Kolumne Stefan Heringer und Dr. Nikolaus Braun, Neunundvierzig Honorarberatung

Was Sie dringend noch vor der Bundestagswahl am Depot verändern müssen!

Da kann man fast die Uhr danach stellen: Regelmäßig vor wichtigen politischen Ereignissen beglücken Finanzjournalisten, Fondsmanager und Vermögensverwalter die deutschen Anleger mit Prognosen, heißen Tipps und Szenarien für die Kapitalanlage. Aber ist das wirklich sinnvoll – oder eher gefährlicher Unsinn?

23.08.2021

"Was Sie dringend noch vor der Bundestagswahl an Ihrem Depot verändern müssen!" So eine Überschrift? Sind wir jetzt verrückt geworden? Belästigen wir Sie jetzt auch mit dem üblichen Unsinn der Finanzindustrie und des Finanzjournalismus? Raten wir Ihnen tatsächlich, taktische oder gar strategische Veränderungen in Ihrem Depot wegen einer Bundestagswahl vorzunehmen?

Natürlich nicht!

Sich an Prognosen zu orientieren, hektisch zu agieren, zu Opportunitäten erklärte Trends zu nutzen, Reißleinen zu ziehen, scheinbar sichere Häfen anzusteuern – das alles sind Scheinlösungen. Sie führen dazu, dass Menschen im Wunsch, ihr Geld zu schützen oder zu vermehren, ihr Vermögen nachhaltig beschädigen. Das haben wir mehr als einmal beobachtet. Das gilt immer, in jeder Situation und auch bei Ereignissen, die wesentlich bedeutsamer sind als eine Bundestagswahl. Schauen wir uns das genauer an.

Warum ist das Wetten auf politische Ereignisse zum Scheitern verurteilt?

Kolumne Stefan Heringer und Dr. Nikolaus Braun

Um erfolgreich am Kapitalmarkt auf den Ausgang einer Wahl oder ein politisches Ereignis zu wetten, müssen Sie zweimal richtig liegen. Erst mal müssen Sie richtig tippen, wie die Wahl ausgeht. Wenn das gelingt, müssen Sie auch noch richtig tippen, wie der Kapitalmarkt auf diesen Ausgang reagiert und ob er die Marktteilnehmer überhaupt interessiert.

Erinnern Sie sich an 2016?  In diesem Jahr gab es drei politische Entscheidungen, die im Vorfeld zu Schicksalsentscheidungen am Kapitalmarkt ernannt wurden: das Brexit-Referendum, die US-Wahl und – schon vergessen? – das Referendum zur Verfassungsänderung in Italien. Warum? Zweifelsohne hatten diese drei Entscheidungen eine gewaltige politische Bedeutung. Was politisch so wichtig ist, muss sich doch auch irgendwie signifikant auf den Kapitalmarkt auswirken. Klingt logisch, stimmt halt nur leider nicht.

Illustration Stefan Heringer und Dr. Nikolaus Braun
Dr. Nikolaus Braun und Stefan Heringer sind die Gründer der Neunundvierzig Honorarberatung. Ihre Kernkompetenz ist die langfristige Begleitung Ihrer Mandanten rund um die Frage wie Vermögen Lebensqualität schaffen kann. Als Vermögensverwalter der Deutschen Wertpapiertreuhand stehen Sie für finanzwissenschaftlich informierte Anlagestrategien. Braun ist zudem Autor des Finanzratgebers "Über Geld Nachdenken".
  1. Der Brexit: Letztlich hat kaum ein Analyst mit einem Votum für den Brexit gerechnet. Bei einer Sache waren sich aber fast alle Marktbeobachter einig: Ein Votum für den Brexit würde zu signifikanten Einbrüchen am Kapitalmarkt und einem dauerhaft eingetrübten Umfeld für Aktionäre führen. Am Ende lagen die Propheten mit beiden Prognosen völlig daneben: Das unerwartete Brexit-Votum führte zu einem kleinen Schluckauf am Markt, der All Country World Index verlor vorübergehend etwas mehr als 5 Prozent ‒ nach einer Woche war alles vorbei. In Summe lagen fast alle Analysten zweimal daneben: beim Wahlergebnis und bei der Reaktion des Markts darauf.
  2. Die US-Wahl: Wieder hatte kaum ein Analyst auf einen Sieg Donald Trumps gesetzt. Und auch diesmal waren sich fast alle einig: Sollte Trump wider Erwarten die Wahl gewinnen, gäbe es an den Kapitalmärkten ein Blutbad. Trumps unerwartetem Wahlsieg folgte dann, was später als Trump-Rallye bezeichnet wurde: Binnen eines Jahres lag der weltweite Kapitalmarkt fast 25 Prozent im Plus. Allein US-Nebenwerte legten in den ersten zehn Tagen nach Trumps Sieg 10 Prozent zu. Wieder lagen die selbst ernannten Propheten zweimal komplett daneben.
  3. Und das heute fast vergessene Italien-Referendum? Erwartungsgemäß fiel das Referendum durch, den Kapitalmarkt interessierte das – anders als prognostiziert ‒ am Ende aber überhaupt nicht. Null.

Wenn schon die Auswirkung wirklich einschneidender politischer Ereignisse auf den Kapitalmarkt nicht prognostizierbar und oft kaum messbar sind, warum sollte man sich dann mit einer Bundestagswahl rumquälen? Deutschland macht rund 3 Prozent des weltweiten Kapitalmarkts aus – was soll das in einem weltweit aufgestellten Portfolio bewirken?

Profitieren Solarwerte von einer grünen Bundesregierung?

Glauben Sie wirklich, dass Solar- oder Windkraftwerte unendlich von einer grünen Bundesregierung profitieren werden? Und wenn ja: Könnte es sein, dass da andere schon vor Ihnen darauf gekommen sind? Oder fürchten Sie, dass eine – ohnehin extrem unwahrscheinliche – Beteiligung der Linken an der nächsten Regierung dem Kapitalismus den Garaus machen wird? Glauben Sie, es wäre vernünftig, Ihr Geld deshalb in einer hochkomplexen Liechtensteiner Stiftungsstruktur zu verstecken, um damit Steuerberater, Banker und Anwälte reich zu machen? Wäre es da nicht viel klüger, einfach ein bisschen mehr Steuern zu zahlen?

Am Ende bedient eine interessensgeleitete Finanzindustrie Ihre Emotionen, um an Ihrem Neocortex vorbei direkt an Ihren Geldbeutel zu kommen. Im besten Fall wird Ihnen dabei irgendein finanzjournalistischer Unsinn verkauft. Im schlimmsten Fall landet ein intransparentes, überteuertes und toxisches Produkt in Ihrem Depot. Machen Sie da nicht mit.

Was können Sie also konkret tun, wenn Ihnen hochdosierter Blödsinn wie „Bundestagswahl 2021 ‒ Auswirkungen auf Ihr Portfolio“ entgegenkommt? (Entschuldigung: Mit Rücksicht auf Ihr Vermögen kann ich hier keine Beispiele verlinken)

  1. Nutzen Sie diesen Impuls, um Ihr Depot darauf zu überprüfen, wie stringent es weltweit diversifiziert und nach finanzwissenschaftlichen Erkenntnissen ausgerichtet ist.
  2. Setzen Sie jedes Journal, jeden Fondsmanager und jeden Vermögensverwalter, der Ihnen so etwas verkaufen will, auf die Giftliste. Newsletter blockieren, Telefonnummern sperren, Verträge kündigen.
  3. Und bitte: Klicken Sie nie wieder auf unsinnige Überschriften wie „Was Sie dringend noch vor der Bundestagswahl an Ihrem Depot verändern müssen!“

Wie es der große Philosoph Lothar Matthäus formulieren würde: Die Bedeutung der Bundestagswahl für den Kapitalmarkt wird von den Medien nur „hochsterilisiert“. Mit Ihrem Leben, Ihren Werten und der Frage, warum Geld für Sie wichtig ist, hat das alles nichts zu tun.

Alles Liebe,

Ihr Stefan Heringer und Nikolaus Braun

p.s.: Mehr zum Thema rationale Anlagestrategien, Strategien zum Vermögensaufbau, aber auch darüber, wie Ihr Umgang mit Geld Sie glücklicher machen kann, finden Sie im Blog der Neunundvierzig Honorarberatung und in Nikolaus Brauns Finanzratgeber:„Über Geld Nachdenken“.

p.p.s.: Lesen Sie dazu unsere zweifellos richtigen Prognosen