Uhr am Handgelenk
07.07.2020    Jan Lehmhaus
  • Drucken

Kostet ja so viel wie ein Neuwagen“, staunt ein Passant vor dem Juwelierschaufenster über den Preis einer noblen Schweizer Uhr: mehrere Zehntausend Euro. Womöglich ahnt er nicht, welche Listenpreise in der obersten Uhren-Liga sonst noch aufgerufen werden. Modelle für eine halbe Million Euro oder gar mehr als eine Million erregen in der Fachwelt wegen ihrer Ausstattung oder wegen ihres Designs Aufsehen, wegen ihres Preises schon lange nicht mehr. In den vergangenen Jahren galt für Luxusuhren: je teurer, desto schneller verkauft. Wer sie kauft? Auf jeden Fall Menschen, die den Preis eines Luxusguts nicht in Mittelklasse-Pkw umrechnen. 

Die besten mechanischen Zeitmesser waren stets einer wirtschaftlichen Elite vorbehalten, etwa die astronomischen Tischuhren im Rokoko. In dieser Tradition stehen auch die Grandes Complications der traditionsreichen Schweizer Manufakturen wie etwa Patek Philippe, Vacheron Constantin oder Jaeger-LeCoultre, die zahlreiche Funktionen auf kleinstem Raum versammeln: ein Schlagwerk, einen Chronographen selbstverständlich und vor allem komplexe astronomische Anzeigen, welche die große Himmelsmechanik tragbar machen. Ein solcher Mikrokosmos besteht aus mehreren Hundert, zuweilen über Tausend Einzelteilen, in vielen Stunden von hoch bezahlten Spezialisten montiert. Und das macht die Uhren rar und umso erstrebenswerter.

Kunstinteressierte Kunden

Christian Lattmann, Vorstandschef der auf feinste Automaten spezialisierten Manufaktur Jaquet Droz, sieht eine wachsende Attraktivität von limitierten Auflagen und Einzelstücken für seine anspruchsvolle Klientel. „Unsere Kunden haben starken Bezug zu Kunst und Architektur, einen sehr eigenständigen Geschmack – und die Mittel, sich etwas Besonderes zu gönnen.“ Und weil sie ganz bestimmt keine Marken- und Trendmitläufer seien, passe es schon ganz gut,
dass nur wenige das Haus kennen. Wichtig ist der persönliche Service: „Manche Kaufentscheidung fällt dann bei einem Besuch unserer Kunsthandwerkerateliers in La Chaux-de-Fonds“, so Lattmann.

Prägnante Optik

Neben die klassischen Kleinode sind in den vergangenen Jahren in derselben Preisklasse entschieden moderne, optisch ungewöhnliche Uhren getreten. Ihre Hersteller gehören meist zu den neueren Unternehmen der Branche und wenden sich an ein jüngeres, aber genauso zahlungskräftiges Publikum. 

Mit einer Richard Mille, einem raren Stück von Roger Dubuis oder einer surreal geformten Uhr aus der Zusammenarbeit von Hublot und Ferrari demonstriert der Besitzer horologischen Sachverstand. Denn die Stücke sind genauso Technologieträger wie die traditionellen Grandes Complications. Nur setzen sie auf Innovation, mit dem Einsatz neuer Materialien und Werkskonstruktionen, die es bislang nicht gab. Sie initiieren damit ästhetisch wie technisch Trends für den Massenmarkt. 

Viele der spektakulären Neuerungen entstehen in der Kooperation mit Partnern aus der Hightechwelt, Formel-1-Konstrukteuren zum Beispiel, oder mit angesagten Künstlern. Das macht die Uhren noch mehr zum Ausdruck eines modernen wie exklusiven Lebensstils. Wer ein Exemplar aus winzigen Serien bekommt, hat nicht nur Geld, sondern beste Kontakte. Für ihn seien die Kunden keine abstrakte Menge, sagt Nicola Andreatta, Chef von Roger Dubuis, „sondern ein kleiner internationaler Zirkel von Menschen, die dieselben Leidenschaften verbinden, die vieles gemeinsam erleben, eher eine Art ,Tribe‘“. Im persönlichen Kontakt erfährt der Hersteller viel über Interessen und -Bedürfnisse der Käufer. Die fühlen sich dank des Aufwands geschätzt und umsorgt. Dies ist für das Luxusgeschäft unverzichtbar.

Sicherlich sind diese Uhren, die traditionellen wie die hypermodernen, kaum einmal im Alltag zu sehen, viele nicht einmal in Schaufenstern zu bewundern. Einige der Hersteller verkaufen nur über ihre Boutiquen. Alltagstauglich aber sind die Wunderwerke allemal, das ist uhrmacherische Ehrensache. Greubel Forsey zum Beispiel machten ihre über eine Million Euro teure Repetitionsuhr aufwendig wasserdicht. Und Piaget achtete bei der Industrialisierung seiner atemberaubend dünnen „Altiplano Ultimate Concept“ auf Bedienbarkeit und Eleganz. Der Laie sieht ihr, zumindest von vorn, ihren exorbitant hohen Preis kaum an, für den man eine ganze Flotte von Mittelklassewagen bekommt. Und das ist dem Besitzer ganz bestimmt auch recht.

07.07.2020    Jan Lehmhaus
  • Drucken
Zur Startseite