Illustration von Nachhaltigkeitsberichterstattung
16.12.2021    Jan Köpper
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GRI, GWÖ und DNK, ISSB, CSRD, tatütata. Mit freundlichen Grüßen aus der Welt der Nachhaltigkeitsberichterstattung. Die aktuelle Landschaft an Standards, freiwilligen Initiativen und verpflichtenden Gesetzgebungsprozessen stellt sich oft als unübersichtlich dar und wirft für Anwenderinnen und Anwender zahlreiche Fragen auf. Worauf kommt es an, wenn ich die Berichterstattung von Unternehmen nicht als Selbstzweck, sondern als Steuerungsimpuls nutzen möchte? Wie unterscheiden sich die einzelnen Ansätze?

Schwerpunkte von Kolumnist Jan Köpper

Regulatorik in Bezug auf Nachhaltigkeit zieht an

Im Jahr 2011 haben nur etwa 2500 der insgesamt 42.000 in der EU aktiven Großunternehmen Nachhaltigkeitsberichte veröffentlicht, womit die EU weltweit an der Spitze lag. Mittlerweile sind rund 11.700 Unternehmen dazu verpflichtet, Nachhaltigkeitsaspekte offenzulegen. Mit der Novellierung der Corporate Sustainability Reporting beziehungsweise Non-Financial Reporting Directive soll der Anwendungsbereich nochmals deutlich ausgeweitet werden, auch auf Unternehmen ab 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Die EU zieht also das Tempo an. Und auch die neue Bundesregierung plant, Nachhaltigkeit stärker verpflichtend in Unternehmensprozesse zu integrieren. So soll Deutschland als führender nachhaltiger Finanzplatz etabliert und die Empfehlungen des Sustainable-Finance-Beirats glaubwürdig umgesetzt werden. Viele hatten sich mehr Konkretes gewünscht. Wann und wie die sozial-ökologische Wende in Folge vorangetrieben wird, bleibt derzeit abzuwarten.

Nachhaltigkeit hätte schon längst integriert werden können

Währenddessen bereiten zahlreiche Banken die ersten Berichte zur EU-Taxonomie-Fähigkeit ihrer Portfolien vor, die sogenannte Green Asset Ratio (GAR), und stoßen dabei auf allerlei Herausforderungen mit Datenverfügbarkeiten bei ihren Kundinnen und Kunden. Denn ohne eine entsprechende Offenlegung von Nachhaltigkeitsinformationen durch realwirtschaftliche Unternehmen haben es Finanzinstitute schwer, die eigenen Aktivitäten auf Basis der Vorgaben der EU-Taxonomie auf Nachhaltigkeit zu prüfen. Dieser Umstand verkommt jedoch zu oft zu einer Ausrede.

Illustration von Jan Köpper

Jan Köpper leitet die Stabsstelle Wirkungstransparenz & Nachhaltigkeit in der GLS Bank eG gemeinsam mit seiner Kollegin Dr. Laura Mervelskemper. In dieser Funktion verantwortet er die Konzeption und Umsetzung der gesellschaftlichen Wirkungsmessung, der Übersetzung von Nachhaltigkeitsrisiken sowie die Integration von Nachhaltigkeit und Wirkung in die Kunden- und Steuerungsprozesse der Bank.

Man hätte durchaus vorher schon an einer Lösung arbeiten und Nachhaltigkeit stärker in die hauseigenen Systeme integrieren können. Nun wird nachgearbeitet, denn schon ab Januar 2022 werden berichtspflichtige Unternehmen in Europa zu den Nachhaltigkeitswirkungen ihrer Wirtschaftsaktivitäten informieren müssen. Die derzeit diskutierte CSRD bietet somit die Chance, bei den angesprochenen Datenlücken Hilfe zu leisten.

Daten, Daten, Daten – aber wo ist der Kontext?

Doch Unternehmen sollen nicht nur Datenlieferant sein. Nachhaltigkeitsberichte können ein wirksames, kontrollierendes, begeisterndes und ehrliches Instrument zur Steuerung und Rechenschaftspflicht in Bezug auf sozial-ökologische Aspekte sein. Dazu aber muss sich die bisherige Praxis deutlich verändern. Die heutige Nachhaltigkeitsberichterstattung arbeitet im Wesentlichen mit ESG-Leistungskennzahlen und stellt im besten Fall die Verbesserung dieser Leistungskennzahlen über einen gewissen Zeitraum dar – den sogenannten ESG-Progress.

Unterstützt werden diese Kennzahlen durch qualitative Beschreibungen von Maßnahmen, Managementsystemen und Initiativen in einzelnen Themenfeldern des ESG-Paradigmas: Umgang mit Menschenrechten, Umweltthemen, Vielfalt, gute Unternehmensführung etc. Aber was sagt diese Form der Kommunikation über tatsächliche Nachhaltigkeit aus? Reicht eine Reduktion von CO2-Emissionen aus, um 1,5-Grad-kompatibel zu wirtschaften? Genügen Richtlinien und interne Prüfverfahren, um Menschenrechtsverletzungen wirklich Einhalt zu bieten? Mitnichten.

Viele Standards – viel Luft nach oben

Um den Beitrag eines Unternehmens zu einer nachhaltigen Entwicklung darstellen zu können, müssen wir planetare Belastungsgrenzen (zum Beispiel die 1,5-Grad -Kompatibilität) und soziale Zielzustände (etwa keine Menschenrechtsverletzungen) klar definieren und Unternehmen daran messen, ob sie innerhalb dieser Leitplanken wirtschaften (Kontextualisierung). Denn die Grenzen unseres Planeten sind nicht verhandelbar, sie sind Naturgesetze und Lebensgrundlage für alle. Nur wenn wir sie aktiv als Gradmesser einsetzen, können Nachhaltigkeitsberichte eine ehrliche Geschichte erzählen und uns dabei helfen, das System Erde zu stabilisieren.

Unterstützung und Orientierung in der Übersetzung dieses Anspruchs bieten zahlreiche Standards, die deutliche Unterschiede in ihrer Perspektive aufweisen. Der nationale Deutsche Nachhaltigkeitskodex bietet eine Plattform zur Orientierung und Umsetzung von Nachhaltigkeitsberichten, aber auch in der Strategiedefinition. Die Global Reporting Initiative stellt weitreichende Handreichungen zur Verfügung und prüft die Qualität entsprechender Berichte. Durch das jüngst in Frankfurt angesiedelte International Sustainability Standards Board sollen künftig globale Basisstandards im Bereich der Nachhaltigkeitsberichterstattung gesetzt werden. Die Gemeinwohlökonomie (GWÖ) geht darüber hinaus und positioniert die Gemeinwohlorientierung von Organisationen als Ausgangspunkt von Offenlegungs- und Steuerungskonzepten. Und letztlich noch der Verweis auf r3.0, eine globale Initiative, die sich vorgenommen hat, Nachhaltigkeitsberichterstattung im Sinne der planetaren Belastungsgrenzen und sozialer Sollzustände grundlegend zu verändern. Der Trend hin zur Kontextualisierung ist in vollem Gange.

Los geht‘s

Auch wenn es unübersichtlich bleibt, können wir direkt loslegen. Unterstützungsmaterial – auch kostenlos und frei verfügbar – gibt es zuhauf. In der Umsetzung von Nachhaltigkeitsberichten sollten wir dennoch immer ein klares Zielbild ihrer Funktion definieren. Sie können so viel mehr als nur eine Aneinanderreihung von Zahlen und bunten Bildern sein. Dafür braucht es neben der Sinnfrage zum eigenen Geschäftsmodell auch eine integrale Erfolgsmessung in Bezug auf Mensch, Umwelt und Natur, sodass wir regenerative Öko- und Sozialsysteme erreichen. Unsere Art des Wirtschaftens ist immer auch ein Spiegelbild der menschlichen Seele. Bisher macht dieser Gedanke noch eher traurig, aber die größte Umwälzung der modernen Geschichte hat gerade erst begonnen.

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16.12.2021    Jan Köpper
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