„Hier beginnt der Spaß“, sagt Anton Marklund, als er die Fahrdynamikregelung (ESC) des VW Arteon ausschaltet. Der schwedische Rallye-Cross-Fahrer drückt den Knopf im mattschwarzen Cockpit mit einem breiten Lächeln – logisch. Das Fahren auf einem riesigen gefrorenen See ist für den 26-Jährigen sicher nicht so spektakulär wie für den Rest der Teilnehmer der Volkswagen Ice Driving Experience.
Ungewöhnlich erscheint zunächst auch die Wahl des schwedischen Örtchens. Dabei gilt Arvidsjaur für viele Autohersteller als Test-Mekka. Auf dem Arvidsjaursjön – so heißt das Gewässer, auf dem Volkswagen die Drift-Trainings anbietet – finden sich sechs Bahnen mit einem Durchmesser von rund 100 Metern und 40 Streckenvarianten. Enge Kurven, Kreisel zum Donutsfahren und breite Abbiegespuren, um weit auszuholen, warten auf mutige Fahrer. „Dann mal los“, fordert Coach Marklund, der das dreitägige Training begleitet, die Gruppe auf, in der sich viel Vorfreude mit etwas Skepsis mischt. Der in Kurkuma-Metallic gehaltene Arteon fährt voraus, ihm folgen die silbernen und schwarzen Modelle. Dann beginnt die Rutschpartie.
Spiel mit Gas und Bremse
Am ersten Trainingstag gilt es, verschiedene Übungen auf dem Eis zu absolvieren. Zunächst mit 40, dann mit 60 km/h und anschließender Vollbremsung ist die Erkenntnis zwar wenig überraschend, aber dennoch beeindruckend: Der Bremsweg verlängert sich ungemein, auch wenn der Arteon sehr sicher auf dem gefrorenen Gewässer liegt. In zwei der Kreisel machen sich die Fahrer, darunter DUB UNTERNEHMER-Redakteurin Vanessa Rusert, mit dem Driften vertraut. Coach Marklund gibt Tipps per Funk.
Als die Sonne hinter den Spitzen der Tannen verschwindet und ein prächtiges Farbenmeer am Himmel hinterlässt, geht es erstmals auf einen der Tracks. Nach einer langsamen Einführungsrunde startet jeder Wagen einzeln aus dem Pit-Stop auf die Strecke. Alles, was Marklund kurz zuvor gelehrt hat, wartet nun auf Umsetzung. Das Spiel mit Gas und Bremse ist eröffnet.
Vom Weg abkommen
Wichtig ist es jedoch, nicht nur die Balance zwischen Speed und Stopp zu finden. Eine grundlegende Rolle spielen auch hohe Konzentration und Blickführung. „Schau genau dorthin, wohin du fahren willst“, predigt der Rallye-Cross-Fahrer immer wieder. Und es stimmt: Mit den Augen auf der Piste und nicht an den eisigen Banden oder auf der schönen Kulisse hält der Fahrer den Wagen gleich ganz anders in der Spur und entgeht den Tücken des Tracks so deutlich besser.
Die einen fahren die Strecke etwas langsamer ab und gewöhnen sich an die Power, die in dem eleganten VW-Modell mit Allradantrieb steckt – anders als handelsüblich basiert dieses extra für die Driving Experience auf dem System des Golf R. Die anderen pesen mit ordentlicher Geschwindigkeit über den See. Das Lenkrad umfassen sie mit beiden Händen, sitzen zur optimalen Kraftübertragung nah am Steuer und pendeln den Wagen auf den wenigen geraden Streckenabschnitten hin und her, um sich erfolgreich in die nächste Kurve zu legen.
Schau genau dorthin, wohin du fahren willst.
Formschöne Drifts werden belohnt: Der hoch aufgewirbelte Schnee umrahmt die Karosserie und bietet im Einklang mit dem intensiven Sonnenuntergang eine wunderbare Kulisse. Und sollte der Drift einmal nicht gelingen und der Arteon über die Bande abseits der Piste landen, leistet ein kräftiger VW Touareg schnell Hilfe. Alle Wagen sind mit einer Abschleppöse an der linken Front ausgestattet und werden mit einem Seil kurzerhand und relativ ruckartig aus der Misere gezogen.
Hilfreiche Mittelchen
Am zweiten und dritten Tag stehen jeweils andere Strecken auf dem Arvidsjaursjön zur Wahl. Sie sind länger, haben noch engere Kurven. Durch die äußerst guten Wetterverhältnisse ist die Sicht klar, das Eis schimmert hellblau unter der hauchdünnen Schneeschicht auf der Fahrbahn. Bei eisigen minus elf Grad ist die Sitzheizung des Mittelklasse-Kombis vorn wie auf der Rückbank äußerst willkommen.
Features wie das Fußgängerschutzsystem, das bei einer Kollision mit Personen die Motorhaube automatisch anhebt, sind dagegen ausgeschaltet. Ebenso der sonst so praktische serienmäßige Spurhalteassistent. Diese Systeme würden das Driften behindern. Hilfreich ist die adaptive Fahrwerksregelung DCC: So lässt sich das Fahrzeug individuell und noch eine Spur sportlicher einstellen.
So richtig rasant wird es bei einer Rundfahrt im Wagen von Coach Marklund. Ein weiterer Profifahrer im Team ist Matthias Kahle, siebenfacher deutscher Rallye-Meister. Wer, zumindest für einen Moment, genug vom Steuern hat, setzt sich als Beifahrer in eines der Autos der Rallye-Experten. Innerhalb weniger Sekunden hat die Tachonadel die 100-km/h-Marke überschritten. Mit nicht maßgeblich weniger Schwung geht es um die Kurven.
Ein Spaß, den Volkswagen Anfang 2020 wieder anbieten wird. Die Teilnahmegebühr für vier Tage inklusive Hotelübernachtung und Vollverpflegung liegt bei 3.750 Euro pro Person. Als schleuderfeste Gefährten stehen dann der Golf R und der T-Roc bereit. Ebenso spannend: Durch die umliegenden Testgelände der Hersteller ist es keine Seltenheit, einen Erlkönig zu sichten. Auch in der Einwohnerzahl macht sich die besondere Bedeutung der Auto-Industrie für Arvidsjaur bemerkbar. Im Sommer wohnen dort rund 4.600 Menschen. Ab November, wenn die Saison startet, sind es etwa 6.000.
Die Exklusivität des Nordens
Weiteres Highlight des Besuchs ganz in der Nähe des Polarkreises ist die schwedische Küche. Köttbullar und Hotdogs müssten besonders bei Liebhabern der deftigen Speisen Anklang finden. Kartoffelpüree ist allerorts zu haben – selbst an den Tankstellen. Außergewöhnlich für den deutschen Geschmack: Statt Schwein oder Rind landen im hohen Norden gern und häufig Elch und Rentier auf dem Teller.