Ein Wohnhaus aus der Gründerzeit in der Lagerstraße im Hamburger Szeneviertel Schanze, das Messegelände gleich nebenan. Regelmäßige Passanten werfen einen traurigen Blick auf das Gebäude. Schon lange steht es bis auf einen Handwerksbetrieb im Souterrain leer. Warten da renditehungrige Spekulanten auf Wertsteigerung am Wohnungsmarkt? Nein. Der denkmalgeschützte Bau gehört der Stadt.
Enorme Lücke am Wohnungsmarkt
Eine Mitteilung der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder aus dem Zensus 2022 sorgte im Sommer 2024 für viel Verwunderung: „Am 15. Mai 2022 standen bundesweit 1,9 Millionen Wohnungen leer“, lautete die Überschrift, zahlreiche Medien griffen die Meldung auf. Die Leerstandsquote betrug 4,3 Prozent. Und das bei einem stark angespannten Wohnungsmarkt? Immerhin beklagte das Pestel Institut in einer Studie im Auftrag des Verbändebündnisses „Soziales Wohnen“ zum Anfang dieses Jahres, dass „die bis Ende 2022 aufgelaufenen Wohnungsdefizite von rund 700.000 Wohnungen im Jahr 2023 nicht reduziert“ wurden, „sondern ganz im Gegenteil muss von einer weiteren Erhöhung der Defizite um rund 100.000 Wohnungen im Jahr 2023 ausgegangen werden.“
Der Zentrale Immobilien Ausschusses (ZIA) taxierte zum Jahresbeginn die aktuelle Wohnungslücke etwas moderater bei 550.000. Bis 2025 könnten es 750.000 und 2027 sogar bis zu 830.000 fehlende Wohnungen sein, so der ZIA. Und das von der jetzt gescheiterten Ampelkoalition im Jahr 2021 proklamierte Ziel von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr blieb nur ein Wunschtraum. 2023 waren es gerade einmal 294.400 neue Wohnungen und damit sogar 900 weniger als im Jahr 2022, wie das Statistische Bundesamt meldete.
Lange Leerstände
Zurück zum Zensus. „Von allen leerstehenden Wohnungen stehen über die Hälfte seit mindestens einem Jahr leer“, sagte Ruth Brand, Präsidentin des Statistischen Bundesamts bei der Vorstellung der Zahlen. Das betraf zwei Drittel der leerstehenden Wohnungen mit Baujahr vor 1919. Unter den neuesten Wohnungen mit Baujahr nach 2015 sind es gut ein Drittel. Für fast jede vierte leerstehende Wohnung waren Baumaßnahmen oder Sanierungen vorgesehen oder fanden zum Zeitpunkt der Zensus-Befragung gerade statt. Geplanter Abriss ist nur selten der Grund, dies betraf lediglich vier Prozent der mieterlosen Wohnungen.
Warum kommen die Wohnungen nicht schneller an den Wohnungsmarkt? Beispiel das Haus in der Hamburger Lagerstraße. Im Umfeld heißt es, das Gebäude gehöre der Saga, Hamburgs größter Wohnungsgesellschaft in städtischem Besitz. Ist das so? Nach rund zwei Wochen kommt der Bescheid des Unternehmens: „Das von Ihnen angefragte Wohnobjekt in der Lagerstraße 33 befindet sich nicht im Eigentum der Saga, sondern im Eigentum der Stadt Hamburg. Bitte wenden Sie sich diesbezüglich an die Pressestelle des zuständigen LIG in der Finanzbehörde.“ Der Hamburger Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG), bestätigt dies: „Das Objekt befindet sich seit dem 01.05.2020 im Eigentum der Freien und Hansestadt Hamburg.“ Das „nach Informationen des Eigentümers“, so der LIG, im Jahr 1875 errichtete Gebäude umfasst zehn Wohneinheiten, die Gesamtwohnfläche beträgt circa 540 Quadratmeter.
Langer Leerstand trotz des angespannten Wohnungsmarkts
Doch seit wann und warum steht es leer? Der LIG erklärt: „Aufgrund der nach der Übernahme festgestellten gravierenden baulichen Mängel musste das Gebäude aus Sicherheitsgründen geräumt werden. Seit dem 31.03.2022 ist es nicht mehr bewohnt.“ Das ist bald drei Jahre her – eine Ewigkeit angesichts des angespannten Wohnungsmarkts. Auf die Frage, wann mit dem Start von Modernisierungsarbeiten, wann mit der Bezugsfertigkeit zu rechnen sei, antwortet der LIG: „Die unterschiedlichen Stellen der Freien und Hansestadt Hamburg befinden sich aktuell in Abstimmung über die zukünftige Nutzung des Gebäudes. Derzeit können wir daher noch keinen Bezugstermin absehen.“
Investoren schauen in die Röhre
Wie kam das unter der ID 13298 in der Denkmalliste für Hamburgs Bezirk Altona geführte Haus in das Eigentum der Stadt? Der LIG: „Das Objekt ist im Rahmen des Vorkaufsrechts erworben worden.“ Das Prozedere: Im Rahmen der Beurkundung von Grundstückskaufverträgen beantragt das beauftragte Notariat beim LIG die Ausstellung eines Negativattests – ein Zeugnis darüber, dass kein Vorkaufsrecht vorliegt oder es nicht ausgeübt wird. Dieser prüft, ob der Stadt ein Vorkaufsrecht für den Kaufgegenstand oder eine Teilfläche des Kaufgegenstandes zusteht, so die Erklärung des LIG. Dies war bei der Lagerstraße 33 der Fall. Es wurde damit von der Behörde in einen bereits verhandelten und bei einem Notar beurkundeten Kaufvertrag eingegriffen, einem Investierenden damit der Erwerb versagt. Ob der das dann wahrscheinlich über einen Kredit finanzierte Gebäude auch über einen solch langen Zeitraum hätte leer stehen lassen?
Einschneidende Regelungen
Und was hat es mit dem „Vorkaufsrecht der Gemeinde“ auf sich? Ulf Schelenz, Rechtsanwalt und Geschäftsführer des Grundeigentümer-Verbands Hamburg, erklärt: „Das basiert vor allem auf Paragraph 172 des Baugesetzbuchs ‚Erhaltung baulicher Anlagen und der Eigenart von Gebieten‘ sowie auf dessen Paragraph 24 ‚Allgemeines Vorkaufsrecht‘.“ Danach kann eine Gemeinde in einer Satzung bestimmte Gebiete festlegen, die aus städtebaulichen Gründen oder zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung besonders bedeutsam sind.
Solche Erhaltungssatzungen begründen Vorkaufsrechte. Entweder tritt die Stadt dann in einen Kaufvertrag über ein Grundstück in einem solchen Gebiet ein oder es wird mit dem Käufer eine Abwendungsvereinbarung geschlossen. „Das können sehr einschneidende Regelungen sein, die etwa zukünftige Mieterhöhungen begrenzen,“ so Schelenz, „das hat zahlreiche Kaufinteressenten massiv verunsichert.“ Allerdings, so der Rechtsanwalt weiter, hat das Bundesverwaltungsgericht im Jahr 2021 in einem vielbeachteten Urteil die bisherige Ausübung der Verkaufsrechte durch die Gemeinden relativiert. „Seitdem ruht der See“, sagt Schelenz. Wurden dem Hamburger Grundeigentümer-Verband in den Jahren vor dem Urteil noch diverse Vorkaufseingriffe bekannt, „handelt es sich heute nur noch um Einzelfälle“.
Öffentliche Wohnungssammlungsstellen
Doch hat sich da über die Jahre einiges angesammelt: „Zum Stichtag 31.12.2023 befanden sich im von der Saga verwalteten Wohnimmobilienbestand des LIGs 88 Gebäude mit 632 Wohneinheiten“, so der LIG, „von diesen 88 Gebäuden wurden 40 Objekte im Vorkaufsrecht erworben. Eine einzelne Erhebung zur Anzahl der Wohneinheiten in den durch das Vorkaufsrecht erworbenen Objekten erfolgt nicht.“ Die Leerstandsquote lag nach Angaben des LIGs zum genannten Stichtag bei zwölf Prozent.
Auch auf die Frage, wie sich Saga und LIG voneinander abgrenzen, hat der LIG eine Antwort parat: „Die Saga ist ... ein eigenständiges kommunales Wohnungsunternehmen, an dem die Stadt Hamburg Beteiligungen hält. Der LIG ist ein rechtlich unselbständiger Teil der Hamburgischen Verwaltung, der in seinem Handeln am Gemeinwohl orientiert und erwerbswirtschaftlich ausgerichtet ist. Als Teil der Finanzbehörde unterstützt der LIG die Freie- und Hansestadt Hamburg in der Entwicklung und Planung ihres Grundbesitzes. Dazu werden im Rahmen der politischen Maßgaben Ankäufe und Vorkaufsrechtsausübungen getätigt, die darauf ausgerichtet sind, die stadtentwicklungspolitischen Ziele des Senats zu erreichen.“
Überschaubare Situation in Hamburg
Bei Hamburgs größter Wohnungsgesellschaft Saga mit knapp 140.000 Wohnungen im Bestand ist Leerstand kein großes Thema. Kein Wunder angesichts des knappen Angebots am Wohnungsmarkt. Laut Geschäftsbericht lag er im Jahr 2023 bei 0,2 Prozent. Der städtische Konzern teilt mit: „Die Anzahl der vertriebsbedingten Leerstände belief sich im Jahresdurchschnitt 2023 auf monatlich rund 320 Wohnungen.“ Rund 97 Prozent diese Leerstände bestanden weniger als drei Monate, nur sehr wenige Objekte der Saga standen aufgrund baulicher Maßnahmen länger als sechs Monate leer, so das Unternehmen.
Anders die Situation bei der GAG Immobilien AG in Köln, wie Hamburg neben Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main, München und Stuttgart in Sachen Wohnungsmarkt eine der Top-Sieben-Metropolen Deutschlands. Sie waren bis zur vor allem durch die Zinsentwicklung bedingten Korrektur vor etwa zwei Jahren durch kräftig steigende Immobilienpreise und anziehende Wohnungsmieten gekennzeichnet. Mit rund 45.000 Wohnungen, knapp drei Millionen Quadratmeter Wohn- und Nutzfläche, ist die Gesellschaft nach eigenem Bekunden Kölns größte Vermieterin. GAG Immobilien ist börsennotiert, allerdings betrug der Aktienanteil der Stadt Köln zum Ende vergangenen Jahres 88,85 Prozent, wie die Firma mitteilt.
Keine Zeitangaben in Köln
Laut Geschäftsbericht lag die Leerstandsquote im GAG Immobilien-Wohnungsbestand im Jahr 2023 deutlich höher als etwa jene der Hamburger Saga: bei rund 3,8 Prozent. Der Leerstand betraf damit etwa 1.700 Wohnungen. Wie lange die Wohnungen leer standen? Darüber gibt die Gesellschaft keine Auskunft: „Die Angaben zum Wohnungsleerstand sind stichtagsbezogen. Zur Leerstandsdauer der Wohnungen können wir keine Angaben machen.“ Die Vermieter aus der Domstadt weiter: „Abhängig von Art und Umfang ist jede Baumaßnahme unterschiedlich, so dass wir auch hier keine belastbaren Angaben zur daraus resultierenden Leerstandsdauer machen können. Entscheidend ist, dass es einen guten Grund – Instandhaltung/Modernisierung – gibt, warum die Wohnungen leer stehen, und dass sie nach Abschluss der Arbeiten wieder bezogen werden.“
Im Geschäftsbericht der GAG Immobilien AG findet sich eine Besonderheit: Ein Belegrechtsvertrag mit der Stadt Köln und „sonstige Gründe“ aufgrund derer 2023 mehr als 200 Wohnungen leer standen. Was hat es damit auf sich? „Mit dem Belegungsrechtsvertrag räumt die GAG der Stadt Köln ein Belegungsrecht für rund 10.000 ihrer Wohnungen ein. Die Stadt Köln entscheidet, wer dort einzieht und von der GAG einen Mietvertrag erhält. Im Gegenzug verpflichtet sich die Stadt, die damit verbundenen Risiken zu tragen. Aufgrund bürokratischer Vorgaben kann es unter Umständen mehrere Monate dauern, bis eine leerstehende Wohnung aus diesem Kontingent wieder neu belegt wird,“ so der Hinweis eines Sprechers des Hauses.
Vier bis sechs Monate Leerstand vor Neubelegung
Die Stadt Köln präzisiert auf Anfrage die Angaben: „Die GAG meldet der Stadt Köln lediglich die bezugsfertigen Belegrechtswohnungen. Sobald eine solche Meldung eingeht, startet das Verfahren zur Neubelegung. Die Wohnungen werden überwiegend an wohnungslose Personen vergeben, die aufgrund von Vermittlungshemnissen auf dem freien Markt geringere Chancen haben, eine eigene Wohnung zu finden. Für diesen Personenkreis stehen pro Jahr rund 400 Wohnungen für eine Neubelegung zur Verfügung. Der Zeitraum bis zu einer Neubelegung kann vier bis sechs Monate in Anspruch nehmen“, so das Amt für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Stadt Köln – Die Oberbürgermeisterin.
Fast eine Million Euro für Wohnungen ohne Bewohner
Und was hat es mit den verbundenen Risiken auf sich, welche die öffentliche Hand zu tragen hat? „Die Stadt Köln ist nach Maßgabe des Belegungsrechtsvertrages verpflichtet, die Mietausfälle zu erstatten, die durch den Leerstand von Belegungswohnungen entstehen. Die Erstattung ist bei preisgebundenem Wohnraum auf die jeweils gültige Kostenmiete und bei freifinanziertem Wohnraum auf die erzielbare Marktmiete, zuzüglich der nach der Betriebskostenverordnung jeweils zulässigen Betriebs- und Heizkostenvorauszahlungen, begrenzt. Die Einstandspflicht der Stadt Köln beginnt mit der Entstehung des Mietausfalles, das heißt mit Bezugsfähigkeit der Wohnung, und endet nach Ablauf von sechs Monaten.“ Da kommt einiges zusammen: „Für das Jahr 2023 hat die Stadt Köln ... an die GAG insgesamt 989.134,19 Euro Leerstandskosten gezahlt.“
Keine Ausweisung von Leerstandsspitzen in Berlin
Szenenwechsel zum Berliner Wohnungsmarkt. Sechs landeseigene Wohnungsbaugesellschaften gibt es in der Hauptstadt, die größte von ihnen ist die degewo mit rund 80.000 eigenen Wohnungen, darunter auch solche, die per Vorkaufsrecht der Stadt Berlin erworben wurden. Wie viele das sind, mag die Firma nicht mitteilen. Die öffentliche Hand hält 100 Prozent an der Aktiengesellschaft. Der Leerstand unter den degewo-Wohnungen lag zum Jahresende 2023 bei 1.561 Wohnungen, was einer Leerstandquote von zwei Prozent entspricht.
Was sind die wichtigsten Gründe für Leerstand? „Leerstehende Wohnungen befinden sich im Wesentlichen entweder im Prozess der Neu- / Erstvermietung, in Modernisierung / Instandsetzung oder werden als Umsetzwohnungen für Sanierungen vorgehalten“, teilt die Firma mit Zentrale in der Potsdamer Straße mit. Wie lange bleiben Wohnungen ohne Bewohner? „Bei den vermietbaren Wohnungen liegt die durchschnittliche Dauer des Leerstands bei rund 1,5 Monaten. Einzelne Spitzen weisen wir nicht separat aus“, so der Hinweis eines Unternehmenssprechers.
Ausgleich der Mietpreisbremse
Im Geschäftsbericht der degewo für das Jahr 2023 findet sich ein Passus, der wohl vielen privaten Vermietern sauer aufstoßen dürfte. Darin heißt es, dass die Stadt finanzielle Nachteile der degewo aufgrund der in Berlin geltenden Mietpreisbremse ausgleicht. Darüber würden sich auch insbesondere solche Investoren am Wohnungsmarkt freuen, die ihre Immobilien zur Vermietung mit flexiblen Zinssätzen finanzierten – gerade in den unlängst beendeten Zeiten der strafferen Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Um welche Beträge es im Fall der Berliner Wohnungsbaugesellschaft dabei geht, bleibt ein Geheimnis: „Dazu macht degewo keine Angaben“, teilt die Firma mit.
Keine Kommentare aus den Führungsetagen
Die Chefinnen und Chefs von Saga, GAG Immobilien und degewo wurden um eine kurze Einschätzung zur Meldung von deutschlandweit insgesamt fast zwei Millionen leerstehenden Wohnungen, zu Gründen sowie möglichen Strategien, Wohnungsleerstände zu reduzieren, gebeten. Ihre Kommunikationsabteilungen wiesen die Bitte ab.