Beim spektakulären Ultra-Trail du Mont-Blanc, kurz UTMB, sind es stattliche 171 Streckenkilometer über Stock und Stein, bei denen darüber hinaus etwa 10.000 Höhenmeter rund um Westeuropas höchsten Berg, den Montblanc, überwunden werden müssen. Die Besten und Härtesten, Frauen wie Männer, schaffen es in weniger als einem Tag ins Ziel. Der US-Amerikaner Jim Walmsley benötigte 2023 dafür atemberaubende 19 Stunden, 37 Minuten und 43 Sekunden. Seine Landsfrau Courtney Dauwalter küsste als Siegerin die Ziellinie nach 23:29:14.
Die Deutsche Eva Sperger kam beim berühmtesten und prestigeträchtigsten Ultra-Trail der Welt am Fuße des grandiosen 4.809 Meter hohen Alpenmassivs ein Jahr zuvor nach rund 28 Stunden als Zehnte ins Ziel. Ein großartiger Erfolg. Doch diese äußerst naturverbundene Sportart ist hierzulande noch wenig bekannt. „Weil bei uns meist Sicherheitsdenken stärker als die Entwicklung von Selbstvertrauen ist“, sprudelt es aus der Diplom-Psychologin bei der Frage nach dem Warum heraus. Beim Ultra-Trail, mitten durch die Pampa oder zwischen scharfkantigem Bergfels, kann nun mal so schnell kein Rettungsteam, geschweige denn ein Notarztwagen zu Hilfe kommen. Dort sind die Extremsportlerinnen und -sportler auf sich allein gestellt.
Bis zu 20 Trainingsstunden pro Woche
Für ihre große Leidenschaft und natürlich um mithalten zu können, trainiert die approbierte und verheiratete Psychotherapeutin 15 bis 20 Stunden in der Woche. Ganz nebenbei führt Eva Sperger auch noch zwei gut gehende Praxen in Garmisch und München-Lehel. Damit nicht genug, als Mentalcoach ist die 43-Jährige ebenfalls unterwegs. Doch wie bekommt die gebürtige Regensburgerin das alles unter einen Hut? „Durch einen sehr straffen Zeitplan und sehr berechenbare Arbeitszeiten. Ich plane das Training immer im Voraus und priorisiere es vor allen anderen Aktivitäten“, erklärt Sperger. „Zum Glück ist mein Mann sehr verständnisvoll und trägt meine Lebensplanung voll mit.“
Ihr Lebensmotto lautet: „It’s now or never“. Sperger: „Nichts aufschieben, einfach machen. Das ist wie Kinderkriegen, es gibt nie den perfekten Moment.“ Dabei gehen ihre beiden großen Lebensinhalte – Beruf und Ausdauersport – eine symbiotische Beziehung ein. Ob nun die Sportlerin von ihrem Beruf mehr profitiere oder umgekehrt, halte sich ziemlich die Waage. „Ich habe unendlich viel über die Psyche und das Zusammenspiel von Körper und Geist, über das Laufen und die Wettkämpfe gelernt. Umgekehrt bringe ich das ganze Wissen aus der Psychologie in den Sport mit ein und teste, was dort Bestand hat.“
Mehr als Willensstärke und Kondition
Wer beim renommiertesten Ultra-Trail-Rennen der Welt zur Elite gehören will, muss mehr mitbringen als Willensstärke und Kondition. Angst ist dabei ein ganz schlechter Begleiter. Mit im Laufgepäck sollten dagegen eine gehörige Portion Resilienz und Achtsamkeit sein. Denn wenn die Nacht näher rückt, beginnt der Ernst des Lauflebens für die Ultra-Runner erst so richtig. Stirnlampe an, Thermojacke übergezogen, und dann geht es rund zehn Stunden durch die eiskalte, tief-schwarze Nacht – über enge Schotterpisten, wurzelige Trampelpfade und krasse Wanderwege. Wenn der Morgen graut, ist kaum mehr als die Hälfte geschafft. „In Extremsituationen bin ich gezwungen, auf meine Fähigkeiten zurückzugreifen, diese zu nutzen und weiterzuentwickeln“, erklärt Sperger.
Zugleich räumt die aktuelle WM-Silbermedaillengewinnerin im Team-Trail-Running mit einem echten Laufmärchen auf: „Das mit den Endorphinen, dem Runner’s High, ist einfach Quatsch. Ich kenne niemanden, der für einen Glücksrausch läuft.“ Das Gegenteil sei der Fall. Für die Mentaltrainerin sind Wettkampf und Training gleichermaßen die stete Überwindung des eigenen Schweinehunds.
Kognitive Defusionstechnik
Während des Wettkampfs, wenn Müdigkeit auf Erschöpfung trifft, kommen die negativen Gedanken. Dann bedient sich die Regensburgerin eines simplen Tricks: „Ich stelle mir die schlimmsten Situationen vor. Wenn es dann so weit ist, empfinde ich es aber gar nicht mehr als so extrem. Ich suche ganz bewusst danach, richtig zu leiden. Doch anstatt mich davon runterziehen zu lassen, nutze ich es als Motor.“ Kognitive Defusionstechnik nennt die Diplom-Psychologin diese Technik, die sie beim Trail-Running durch tiefste mentale Täler bringt.
Beeindruckende Natur hin, bezaubernde Landschaften her, nach mehr als einem halben Tag Dauerlaufen werden sämtliche Körner der ohnehin sehr hohen Frustrationstoleranz benötigt, um dem ärgsten Feind einer oder eines jeden Ultra-Trail-Runners richtig begegnen zu können – der Monotonie. Sperger: „Langeweile ist einfach das Härteste überhaupt.“ Irgendwann holen einen die Fans an der Strecke aber zum Glück zurück und bringen die Laufenden dem Ziel näher. Das helfe und motiviere zusätzlich. Die letzten Kilometer seien dann wie in Trance. Im Ziel angekommen, lasse die Erschöpfung nicht mehr viele Gedanken zu. Nur Banales wie Essen, Trinken, Schlafen. „Erst danach dringt diese unglaubliche Zufriedenheit durch, es geschafft zu haben. Sie entschädigt für jede Strapaze, einfach für alles.“ Für den diesjährigen UTMB (26.08.–01.09.24) ist Sperger wieder qualifiziert. Ihr Traum: ein Platz unter den Top Five.