlässlich geworden ist. Dafür dürfen Unternehmen Remote-Onboarding jedoch nicht als lästige Pflicht erachten, sondern müssen auch die Chancen wahrnehmen. Ein gut strukturiertes digitales Onboarding bringt nämlich auch Vorteile mit sich. Zum Beispiel lassen sich relevante Informationen online früher an die Onboardees weitergeben.

Was zeichnet das Onboarding der Zukunft auf, worauf sollten sich Unternehmen einstellen?

Sherpa: Die wohl häufigste Variante wird in Zukunft das Hybrid-Onboarding sein. Dabei können Unternehmen ihren neuen Mitarbeitenden das Beste aus zwei Welten liefern: schnelle und nahtlose Informationsweitergabe des digitalen Onboardings und die menschliche und kulturelle Komponente der klassischen Präsenzvariante.

21.06.2023    Madeline Sieland
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