Bild von der Uhr „Patrimony Perpetual Calendar Ultra-Thin“ von Vacheron Constantin 
20.12.2019    Jan Lehmhaus
  • Drucken

Die alte Weisheit, dass Kleider Leute machen, gilt allemal auch für die Uhr, mit der sie sich zeigen. Der Zeitmesser am Handgelenk sagt viel über den Menschen, der ihn trägt. Sein Gegenüber muss sich dafür nicht einmal gut mit Uhren oder gar Marken auskennen. Und bei manchen Gelegenheiten in manchen Outfits fällt es schon auf, wenn man keine Uhr trägt – weil sie nach allgemeiner Auffassung einfach dazugehört. Zu einem klassischen Herrenanzug zum Beispiel. Dabei ist die Verbindung nicht selbstverständlich.

Der Anzug, so wie wir ihn heute kennen, mit Hose, Sakko und gegebenenfalls Weste aus demselben Tuch, hatte sich schon längst als bürgerliche Straßenkleidung etabliert, als im Ersten Weltkrieg Frontsoldaten damit begannen, sich ihre großen Taschenuhren mit Lederriemen an den Arm zu schnallen, um jederzeit einen schnellen Blick darauf werfen zu können. Dieser Brauch wurde ins Zivilleben übernommen, hatte aber – heute kaum nachvollziehbar – zunächst den Ruch von martialischem Machogehabe und hektischem Aktionismus. Immerfort auf die Uhr zu sehen galt als nicht souverän, anderen die verstreichende Zeit vor Augen zu halten als unhöflich. 

Auf das wesentliche Konzentrieren

Gesellschaftlich akzeptabel waren Uhren, die sich flach unter die Klappmanschetten schmiegten: Dress-Watches, Uhren für den gut gekleideten Herrn. Die komplexe Technik in einem kleinen, flachen Gehäuse unterzubringen und es dann noch stoßfest und staubdicht zu machen, das war dabei eine echte Herausforderung für die Hersteller – und gilt auch heute noch als Beweis uhrmacherischer Expertise.

Und es ist kein Zufall, dass sich mit Piaget und Bulgari seit Jahren zwei Hersteller ein aufmerksamkeitsstarkes Rekordrennen um das allerflachste mechanische Werk liefern, deren uhrmacherische Kompetenz und Tradition nur wenig bekannt ist. Piagets superflache „Altiplano“-Modelle und Bulgaris „Octo Finissimo“-Familie sind mit Gehäuse nur wenige Millimeter hoch, machen ihre technische Qualität aber auch optisch deutlich.

Neben der Bauhöhe ist die optische Dezenz typisches Merkmal der Dress-Watch. Sie ist reduziert auf das Wesentliche, verzichtet oftmals auf den Sekundenzeiger und auf jeden Fall auf überflüssiges Dekor. Richtig überzeugend ist das aber nur, wenn die verbleibenden Elemente Ebenmaß zeigen, die Zeigerlängen im richtigen Verhältnis zueinander stehen und die – sparsame – Typografie zur Gehäuseform passt.

Eine blaue Taschenuhr von piaget

Limitierter Hingucker: Von der Piaget-Taschenuhr „Altiplano“ gibt es nur 26 Exemplare (ca. 66.000 Euro)

Ein Beispiel ist die „Classique 5177“ von Breguet. Deren Träger muss sich nicht für jede Gelegenheit neu ausstaffieren. Das tiefblaue Grand-Feu-Emailleblatt passt an den Konferenztisch genauso wie auf die Party. Und womöglich ist es dem Besitzer auch recht, dass die Uhr nicht aussieht wie der letzte Schrei, sondern so traditionell, als sei sie ein Erbstück. Das verleiht nicht nur eine gewisse Noblesse, sondern hilft auch den Eindruck zu vermeiden, man gebe viel Geld für Uhren aus. Die Heritage-Welle der vergangenen Jahre hat für viele Modelle mit dieser Qualität gesorgt; zum Beispiel in der Heritage-Linie von Longines, mit der „Conquest“ oder der neuen „Classic“.

Mit Konventionen brechen

In Zeiten, in denen Krawatten nicht nur in den Büros, sondern auch in den Opernfoyers selten werden und mit den Anzugformen abenteuerlich experimentiert wird, muss nicht die Armbanduhr alte Konventionen wahren. Allein, der bewusste Stilbruch – mit dicker, farbenfroher Multifunktionsuhr am -Kautschukband – gelingt nur wenigen überzeugend. Anders als die unmissverständlich trotzige „Sneaker zum Anzug“-Nummer sieht das schnell aus, als beherrsche jemand die Regeln nicht oder fühle sich in Gesellschaftskleidung sehr unwohl und wolle lieber gleich zurück an den Strand.

Manch ein strenger Stilpapst hält sogar Chronographen grundsätzlich für anzuguntauglich. Dabei gehören die traditionell nicht an die Handgelenke von Sportlern, sondern an die der sorgfältig gekleideten Zuschauer. Und mit einer „Meister Chronoscope“ von Junghans lässt sich schließlich ein Sprint genauso wie die Länge einer Rede messen. Als Sportler kann sich der Anzugträger ohnehin auch anders ausweisen. Der neue „Yacht Timer Regatta Countdown“ von Frederique Constant zeigt die Segelleidenschaft des Besitzers auf elegante Art und Weise und macht sich allemal auch unterm Clubblazer bestens.

Klassiker in Klein

Seit sich der Trend zur riesigen Uhr umgekehrt hat, werden auch kernige Klassiker in manschettentauglichem Format angeboten. Die „BR 05“ von Bell & Ross oder die kleineren „Panerai“-Modelle sind kein Stilbruch, aber ein klares Signal: Ich kann auch anders, weniger zahm. So passen auch eine markante „Aikon“ von Maurice Lacroix oder eine „Defy Classic“ von Zenith an den Arm. Und eine Uhr mit zweiter Zeitzone wie die „Overseas Dual Time“ von Vacheron Constantin hilft nicht nur auf Reisen, sondern weist den Träger auch zu Hause als Mann mit Weitblick aus.

Am Abend, beim Empfang, an einer festlich gedeckten Tafel, hat dann alles Kernige und Abenteuerliche, haben Pilotenträume und Taucherfantasien nichts zu suchen. Das heißt nicht unbedingt, dass man sich mit zwei bis drei Zeigern bescheiden muss: In Gesellschaft bekommen raffinierte Komplikationen ihren Auftritt, wird die dezente Uhr zum Talking Piece. 

Voraussetzung ist, dass die Zusatzfunktion eher vergnüglich ist als allzu praktisch. Eine Äquationsanzeige gehört zu solchen Spezialitäten und natürlich auch ein Schlagwerk. Zum Smoking und erst recht zum Frack gehört streng genommen nach wie vor keine Armbanduhr. Die klassische Gesellschaftskleidung ist damit zum Reservat der Taschenuhren geworden: Sie werden nach wie vor gebaut, traditionell oder entschieden modern. Mit ihnen lässt sich die Zeit diskret verbergen. Und, wenn es passt, dann sehr eindrucksvoll präsentieren.

20.12.2019    Jan Lehmhaus
  • Drucken
Zur Startseite