Beidhändige Führung für die Organisation – das ist für Christian Schwedler das Grundprinzip, mit dem die Transformation auch kleinerer und mittelgroßer Unternehmen gelingen kann, das er in seinem Buch „Der Business-Spagat“ skizziert. Warum agiles Arbeiten die Karriere gefährden kann, welche Signale das Top-Management kommunizieren muss und wer für ihn die inspirierendste Führungspersönlichkeit in der globalen Wirtschaft ist.
Interview: Christian Schwedler
„Die Führungskräfte müssten raus aus ihrer Komfortzone“
Das eigene Geschäftsmodell optimieren – und zugleich die Weichen in die Zukunft stellen: Wie Unternehmerinnen und Unternehmer diesen Spagat schaffen, darüber hat Christian Schwedler ein Buch geschrieben. Im Interview erklärt der Business-Mentor, wie sich der deutsche Mittestand neu erfinden kann.
16.08.2024
Christian Schwedler
ist führender Keynote-Speaker und Business-Mentor im Bereich Transformation, Ambidextrie und beidhändige Führung. Zusätzlich ist er als Stratege für die BMW Group tätig
DUP UNTERNEHMER-Magazin: Sie bezeichnen das Konzept der organisationalen Beidhändigkeit als „eingängig und zwingend logisch“ – warum richtet sich nicht jedes Unternehmen an dieser Ambidextrie aus?
Christian Schwedler: Viele Unternehmen sind mittlerweile auf dem Weg dahin. Aber noch nicht alle, weil dazu ein Umdenken erforderlich ist. Die Führungskräfte müssten raus aus ihrer Komfortzone, in der sie Karriere gemacht haben, die für sie planbar ist. Daher sind die Beharrungskräfte groß, die nicht in diesen Modus umschalten wollen – also zugleich das bestehende Geschäftsmodell immer mehr optimieren, aber das Unternehmen zugleich auf Innovationen und Zukunft ausrichten. Dieses Festhalten am Alten bremst den Prozess oft aus.
Sie nennen agiles Arbeiten „karrieregefährdend“. Warum – und was kann man dagegen tun?
Schwedler: Wenn man hochinnovativ arbeitet, zum Beispiel mit agilen Methoden, werden zwangsläufig Irrtümer begangen. Logisch – sonst wäre es auch nicht innovativ, wenn wir alles schon kennen würden. Im klassischen Unternehmenskontext ist es aber so, dass Führungskräften solche Irrtümer in der Regel nicht verziehen werden. Die Karriere gerät in Gefahr. Es sei denn, das Top-Management steht fest dahinter und hat idealerweise bereits für eine gute Fehlerkultur im Unternehmen gesorgt, die Irrtümer bei Innovation nicht abstraft und als Chance sieht. Das strahlt dann auch auf die Mannschaft aus und auf andere Führungskräfte.
Also muss die Top-Ebene Innovationswillen selbst leben und nach unten weitergeben?
Schwedler: Das ist der Startpunkt. Das Top-Management muss die „License to explore“ ausstellen, signalisieren, dass Neuerungen und Innovationen in bestimmten Bereichen gewollt sind. Die Botschaft an die entsprechenden Mitarbeitenden muss lauten: „Ihr dürft Neuland betreten, Pionierarbeit machen. Ihr dürft dabei auch Irrtümer begehen, das wird nicht sanktioniert.“ Dieses Mandat muss die oberste Unternehmensebene ausstrahlen und eine Vorbildfunktion einnehmen. Momentan findet das aber noch zu selten statt. Beispiel Automotive: Zu viele Top-Manager leugnen immer noch disruptive Chancen und Risiken, beispielsweise durch eine Weiterentwicklung des Autonomen Fahrens, das nicht nur das Produkt, sondern unser gesamtes Konzept von Mobilität grundlegend verändern kann. Dabei müssten sie ihr Unternehmen genau darauf einstellen.
Apple ist jetzt ausgestiegen aus der Entwicklung eines eigenen E-Autos – richtig oder falsch?
Schwedler: Aus Sicht der Ambidextrie zolle ich höchsten Respekt! Apple hat Mut bewiesen, ein neues Geschäftsfeld sondiert, sich dort vorgetastet, um das Produktportfolio weiter zu diversifizieren. Dass man dann auch mal die Reißleine ziehen muss – aus welchen Gründen auch immer –, gehört dazu! Dass manche Explore-Innovationsprojekte scheitern, ist nur natürlich. Deswegen beinhaltet ein gesundes und nachhaltiges Innovations-Portfolio auch mehrere Eier im Korb.
Nicht Steve Jobs oder Elon Musk ist für Sie die inspirierendste Führungsfigur der Wirtschaft, sondern Microsoft-CEO Satya Nadella. Was macht er anders?
Schwedler: Elon Musk oder Jeff Bezos sind natürlich beeindruckende Galionsfiguren. Sie haben ihre Unternehmen aufgebaut mit einem weißen Blatt Papier, von der Pike auf als Digital Natives. Das Mindset ihrer Konzerne war daher von Anfang an agil und hochinnovativ. Eine noch größere Herausforderung ist es aber, ein etabliertes, traditionsreiches Unternehmen umzukrempeln. Microsoft war unter Steve Ballmer sehr behäbig geworden. Nadella hat die Führungsmannschaft ausgetauscht und alle auf den neuen Kurs eingeschworen. So hat er das Unternehmen zu einem hochinnovativen, modernen High-Tech-Player transformiert. Das kann man auch an der Marktkapitalisierung ablesen. Ich finde, das ist ein echter Mutmacher. Der Umbau kann auch bei etablierten, gewachsenen Unternehmen mit hunderttausenden Mitarbeitenden gelingen – mit den richtigen Methoden.
Funktioniert das auch im Mittelstand – oder fehlen dort schlicht die Ressourcen?
Schwedler: Das kann durchaus ein Nachteil für ein mittelständisches Unternehmen sein. Aber: Der Riesenvorteil ist, dass ich Veränderungen dort viel einfacher implementieren kann. Die Wege sind viel kürzer, und im Großkonzernen ist es weitaus schwieriger, Transformation wirken zu lassen. Und auch für kleinere Unternehmen gilt, dass nicht alles auf einmal umgebaut werden muss. Da bilde ich dann eben ein kleines Explorer-Team, statt gleich eine ganze Firma zu transformieren. Hauptsache, ein Anfang ist gemacht.
Wo finde ich als Mittelständler die Fachkräfte für meine Transformation – und binde sie?
Schwedler: Es braucht verschiedene strategische Stoßrichtungen dafür: Markenbildung, Employer Branding, flexible Arbeitszeiten und andere New-Work-Angebote. Was immer wichtiger wird, ist Purpose: Ist meine Arbeit ein Beitrag zu den vielen Herausforderungen unserer Gesellschaft? Das ist eine wesentliche Frage, gerade bei der jüngeren Generation. Die muss ich passend kommunizieren – nach innen wie außen. Dabei sollte ich ehrlich sein, insbesondere was die Freiräume für Mitarbeitende angeht. Die Neuen merken nämlich schnell, ob wirklich agil gearbeitet wird oder nur ein großes Industrieschauspiel aufgeführt wird. Dann sind sie auch schnell wieder weg. Das gilt übrigens auch für Corporates.
Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass die Transformation hin zu mehr explore und weniger exploit gelingt und wir den Absturz der Deutschen Wirtschaft verhindern können?
Schwedler: Ich bin Zweckoptimist: Es muss einfach gelingen! Und es gibt ja auch Hoffnung. Vielleicht ist beim Thema Künstliche Intelligenz (KI) der Zug bei den großen Modellen Richtung Amerika und China abgefahren, aber wer sagt denn, dass nicht die besten darauf laufenden Anwendungen aus Deutschland kommen können? Oder die sicherste KI? Das können wir ja, dieses Akribische, Perfektionische, diese Absicherung. Wir sind gut in Forschung, bei Industrie 4.0 sind wir führend. Aber um Chancen zu nutzen, müssen wir raus aus dem ewigen Selbstmitleid und Jammern. Wir brauchen wieder Aufbrauchstimmung, mehr unternehmerischen Mut! Wir müssen raus aus der Effizienzfalle. Wir optimieren bestehende Geschäftsmodelle und sind extrem im Absicherungsmodus, ein Sparprogramm folgt dem anderen. Aber wo ist der Pioniergeist, der Gestaltungswille? Wo sind die, die sagen: Jetzt reißen wir das Ruder rum? Wenn die lauter werden, klappt es auch mit der Transformation.
Redakteur
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