Homeoffice

Führen per Fernsteuerung

Trotz Homeoffice und Abstandsgebot soll das Unternehmen handlungsfähig bleiben? Der frühere US-General und heutige Top-Berater Stanley A. McChrystal hat eine Lösung für das Dilemma.

20.04.2020

Trägheit ist eine größere Bedrohung als falsche Entscheidungen: Das ist die Botschaft, mit der sich Stanley A. McChrystal zurzeit an Führungskräfte wendet. Der frühere Vier-Sterne-General der US-Armee und heutige Chef der McChrystal Group hat auf der Social-Media-Plattform LinkedIn einen mehrteiligen Beitrag gepostet: „Leading an Organization through the Uncertainty of Covid-19“. Zu Deutsch: So führen Sie Ihr Unternehmen durch Unsicherheiten in der Coronakrise.

Für McChrystal stehen Unternehmenslenker vor großen Herausforderungen: Top-down-Management mit engem Kontakt zu den Mitarbeitern und regel­mäßigen Meetings funktioniert in Zeiten von Ausgangsverboten und Homeoffice nicht. So stellt sich die Frage: Wie muss Führung aus der Ferne strukturiert sein, damit Flexibilität, Schnelligkeit, Strategie und die Unternehmenskultur erhalten bleiben? Und wie können alle geografisch voneinander getrennt sein und doch so kommunizieren, als wären sie im selben Raum?

Basierend auf seinen Erfahrungen als Koordinator der US-Streitkräfte im Irak und in Afghanistan hat McChrystal eine Richtschnur für Manager entwickelt: Grundlagen schaffen, Kommunikation ermöglichen, Entscheidungen treffen und umsetzen. Für den Ex-General ist dabei klar: Der Mensch tauscht sich nicht nur verbal, sondern auch über Körpersprache und Mimik aus. Und vermeintlich Nebensächliches wie der Small Talk oder das gemeinsame Lunchen sind enorm wichtig für den Zusammenhalt eines Teams.

So gilt es, auch im Remote-Office größtmögliche Nähe und Verbindung zu schaffen. Als beste Lösung dafür sieht McChrystal Videokonferenzen an, da die Kommunikation „von Angesicht zu Angesicht“ viel besser als auf telefonischem Weg funktionierte. Zusätzlich sollte ein Chatroom die Möglichkeit zum Austausch für alle Mitarbeiter bieten. Sein Rat: Führungskräfte sollten die folgenden fünf Punkte beachten, wenn sie sich für die neuen Zeiten wappnen.

Die Grundlagen schaffen

1. Jetzt starten: Entwickeln Sie Ihr Mindset für die digitale Kommunikation.

2. Haben Sie und Ihre Mitarbeiter vor Ort die dafür nötige IT-Infrastruktur und Software?

3. Sind alle technischen Systeme betriebsbereit?

4. Erstellen Sie eine Agenda mit einer klaren Struktur – und hängen Sie diese an Ihre Gesprächseinladungen an.

5. Bestimmen Sie einen Mitarbeiter, der die Konferenzen betreut, die Einhaltung der Agenda kon­trolliert und die Informationen verteilt.

McChrystal rät zudem: Mehrmals pro Woche sollten die Mitarbeiter im Remote-Office von den Führungskräften hören – und jede textbasierte E-Mail sollte einen Video-Anhang mit derselben Nachricht enthalten. Denn fehlen die gewohnten Kommunikationswege, wird es laut McChrystal viel wichtiger, Visionen und Strategien für alle wiederholt und klar darzustellen. Im Klartext: Führungskräfte sollten in diesen Tagen die meiste Zeit mit der Kommunikation mit den Mitarbeitern verbringen, denn das Team braucht eine „Erinnerungskultur“ für gemeinsame Werte und Ziele. Hier die Basics für die Kommunikation per Video:

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Erfolgreich per Video kommunizieren

1. Wählen Sie eine Umgebung, in der Sie ungestört sind. Und konzentrieren Sie sich voll und ganz auf die Konferenz.

2. Nutzen Sie am besten Headsets, schalten Sie Ihr Mikrofon in der Konferenz auf „stumm“, wenn Sie nicht sprechen. Schalten Sie Tonsignale für eintreffende Mails aus.

3. Sprechen Sie nur mit dreiviertel Ihrer gewohnten Redegeschwindigkeit.

4. Sprechen Sie mit der Kamera, als ob Sie direkt mit einem Menschen kommunizieren würden.

5. Kommunizieren Sie wertschätzend, verständlich und strukturiert. Eröffnen Sie die virtuelle Besprechung, begrüßen Sie das Team, sprechen Sie die Teilnehmer persönlich und mit Namen an.

6. Führen Sie ins Thema ein, schildern Sie die Ziele und die einzelnen Gesprächspunkte, nennen Sie den Zeitbedarf für das Meeting.

7. Fördern Sie den Dialog. Heißt: Stellen Sie Fragen, die nicht einfach mit Ja oder Nein beantwortet werden können. Beispiel: Warum funktioniert unser Ansatz Ihres Erachtens noch nicht so gut?

8. Benennen Sie die Herausforderungen für das Unternehmen klar – und zeigen Sie Empathie, wenn Mitarbeiter ihren Frust äußern.

9. Beenden Sie die Videokonferenz mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse – und mit einigen persönlichen Worten. Ein Glückwunsch zum Geburtstag oder eine Erkundigung zur Situation in der Familie zum Beispiel sind alles andere als Zeitverschwendung.

10. Zeichnen Sie die Besprechung auf – für Mitarbeiter, die nicht daran teilnehmen konnten.

Im nächsten Schritt stellt sich die Frage, wie aus dem Remote-Office heraus das Treffen von Entscheidungen funktioniert – und sichergestellt werden kann, dass die sich daraus ableitenden Maßnahmen auch von allen umgesetzt werden können. McChrystal plädiert wiederum dafür, weitaus mehr, deutlicher und klarer zu kommunizieren und Informationen mehr zu teilen als gewohnt. McChrystal rät zudem, zwei Phasen strikt voneinander zu unterscheiden:

  • Phase 1 dient der Informationsbeschaffung und -analyse und ist offen für neue Optionen und Perspektiven. Im Dialog mit den Mitarbeitern werden möglichst alle Aspekte und Einflussfaktoren berücksichtigt.
  • In Phase 2 ist die Entscheidung getroffen. Sie ist für alle klar und aussagekräftig. Jetzt geht es um die Ausführung.

Ganz wichtig ist es laut McChrystal, dass Führungskräfte jederzeit klar kommunizieren, in welcher Phase man sich befindet. Zudem sei es im Remote-Office elementar, das Vertrauen in die Mitarbeiter ins Zen­trum zu stellen – und sie zu ermutigen, auch eigene Entscheidungen zu treffen. Zugleich sollte man das Entscheidungsspektrum des einzelnen Mitarbeiters klar definieren, um Orientierung zu ermöglichen. Nur so kann die „Kaskadierung der Entscheidung“ – also das Delegieren der Entscheidung bis auf die niedrigstmögliche Ebene – nach Erfahrung McChrystals wirklich erfolgreich sein.

Alles in allem geht es bei McChrystals Konzept darum, die größtmögliche Flexibilität des Unternehmens zu erhalten. Ob Strategie, Kommunikation, Entscheidungsfindung, Infrastruktur, Methodik oder Prozesse – die Botschaft an die Mitarbeiter sollte sein: Alles ist offen für Veränderung, aber wir werden unser Ziel nicht aus den Augen verlieren. Und wir werden Fehler begehen – aber nicht scheitern, da wir aktiv bleiben. McChrystal zitiert dazu einen Kollegen der US-Marine: „Nur ein Schiff, das in Fahrt ist, kann man drehen.“ Übersetzt: Ihr Unternehmen muss in Bewegung bleiben. Und die besten Führungskräfte bewegen sich, bevor sie dazu gezwungen werden.

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