Wie groß ist eigentlich die Digitalisierungslücke in Deutschlands KMU?
Stefan Sambol: Als Digitalberatung ist unsere Position bei Ommax ganz klar: Die Digitalisierung bietet ein immenses Potenzial für KMU. Wir sehen, dass Investitionen in die IT, in Fachkräfte, in digitale Vertriebswege und in Produkte deutschen Unternehmen große Chancen bieten. Die Unternehmen sind aber noch nicht dort, wo sie sein sollten. Eine KfW-Studie zeigte Ende 2021: Die deutsche Wirtschaft liegt bei der Integration digitaler Technologien gerade einmal auf Rang 18. Laut KfW wäre das Zwei- bis Dreifache des derzeitigen Investitionsvolumens notwendig. Man kann insofern von einer echten Digitalisierungslücke in Deutschland sprechen, die es dringend zu schließen gilt. Für KMU in Deutschland ist die Digitalisierung nämlich nicht nur zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor geworden. In Zeiten steigender Inflationsraten sowie drohender Zinssteigerungen in diesem Jahr ist sie eine Überlebensfrage.
Ist das ein Befund, der auch für KMU in anderen Ländern gilt?
Sambol: Nach einer Studie des Instituts für Mittelstandsforschung liegen KMU in Deutschland im EU-Vergleich in manchen Bereichen zurück. So geben lediglich 17 Prozent der KMU an, Fachkräfte im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie zu beschäftigen. Der EU-Durchschnitt liegt bei 19 Prozent. Sicherlich gibt es in Europa auch Länder und Regionen, in denen die Probleme noch größer sind als bei uns. Jedoch sollten sich KMU im Rahmen einer digitalen Reifegradanalyse ein genaues Bild über die aktuelle Situation im eigenen Unternehmen, aber auch im Wettbewerbsvergleich verschaffen. Die KfW-Studie zeigt auch klar, dass uns Länder wie Irland, die Niederlande, Großbritannien oder Frankreich bei der Integration digitaler Technologien weit voraus sind.
Ist es immer nur Geld, das die Lücke schließen kann?
Sambol: Mehr Investitionen sind sicherlich notwendig, aber Geld allein ist nicht alles. Zusammen mit der Munich Business School haben wir bei Ommax Ende 2020 eine Analyse der Digitalkompetenzen in den Beiräten deutscher Familienunternehmen erstellt. Die Erkenntnis unserer Untersuchung war ernüchternd: Nur etwa 16 Prozent der Gremienmitglieder der 150 größten Familienunternehmen in Deutschland verfügen über eine ausgewiesene Digitalexpertise.
Konkret hatten wir mehrere Kriterien in unserer Analyse verwendet und beispielsweise die Führungs- oder Beiratserfahrung der Personen bei der digitalen Transformation eines vergleichbaren Unternehmens betrachtet. Hat ein Gremienmitglied Digitalisierungserfahrung bei einem vergleichbaren Unternehmen, verfügt es über ein tiefes Verständnis für die erforderlichen Veränderungsprozesse und kann diese Erfahrungen auch einbringen. Als nächstes lautete unsere Hypothese, dass Personen, die praktische Erfahrungen im Unternehmertum besitzen, auch Unternehmergeist haben. Bei unserer Analyse der digitalen Erfahrung und datenfokussierten Kundenorientierung war unsere Hypothese, dass erfahrene Personen ein technisches Grundverständnis sowie Kompetenzen im Umgang mit IKT-Technologien aufweisen.
Zurück zu den 16 Prozent Gremienmitglieder in Familienunternehmen mit Digitalexpertise: Das reicht nicht, oder?
Sambol: 16 Prozent sind entschieden zu wenig und stellen eine große Gefahr für unsere KMU dar. Es fehlt somit nicht nur am Geld, sondern auch am Bewusstsein und an den Fähigkeiten vom Aufsichtsrat bis ins Management, die Digitalisierung strategisch und in der Umsetzung konsequent anzugehen. Wir brauchen in Deutschland digitale Vordenker in den Führungsebenen und Mut in der Umsetzung, damit bei der digitalen Transformation wirkliche Erfolge verbucht werden können.
Wie sollen Private-Equity-Fonds die Lücke schließen? Ist das nicht arg „kleinteilig“ für die Fonds?
Sambol: Wir sehen PE-Fonds auf jeden Fall als einen wichtigen Treiber für die Digitalisierung im Mittelstand. Denn sie haben schneller als viele andere Unternehmen begriffen, welche Wertschöpfungspotenziale in der Digitalisierung bei der Entwicklung des Unternehmenswerts liegen. Es gibt mittlerweile hochspezialisierte Fonds, die im Rahmen von Beteiligungen an Unternehmen Digitalprojekte in diesen anstoßen und umsetzen. Kleinteilig wird es für die Fonds dabei nicht, denn sie setzen auf externe Berater, die im Rahmen der Due Diligence immer auch eine digitale Reifegradanalyse durchführen, in der das digitale Potenzial des Zielunternehmens bewertet und konkrete Handlungsempfehlungen gegeben werden. Zudem helfen externe Dienstleister nicht nur bei der Digital Due Diligence, sondern auch bei der Umsetzung digitaler Initiativen.
Wie ist das einem PE-Fonds schmackhaft zu machen, der ja auf ganz gezielte Auswahl setzt und nicht auf einen branchenweiten Ansatz?
Sambol: Die gezielte Auswahl nimmt der Finanzinvestor vor. Bei der Wertentwicklung des Unternehmens werden alle Dimensionen der Wertschöpfungskette unter die Lupe genommen. Dabei spielt nicht nur die interne Perspektive eine große Rolle, sondern vor allem auch das Ökosystem, in dem sich das Unternehmen bewegt. Digitale Ökosysteme sind Treiber von Innovationen und Wachstum für KMU. Aus diesem Grund ist es von hoher Bedeutung, sich mit Kunden, Wettbewerbern, Start-ups, Hochschulen und so weiter zu vernetzen und Daten zu teilen, um daraus Innovationen zu entwickeln. Beispiele dafür liefert die Initiative von Siemens mit der Mindsphere-Plattform. Mindsphere ist ein cloudbasiertes IoT-Betriebssystem für die Vernetzung von Maschinen, Anlagen und Systemen sowie komplexe Datenanalysen. Mindsphere-Partner haben Zugriff auf die offene Plattform und können sie für die Entwicklung und den Betrieb ihrer Applikationen verwenden.
Um wirklich Macht zu entfalten, müsste PE zum Jedermann-Investment werden. Sehen Sie da Chancen?
Sambol: Private Equity steht für Investitionen in Unternehmen, bei denen die Beteiligung nicht an Märkten in Form von Aktien, Anleihen oder Investmentzertifikaten handelbar ist. Damit unterliegen diese Art von Investitionen weiterhin einem erhöhten Risiko und erfordern vom Anleger neben dem Kapital auch ein fundiertes Verständnis der Branche, des Unternehmens und der Produkte und Dienstleistungen.
Finanzinvestoren investieren oft siebenstellige Summen im Rahmen der Unternehmensprüfung, die für gewöhnliche Anleger nicht abbildbar sind. Ich möchte da sehr gern Jörg Rockenhäuser zitieren, einen Partner bei Permira: „Private-Equity-Manager beschäftigen sich mit weniger Firmen, aber dafür sehr viel intensiver. Denn mit einer konsequent implementierten Strategie lässt sich der Wert eines Unternehmens deutlich steigern.“ Es entwickeln sich jedoch immer mehr Plattformen, die Anlegern ab einem Investment von 200.000 Euro – das ist die regulatorische Voraussetzung – die Möglichkeit bieten, in Private Equity zu investieren. Ob sich diese Anlageform mittelfristig noch weiter öffnet, bleibt abzuwarten.