Das Konzept der Kundenbindung ist nicht neu: Schon vor mehr als 230 Jahren verteilte ein Einzelhändler in New Hampshire für jeden Einkauf metallene Chips an seine Kundinnen und Kunden, die sich später gegen Ware eintauschen ließen. Als Robert Crandall, ehemaliger Chef von American Airlines, 1981 herausfand, dass fünf Prozent seiner Kunden 40 Prozent des Umsatzes generierten, ließ er sich nicht lang bitten und gründete das weltweit erste Vielfliegerprogramm namens „AAdvantage“. Weniger als eine Woche später betrat die Konkurrenz United Airlines mit „Mileage-Plus“ die Startbahn.
Heute hat fast jede Airline ihr eigenes Programm, mit dem sie ihre Stammkunden belohnt. An dieser Stelle alle aufzulisten würde den Rahmen sprengen. Welches der Vielfliegerprogramme sich am meisten lohnt, hängt letztlich davon ab, wohin man die meisten Reisen unternimmt. Für den deutschen beziehungsweise mitteleuropäischen Raum sind in der Regel KLMs „Flying Blue“, Turkish Airlines’„Miles&Smiles“, der „Executive Club“ von British Airways, SAS’ „Eurobonus“ und natürlich Lufthansas „Miles & More“ am relevantesten. Weil man sich aber nur schwer auf die immergleiche Airline beschränken kann, haben sich weltweit vier verschiedene Luftfahrtallianzen gebildet, innerhalb derer sich kompatible Angebote nutzen lassen: „Star Alliance“, „Oneworld“, „SkyTeam“ und „Etihad Partners“. Ist man also zum Beispiel Mitglied des „Miles & More“-Programms, kann man auch Meilen sammeln, wenn man mit Eurowings, Air Canada oder einer der anderen 32 Partner-Airlines fliegt.
Goldfieber
Obwohl die Programme beliebter sind als je zuvor, sind die Zeiten, in denen Meilen 1:1 in der Luft gesammelt und gutgeschrieben wurden, längst vorbei. Heute ist das Sammelverhältnis durch Budget-Tickets längst ein anderes: Ein Flug von Frankfurt nach New York in der Economy-Class gibt im Schnitt gerade einmal knapp 960 Meilen Gutschrift, obwohl man auf diesem Flug eine Strecke von 3.850 Meilen zurücklegt. Es kann also eine Weile dauern, bis man tatsächlich einen Flug mit den gesammelten Meilen finanzieren kann.
Was jedoch über die Jahrzehnte immer seinen Reiz behalten hat, ist der Goldstatus sakrales Ziel aller Vielfliegenden: 100.000 Statusmeilen braucht es pro Kalenderjahr im Programm von „Miles & More“, um zusätzliches Freigepäck auf allen Flügen und – noch wichtiger – Zugang zu den Star-Alliance-Lounges zu bekommen. Denn während sich der Plebs an den Gates drängt und verzweifelt nach einer sauberen Sitzgelegenheit mit Steckdose sucht, entspannt man mit Goldstatus umgeben von wohltuender Ruhe in großzügigen Ledersesseln, erfrischt sich unter der Dusche, schlemmt am viel gelobten Buffet und kann sich dem süßen Gefühl hingeben, offiziell dazuzugehören.
In der Luft und am Boden
Gut, dass man Meilen also inzwischen nicht mehr nur beim Fliegen selbst, sondern auch am Boden sammeln kann. Im Fall von „Miles & More“ der Lufthansa, das für Menschen mit Wohnsitz in Deutschland in der Regel das Interessanteste sein dürfe, sammelt man Meilen beispielsweise auch beim Abschluss von Zeitungsabos, bei Hotel- und Mietwagenbuchungen oder beim Shopping bei über 500 Programmpartnern. Sogar Payback-Punkte lassen sich 1:1 auch auf das Meilenkonto übertragen. Den größten Booster aber bekommt das Konto bei Beantragung und Nutzung der „Miles & More“- Kreditkarten: Bis zu 40-mal so viele Meilen werden während der Aktionstage im Vergleich zur regulären Kreditkartenbeantragung gutgeschrieben – je nach Kartentyp bis zu 40.000! Anschließend punktet man bei jeder Zahlung mit einer Meile pro zwei Euro Umsatz.
Eine Wissenschaft für sich
Während sich diese Auflistung an Möglichkeiten des Meilensammelns um einige Punkte ergänzen ließe, könnte man über das Ausgeben von Meilen problemlos ein ganzes Kompendium schreiben. Anders als früher, als man Meilen nur für Flüge bei derselben Airline ausgeben konnte, sind Meilen heute eine flexible Währung, deren Wert sich im Moment der Einlösung bestimmt. Generell gilt: Obwohl Meilen inzwischen auch am Boden eingelöst werden können, ist ihr Wert in Form von Flugtickets nach wie vor am höchsten. Will man also das meiste aus den gesammelten Meilen herausholen, lässt man besser die Finger von meilenfinanzierten Hotel- oder Mietwagenbuchungen, Einkaufsgutscheinen und ganz besonders vom Lufthansa Worldshop.
Ein Beispiel: Eine Nacht im Mittelklassehotel für 100 Euro würde man in der Regel mit etwa 35.000 Meilen bezahlen, was einem Wert von ca. 0,3 Cent pro Meile entspricht. Für die gleiche Anzahl an Meilen könnte man aber auch ein Ticket von Frankfurt nach Nairobi in der Business-Class im Wert von 1.700 Euro kaufen, was einem Wert von mehr als 4,9 Cent pro Meile entspricht! Komplizierter wird es, wenn man die verschiedenen Ticketkategorien untereinander vergleicht: So kann beispielsweise auch der Wert pro Meile bei gleichem Flug zwischen Economy-, Business- und First Class so stark variieren, dass es sinnvoller sein kann, das Economy-Class-Ticket einfach ohne Meilen zu kaufen, statt ein Business- Class-Ticket zu nehmen.
Mythos Gratisflug
Ein gewisses Faible für Mathematik ist beim Meilensammeln und -ausgeben nicht von Schaden – vor allem weil alle Airlines verschieden hohe prozentuale Anteile der Steuern und Gebühren an ihre Vielfliegenden weitergeben. Auch wenn das Ticket vollständig durch Meilen finanziert wird, handelt es sich (fast) nie um einen Gratisflug. Inwieweit das Meilensammeln heute noch seinem ursprünglichen Charme gerecht wird, darf angezweifelt werden. Doch um die Objektivität zu wahren, sollte man das Urteil vielleicht erst nach einem Signature-Cocktail in einem der weichen Ledersessel einer Star-Alliance-Lounge fällen.