Die internationale Zentrale für Zeitreisen liegt im Zwergstaat San Marino. Der unscheinbare weiße Bau mit der schweren Eisentür misst etwa 15 mal 13 Meter. Fünfzehn sauber gruppierte Maschinen stehen darin, alle um die 50 Jahre alt, dazu schwere Ledersofas, Regale mit Helmen und Motorsport-Devotionalien, zwei Werkbänke, eine kleine Hebebühne. Der große Kühlschrank ist randvoll mit Bier. Ein Bikerträumchen. Hinterm Tresen schlummert eine halb zerlegte Ducati-Rennmaschine. An den Wänden hängen Blechtanks und alte Werbeplakate. Viele zeigen spärlich bekleidete Girls auf chromblitzenden Maschinen. Mopeds & Mädels. Andere Zeiten. Aber genau darum geht es hier. Born to be wild. Flower-Power-Groove trifft auf Happiness und Easy-Rider-Feeling.
Wir sind im Clubhouse. So tauften die Italo-Ragazzi Pietro Casadio Pirazzoli (54) und Fabio Affuso (42) den Anbau, den sie neben Pietros alter Schreinerwerkstatt gekapert und zum Headquarter des Ride 70s Touring Club erkoren haben. Es riecht nach Benzin und alten Lederjacken, Synonyme für die Freiheit auf zwei Rädern. Hier im Südwesten von Rimini, circa eineinhalb Stunden vom Flughafen Bologna entfernt, starten und enden fast alle Touren, die Pietro, Fabio und ihr kleines Team ausbaldowert haben.
LA DOLCE VITA DA MOTO
Toskana, Motor Valley (Mugello/Imola/Misano), Dolomiten, Sardinien, Sizilien. Wo Italien einen umhaut mit seiner Schönheit, seinen Kurven, seiner Pasta, seiner Lebensart, da führen die Zeitreisen auf den bestens gewarteten Motorrädern aus den Siebzigerjahren hin. Meist auf klitzekleinen Straßen mit wenig Verkehr und viel Ambiente. „La dolce vita da moto“ – das süße Leben des Motorradfahrens – in kleinen Gruppen. In der Regel sind fünf bis acht Teilnehmer pro Tour dabei. Je nach Destination dauern die Motorrad-Zeitreisen vier bis neun Tage. Geschlafen wird in charmanten Hotels, coolen Airbnb-Unterkünften oder auf Weingütern. Startpreis: ab 1.720 Euro auf der eigenen (passenden) Maschine, ab 2.200 Euro mit einem Ride-70s-Bike.
Einzigartige Auswahl an klassischen Motorrädern
Der Fuhrpark ist exquisit: Moto Morini 3 1⁄2 Sport, Laverda 750 SF, Benelli Tornado 650, Ducati Scrambler 350 & 450, Moto Guzzi 750 S und 850 Le Mans – Namen, die Motorradenthusiasten mit der Zunge schnalzen lassen. Dazu noch gesuchte Stil- Ikonen wie eine rote Norton Commando Fastback, Kawasaki Z1 900 oder Honda CB 750 Four. Freie Motorradwahl ist garantiert. „Unterwegs kann gern untereinander getauscht werden“, sagt Pietro. So zeigt sich der ganze Spirit der Siebziger.
Alles im Griff vorm Start der Motorradtour
Vorm Start gibt es eine Einweisung. Die ist auch bitter nötig, um böse Überraschungen zu vermeiden. Die beiden Ducati Scrambler beispielsweise, Baujahr 1971 und 1972, haben den Schalthebel rechts. Der erste Gang geht nach oben, die übrigen vier nach unten und die Fußbremse sitzt links. So war das damals oft. Nicht so schwer zu merken, denkt man, aber wehe, du rollst so vor dich hin, gedankenverloren cruisend im Hier und Jetzt, und plötzlich taucht eine überraschend enge Kurve auf ... Zack, schaltest du instinktiv hoch statt runter und latschst stumpf auf die Hinterradbremse, wenn du zuvor nur „moderne“ Bikes gefahren bist – mit Schalthebel links und Fußbremse rechts. Zum Anhalten müssen bei den meisten Oldies Trommelbremsen reichen. „Scheibenbremsen hatten damals nur die wenigsten Motorräder“, weiß Pietro. Also „piano, amici“.
Teilnehmende aus aller Welt
„Ich brauchte dringend Urlaub, ich liebe Abenteuer, und ich liebe alte Motorräder“, sagt TV-Producerin Cassie Bennitt aus London. Mit uns auf Tour sind unter anderem Nikos aus Athen, Mike aus Zürich, Zubin aus den Emiraten und Svein, ein ehemaliger Radrennprofi und Olympia-Teilnehmer aus Norwegen. „Auf einem Motorrad zu sitzen bietet eine unglaubliche Freiheit. Du siehst Ecken eines Landes, die du mit dem Auto wahrscheinlich verpassen würdest – und auf einem Klassiker ist es noch schöner. Man fährt langsamer, kriegt mehr mit, nimmt mehr auf. Du beginnst, dich selbst ganz neu zu erleben“, schwärmt Svein, auf den zu Hause ein umgebauter Norton-Oldie wartet.
Wo auch immer wir aufschlagen, teils mit infernalischem Sound, denn alte Motorräder scheren sich nicht um Geräuschemissionen, stehen die Menschen Spalier und feiern uns. Manche applaudieren. So viel Motorradkultur auf einem Haufen – das erlebt man selten.