Der Zukunftspakt von Siemens
„Karriere selbst gestalten“
Weiterqualifizierung von 380.000 Mitarbeitern – wie geht das? Janina Kugel, Vorstandsmitglied von Siemens, über die neue Arbeitswelt und Reskilling als Pflicht.
Janina Kugel
wechselte 2001 zu Siemens, ist seit 2015 Vorstandsmitglied und verantwortet als Chief Human Resources Officer unter anderem die Themen Diversity und Social Innovation. Kugel ist in Stuttgart geboren und studierte in Mainz und Verona
DUB UNTERNEHMER-Magazin: Digitale Technologien und webbasierte Weiterbildungsprogramme wandeln die Arbeitswelt grundlegend. Welche Rolle spielen diese neuen Möglichkeiten bei Siemens?
Janina Kugel: Digitale Technologien prägen die gesamte Wirtschaft und haben letztlich erheblichen Anteil am Strukturwandel, mit dem praktisch alle Unternehmen umgehen müssen. Für Siemens ist Digitalisierung der große Wachstumstreiber. Aber dies erfordert Schnelligkeit und vor allem Anpassungsfähigkeit. Für die Qualifikation unserer Mitarbeiter heißt das: Aktuelles Wissen muss schnell, flexibel und global zugänglich sein. Deshalb setzen wir zunehmend auf elektronische und webbasierte Lernformate. Beispielsweise veröffentlichen Siemens-Experten auf unserer Plattform „Learning World“ Lerninhalte, um sie allen Mitarbeitern weltweit zugänglich zu machen.
Wie aufgeschlossen sind Sie gegenüber digitalen Tools in der Personalentwicklung?
Kugel: Digitale Tools sind in der Personalentwicklung mittlerweile fest verankert und wegen unserer globalen Aufstellung unverzichtbar. Das betrifft die regelmäßige Festlegung von Zielen, das Monitoring und die Beurteilung der Ziele. Und es betrifft besonders die Unterstützung unserer Mitarbeiter bei der Gestaltung ihrer Karriere. Wir nennen das bei Siemens „Own Your Career“. Es ist durchaus ein Paradigmenwechsel: weg von Top-down-Vorgaben hin zur Selbstverantwortung im Job. Auch bei der persönlichen Weiterqualifizierung finden digitale Tools immer mehr Anklang. Im vergangenen Jahr haben über eine Million Teilnehmer weltweit unsere E-Learning-Maßnahmen genutzt. Allerdings ist die Akzeptanz von elektronischen Tools bei Mitarbeitern und Führungskräften noch eine Herausforderung. Viele wünschen sich weiter zu allen Themen das persönliche Gespräch. Aber wir dürfen nicht immer nur Dinge vorgeben. Personalentwicklung ist vor allem auch Führungsaufgabe.
Sie fordern kontinuierliches und lebenslanges Lernen. Mit welchen Instrumenten arbeiten Sie, um Talente zu identifizieren und im Unternehmen zu halten?
Kugel: Lebenslanges Lernen ist essenziell. Die Welt ändert sich mittlerweile so schnell, dass einiges, was Sie noch vor ein paar Jahren gelernt haben, vielleicht schon heute nicht mehr benötigt wird. Wir wollen unseren Mitarbeitern neben Lernprogrammen auch interessante Stellen im gesamten Siemens-Konzern aufzeigen. Digitale Tools bieten uns dafür großartige Möglichkeiten. Unsere Mitarbeiter können mit „Job Tagging“ ihr Interesse an einer bestimmten Abteilung bekunden und erhalten dann automatisch relevante Stellenanzeigen. Inzwischen müssen bei uns alle Stellen ausgeschrieben werden. Jeder Mitarbeiter kann selbst entscheiden, ob er die Führungskraft der betreffenden Abteilung über sein Interesse informiert. Auch Führungskräfte können direkt auf Mitarbeiter zugehen, die ihre „Tags“ mit ihnen ausgetauscht haben, um sich mit ihnen über deren Motivation und Qualifikationen zu besprechen. Wer Genaueres über eine bestimmte Stelle wissen will, dem bieten wir über die digitalen Tools hinaus beispielsweise die Möglichkeit des „Job Shadowing“. Dabei kann ein Mitarbeiter einen anderen Kollegen bei seiner Arbeit über mehrere Tage begleiten, um so ganz praktische Einblicke in einen anderen Job zu bekommen.
Welche Aspekte bei der Mitarbeiterentwicklung sind für Sie zentral? Wie wichtig ist es, dabei auch auf Young Professionals einzugehen?
Kugel: Neben der Weiterentwicklung fachlicher Qualifikationen sind etwa soziale Aspekte, wie beispielsweise das Verständnis von modernen Arbeitsmethoden, Führung und Diversity, wichtig. Wir brauchen Mitarbeiter, die die lokalen Märkte und Kulturen verstehen – aber zugleich das große Ganze. Global zu agieren, ohne die eigene Heimat jemals verlassen zu haben, ist schwierig. Und was die Young Professionals betrifft: Ja, die Gesellschaft und deren Ansprüche haben sich stark gewandelt. Entsprechend müssen sich die Unternehmen wandeln und wissen, was sie in Zukunft bieten müssen, um die klügsten Köpfe zu behalten und zu gewinnen. Was bedeutet das für die Führungskultur? Die traditionelle Führung verändert sich: weg vom klaren Hierarchiedenken, hin zu horizontaler Führung; weg von der starren Präsenzkultur, hin zu flexiblen und mobilen Arbeitsmodellen; Kontrolle aufgeben und Freiräume zulassen; die Nutzung digitaler Kommunikationslösungen.
Was wünschen sich Arbeitnehmer zu den Themen Reskilling und Upskilling von einem innovativen Arbeitgeber?
Kugel: Upskilling ist wichtig, also das Feilen an den eigenen Fähigkeiten und die Weiterqualifizierung, um auf dem eigenen Gebiet up to date zu sein. Viel wichtiger wird in Zeiten des Strukturwandels aber das Thema Reskilling, also das Lernen von völlig neuen Dingen. Ich will ganz ehrlich sein: Viele Zukunftsjobs kennen wir heute wahrscheinlich noch nicht. Vor 20 Jahren wussten wir auch nicht, dass es mal App-Entwickler geben wird, auch bei Siemens. Klar ist aber: Jeder muss seine Fähigkeiten weiterentwickeln. Das ist dann womöglich mit mehr Verantwortung verbunden. Davor scheuen manche zurück, aber sie sind stolz, wenn sie es dann geschafft haben. Unsere Mitarbeiter erwarten von uns, dass wir ihnen die Rahmenbedingungen dafür bieten. Und das tun wir. Einerseits durch unseren „Global Learning Campus“ mit seinen vielfältigen Qualifizierungsmöglichkeiten und durch unsere „Own Your Career“-Initiative. Andererseits, indem wir unseren Mitarbeitern die nötigen Freiräume geben, um Dinge mal auszuprobieren. Man kann Menschen am ehesten überzeugen, wenn man sie probieren lässt. Wer sich das traut und ein Erfolgserlebnis hat, der zieht dann viele andere mit. Und das müssen unsere Führungskräfte vorleben.
Siemens unterzeichnete 2018 den „Zukunftspakt“. Inwieweit ist dieser inzwischen mit Leben erfüllt?
Kugel: Es war uns wichtig, dem Strukturwandel nicht nur mit Personalabbau zu begegnen, sondern auch mit weiteren Investitionen in das Reskilling unserer Mitarbeiter. Dabei geht es unter anderem darum, eine neue Lernkultur bei Siemens zu etablieren, und zwar für alle – bevor sie von Personalabbau betroffen sind. Der Zukunftsfonds ist ein Beispiel. Dafür stellt Siemens in den nächsten vier Jahren bis zu 100 Millionen Euro bereit und wird damit Qualifizierungsprojekte finanzieren, die auf strukturwandelbedingte Veränderungen einzahlen. Diese Veränderungen werden meist zuallererst an einzelnen Standorten spürbar, sodass wir mit dem Fonds lokale Projekte fördern, aus denen wir dann für weitere Einheiten lernen können. Führen wir beispielsweise automatisierte Assistenz- und Lagerlogistiksysteme an einem Produktionsstandort ein, dann ist dort klar, dass die Tätigkeiten der Kommissionierer oder Gabelstaplerfahrer in relativ kurzer Zeit wegfallen. Allerdings bedarf es ja Menschen, die diese Systeme steuern. Also brauchen wir Ansätze, wie wir idealerweise Mitarbeiter, deren Aufgaben entfallen, für neue, anders gelagerte Tätigkeiten qualifizieren.