Die Pläne der FDP im DUP Wahl-Check
Christian Lindner: „Wir brauchen ein zweites Bildungssystem“
Das Klima muss gerettet, die Digitalisierung muss vorangetrieben, ein Rentenschock muss abgewendet werden. „Nie gab es mehr zu tun“ – das steht in großen Lettern auf dem Wahlprogramm der FDP. Was er konkret ändern will, wenn er Teil der neuen Bundesregierung wird, erklärt der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner im Interview. Klar sei, Deutschland müsse moderner, digitaler und freier werden – und brauche das „weltbeste Bildungssystem“.
19.08.2021
Wie wollen Sie sicherstellen, dass Deutschland die gesetzten Klimaziele erreicht?
Christian Lindner: Klimaschutz ist eine Menschheitsaufgabe. Aber Klimaschutz kann auch nicht losgelöst diskutiert werden von der Frage der Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe. Er muss Teil einer Wachstums- und Fortschrittsagenda werden. Damit Klimaschutz gelingen kann, müssen wir unser wirtschaftliches Fundament stärken. Denn es werden enorme private Investitionen in saubere Technologien nötig sein. Der Staat kann hier nicht alles leisten. Von mehr Bürokratismus und höheren Belastungen bei den Steuern raten wir daher ab. Der Schlüssel für die Dekarbonisierung liegt in der Umstellung auf erneuerbare Energien. Die Planungs- und Genehmigungsverfahren für diese Infrastruktur müssen wir beschleunigen. Deutschland war außerdem immer schon ein Land, das Energieträger importiert hat. Es sollte deshalb kein Tabu sein, synthetische Kraftstoffe und Wasserstoff zum Beispiel aus sonnenreichen Staaten in Europa oder Afrika zu beziehen. Wir müssen uns gleichzeitig öffnen für die Speicherung von CO2 mit Carbon Dioxide Capture and Storage sowie durch Aufforstung. Und wir sollten die Innovationskraft und den Gründergeist unseres Landes mobilisieren, indem wir die kleinteiligen Verbotsdebatten und den Subventionsdschungel in allen Sektoren durch einen CO2-Deckel mit handelbaren Zertifikaten ersetzen.
Wie wollen Sie die Verkehrswende vorantreiben? Und welche Rolle spielt dabei für Sie der gewerbliche Verkehr?
Lindner: Das Wort Verkehrswende nutze ich nicht gerne, denn es geht nicht um eine Wende zurück, sondern um Transformation. Die Wahlfreiheit zwischen den Verkehrsträgern stellen wir nicht infrage. Individuelle Mobilität mit dem Auto muss ausdrücklich eine Zukunft haben. Es wäre zu kurzsichtig, allein auf eine einzelne Technologie wie das batterieelektrische Auto zu setzen. Verbrennungsmotoren können in der bestehende Fahrzeugflotte durch synthetische Kraftstoffe auch jetzt schon klimaneutral betrieben werden. Insgesamt sind bei der Mobilität kluge Ideen gefragt: Flugzeuge könnten in Zukunft mit Wasserstoffantrieb abheben; unsere Pakete werden bald vielleicht von der Drohne zugestellt.
Was planen Sie, um die Digitalisierung sowie den Ausbau der digitalen Infrastruktur voranzutreiben?
Lindner: Dafür braucht es zum einen eigenes Bundesministerium für digitale Transformation, das Kompetenzen bündelt, Synergieeffekte nutzt und als zentrale Koordinierungsstelle dient. Für die öffentlichen Verwaltungen in Bund und Ländern müssen Standards und Schnittstellen definiert werden. Bei jedem neuen Gesetz sollte es einen Digital-Check geben, ob die spätere Administration digitalisierbar ist. Zum anderen müssen wir der digitalen Infrastruktur in unserem Land endlich ein Update verpassen. Bis zum Jahr 2025 muss etwa der bundesweite Aufbau von 5G-Netzen abgeschlossen sein. Und auch im Ausbau des Glasfasernetzes müssen wir endlich Tempo machen. Dafür wollen wir den Ausbau mit Gigabit-Gutscheinen nachfrageorientiert neu fördern. Zukünftige Frequenzauktionen sollten gleich als Vertragsbedingung den flächendeckenden Ausbau umfassen.
Wie wollen Sie Innovationen fördern, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zukunftsfähig zu halten? Und welchen Stellenwert haben Start-ups sowie der Mittelstand in Ihren Plänen?
Lindner: Erfindergeist hat in Deutschland Tradition. Erfolgsgeschichten wie BioNTech und die zahlreichen Hidden Champions in unserem Land zeigen: Gerade Start-ups und der Mittelstand sind hier oftmals der Motor für Innovation. Dafür müssen wir ihnen den Rücken stärken und die steuerliche Forschungsförderung ausbauen. Statt politischer Technologie-Entscheidungen setzen wir hier auf marktwirtschaftlichen Wettbewerb. Bei Anwendungen wie der Gentechnik muss Forschungsfreiheit gelten. Ausreichend Wagnis- und Risikokapital für Start-ups wollen wir durch einen Zukunftsfonds nach dänischem Vorbild sicherstellen. Vor allem darf aber durch das Steuerrecht den Betrieben nicht die Möglichkeit für Investitionen genommen werden. Trotz der engen Spielräume in unserem Haushalt wollen wir daher Entlastungen erarbeiten. Steuererhöhungen schließen wir aus.
Damit Unternehmen zukunftsfähig bleiben, brauchen Sie entsprechend qualifizierte Mitarbeiter. Wie wollen Sie Anreize schaffen, um Weiterbildungen attraktiver zu machen?
Lindner: Die Arbeits- und Lebenswelt vieler Menschen wird durch die Digitalisierung grundlegend verändert. Die Halbwertszeit von Wissen sinkt deutlich. Daran müssen wir auch unser System der Weiterbildung anpassen. Es braucht ein zweites Bildungssystem für das ganze Leben. Dafür wollen wir ein „Midlife-BAföG“ von bis zu 1.000 Euro im Jahr einführen. Mit einem persönlichen Freiraumkonto ermöglichen wir unabhängig vom Arbeitgeber das steuer- und abgabenfreie Ansparen für Qualifizierungsangebote und -auszeiten. Zudem schlagen wir eine digitale Plattform für Weiterbildungsangebote vor. Als erste Anlaufstelle umfasst sie den gesamten Weiterbildungsmarkt, spricht individuelle Kursempfehlungen aus und verknüpft die Buchung von Bildungsangeboten direkt mit öffentlichen Fördermöglichkeiten.
Klimaschutz, Digitalisierung, Transformation des Mobilitätssektors, Bildung: Bei welchem der genannten Themen sehen Sie den größten Bedarf für Veränderungen? Wo liegt Ihre Priorität?
Lindner: Deutschland muss moderner, digitaler und freier werden. Dafür braucht es ein weltbestes Bildungssystem, eine entfesselte Wirtschaft und eine Politik, die die Chancen der digitalen Transformation offensiv nutzt. Klar ist aber auch: Vom drohenden Rentenschock bis zur konzeptlosen Einwanderungspolitik gibt es etliche dringende Herausforderungen, die wir in den kommenden Jahren bewältigen müssen. Der Handlungsbedarf ist enorm.
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