Kolumne von Fabian J. Fischer, CEO von Etribes

„Land and Expand“ – nicht nur für Fintechs eine attraktive Strategie

Eine Nische suchen, finden und expandieren – das steckt hinter der „Land and Expand“-Strategie. So können neben Fintech-Start-ups auch Unternehmen aus anderen Branchen von dem cleveren Prinzip profitieren.

20.05.2021

Seit Jahren herrscht eine Niedrigzinspolitik, die zur Konsequenz hat, das Anlegerinnen und Anleger für ihre Ersparnisse keine Zinsen erhalten. Aktien sind daher ein beliebtes Anlageklasse geworden. Um sich aber an Unternehmen zu beteiligen, müssen potenzielle Aktienkäufer nicht mehr zwingend bei ihrer Hausbank vorstellig werden, sondern können mit Apps wie Trade Republic, BUX oder nextmarkets per Smartphone aktiv werden.

Anders als eine klassische Bank bieten sie zunächst nur ein einziges Produkt, nämlich den Aktienhandel, an – und fokussieren sich so sehr nutzerzentriert auf einen Teilbereich der Wertschöpfung einer klassischen Bank. Mit diesen Services können in kürzester Zeit viele Kunden akquiriert werden, da die neuen Angebote in den meisten Fällen eine bessere Experience als jene der etablierten Player aufweisen. Ist dieser Grundstein gelegt, können die Start-ups sich dann der „Land and Expand“-Strategie bedienen, also dem Prinzip „Landen und Ausbreiten“.

Kasten für die Kolumne von Fabian Fischer

„Land and Expand“ setzt auf einen schlanken Start

Eine klassische Bank ermöglicht das volle Programm: Eine Kundin oder ein Kunde kann ein Girokonto eröffnen, einen Kredit für das Haus- oder den Autokauf abschließen, Fonds oder Aktien kaufen und vieles mehr. Ein riesiges Angebot also, das in einer sehr großen Unternehmenssystematik aufgehangen und in diverse Abteilungen verzweigt ist. Wie so oft bei größeren Unternehmen sorgt diese Komplexität aber für eine mangelnde Flexibilität und wenig Agilität: „Mal schnell“ einen Trend mitnehmen und etwa eine einfach zu bedienende Aktien-App aufsetzen, ist meist nicht möglich – außer, es gibt eine sehr gute etablierte Digital Unit.

Diese Agilität und Flexibilität haben hingegen Start-ups, die sich nur einen Geschäftsbereich einer klassischen Bank heraussuchen und diesen so digital und kundenfreundlich wie möglich gestalten. Das können die Trading-Apps von Trade Republic, BUX oder nextmarkets sein, die sich das Geschäft mit den Aktien vorgenommen und mit Kundenfokus optimiert haben. Auch N26 ist ein gutes Beispiel für eine Neobank, denn dort stand lange vor allem das Girokonto im Mittelpunkt.

Sie alle praktizieren das Prinzip „Land and Expand“. Die Angebote starten also in einer Nische, sind genau dort aber exzellent und ziehen so viele Nutzerinnen und Nutzer an. Basierend auf diesen ersten Erfolgen in der Nische können sie kontinuierlich wachsen und sich weiterentwickeln – etwa, indem sie weitere Services hinzunehmen – wie zuletzt die Macher von N26, die seit Kurzem Versicherungen anbieten, oder Trade Republic, die nun auch den Handel mit Kryptowährungen ermöglichen.

Wo Kundinnen und Kunden bei einer klassischen Bank also aus einem umfassenden Portfolio auswählen können, das meist eher nur durchschnittlich kundenzentriert ist, ist das bei Start-ups mit einem spitzen Fokus anders: Sie sind so spezialisiert, dass sie für die eine – und nur diese eine – Experience das bestmögliche herausholen. Hinzu kommt als weitere disruptive Kraft noch ein günstigerer Preis als bei bisherigen Angeboten. Bestes Beispiel ist der kostenlose Messenger WhatsApp, der das Gegenangebot zu den kostenpflichtigen SMS war. Das Ziel des Unternehmens bei all dem ist das massive Wachstum der Anzahl an Nutzer sowie deren Interaktionsraten – das sind die primär relevanten Key Performance Indicators.

Illustration von Fabian Fischer
Fabian J. Fischer ist ein Hamburger Unternehmer, digitaler Vordenker und Investor. Als CEO von Etribes verantwortet er die strategische Weiterentwicklung des Unternehmens, das mittelständische Unternehmen und Dax-Konzerne bei den Herausforderungen der Digitalisierung berät. Fischer ist ebenso Co-Founder von Picea Capital, einem Evergreen Venture Capital Fund mit Fokus auf Early-Stage-Technologieunternehmen.

„Land and Expand“ ist auch in anderen Branchen möglich

Dabei ist Banking jedoch nicht die einzige Branche, in der „Land and Expand“ praktiziert wird: Der superschnelle Lebensmittel-Lieferdienst Gorillas ist aktuell ein reines Großstadt-Phänomen; auch andere Lieferdienste sind regional begrenzt aktiv, wie etwa Picnic, die sich zunächst auf Nordrhein-Westfalen konzentriert haben.

Denn das Prinzip bei „Land and Expand“ ist immer gleich: In einem kleinen Bereich – etwa regional, in einer bestimmten Zielgruppe, bestenfalls ausprobierfreudige Early Adopter – wird ein bestimmter Service so lange iteriert, bis es von den Kunden geliebt wird und maximal wächst. Erst dann folgt die nächste Expansions- respektive Ausbaustufe.

Selbst im B2B-Business lässt sich „Land and Expand“ praktizieren. So etwa bei Software: Ein Terminkalender-Tool für Zahnärzte kann zum Beispiel in die Breite – also horizontal – expandieren, somit ist das Tool auch für Orthopäden, Hals-Nasen-Ohren-Ärzte oder Kardiologen anzubieten.

Oder es kann vertikal, also in die Tiefe, expandieren und neben dem Terminkalender-Tool für Zahnärzte auch noch Abrechnungs- und Kostenvoranschlag-Tools für Zahnärzte entwickeln.

Der Kreislauf des „Land and Expand“

Wenn nach dem Landen das Ausbreiten folgt, ist klar, was passiert: Das einstige Start-up wird größer und dadurch in den meisten Fällen weniger agil und flexibel. Damit schaffen sie Angriffsfläche für neue Player, die sich in diese Nische vorwagen und als Disruptoren auftreten – und damit potenziell wieder alles auf den Kopf stellen. Kurzum: Das ist der ewige Kreislauf des „Land and Expand“.