10.03.2022    Arne Gottschalck
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In der Theorie ist die Sache klar: Nachhaltigkeit bei der Geldanlage hilft beim Umgang mit Risiken. Familiengeführte Firmen wiederum sind in der Regel geringer verschuldet als die herkömmlich aufgestellte Konkurrenz. Beides passt bestens zusammen, sagt Birgitte Olsen, deren Fonds Bellevue Sustainable Entrepreneur Europe die Themen Nachhaltigkeit und Familienunternehmen zusammenbringt.

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Zur Person

Birgitte Olsen

ist Lead-Portfoliomanagerin für die Entrepreneur-Strategien von Bellevue Asset Management, verantwortet also Fonds wie den Sustainable Entrepreneur Europe. Zuvor war sie unter anderem bei Generali Investments beschäftigt als stellvertretende Leiterin Europäische Aktien

Mögen Sie den Satz beenden: Nachhaltigkeit…

Birgitte Olsen: …ist ein wolkiger Begriff, ist keine Wissenschaft – aber das ist die Geldanlage auch nicht. Entsprechend schwer ist es, genau zu sagen, wie nachhaltig ein Unternehmen handelt. Die Umweltaspekte des Dreiklangs ESG – Umwelt, Soziales und unternehmerisches Verhalten – lassen sich zwar gut quantifizieren, doch bei den sozialen und unternehmerischen Fragen sieht das schon anders aus.

Wie funktioniert das in kleinen und mittleren Unternehmen, bei denen die Budgets nicht so locker sitzen wie in Dax-Firmen?

Olsen: Es ist ein Vorurteil, dass große Unternehmen in dieser Hinsicht besser sind. Die Frage lautet vielmehr: Wann hat ein Unternehmen angefangen, nachhaltig zu denken? Mein Lieblingsbeispiel dafür ist Lundin Energy, ein schwedisches Öl- und Gasunternehmen. Sie werden schon 2023 CO2-neutral sein – das ist praktisch morgen! Und das ist auch eine Frage der Rahmenbedingungen. In Norwegen, wo Lundin vor allem aktiv ist, gibt es mit die höchsten CO2-Steuern. Das Unternehmen hat sich daher früh entsprechend aufgestellt. Und auch ein anderer Punkt ist wichtig – nämlich die Branche. Geht es um ein kapitalintensives Geschäft mit langen Abschreibungszeiträumen, ist die Reise Richtung Nachhaltigkeit lang. Dagegen geht das bei einem Start-up im Dienstleistungssektor von heute auf morgen.

Sie investieren in familiengeführte Unternehmen. Ist das ein Unterschied in Sachen Nachhaltigkeit?

Olsen: In meinen Augen ist das ein „natural fit“. Unter anderem, weil ESG Chefsache ist. Wenn das Top-Management nicht überzeugt ist, passiert nichts. Dazu kommen die komfortablen Bilanzen, der generell sehr niedrige Schuldenstand und Eigenkapitalquoten von 70 Prozent plus. Natürlich braucht man Geld für Nachhaltigkeit, man muss investieren. Aber es ist eine zukunftssichernde Strategie. Familienunternehmen wollen vor allem ihr Kapital nicht gefährden; es geht nicht nur um die Quartalsergebnisse. Da ist der Groschen schon gefallen.

Es gibt Studien, die sprechen davon, dass der Moment des Umstellens eines Unternehmens auf Nachhaltigkeit eine Art „Sweetspot“ für Anleger sein kann. Stimmt das aus Ihrer Sicht?

Olsen: Ja, genau das versuchen wir. Die Analysten merken zum Beispiel, dass ein Rating die nahe Zukunft eines Unternehmens nicht richtig widerspiegelt. Dann lohnt es sich, auf das ESG-Momentum zu setzen – vorausgesetzt, der Rest stimmt.

Welche Rolle spielen Daten für Nachhaltigkeit?

Olsen: Daten sind noch keine Informationen. Und es gibt viel zu viel davon. Wir alle bekommen mehr Mails als wir verarbeiten und gebrauchen können. Die Kunst ist wegzulassen, was unwesentlich ist. Ein wichtiger Aspekt in Sachen Nachhaltigkeit: Nicht alles ist vergleichbar. Noch steckt ESG in den Kinderschuhen, aber es wird immer besser werden. Denn der Druck steigt; keiner kommt daran vorbei.

Was ist für Sie Ausweis nachhaltigen Wirtschaftens? ESG-Ratings?

Olsen: Das kann man leider nicht so einfach sagen. Grundsätzlich suchen wir Unternehmen, die proaktiv arbeiten. Dabei hilft ESG. Immerhin geht es um die Schaffung von Voraussetzungen, um als Unternehmen die kommenden zehn Jahre positiv zu bestehen. Die ESG-Ratings sind aber nicht immer kongruent, auch nicht zwischen den Agenturen. Schon, weil es eben keine Wissenschaft ist, sind Kriterien nicht glasklar definiert. Daher wollen wir die Ratings kritisch beleuchten. Denn so lassen sich Unterschiede zwischen Rating und Realität ausmachen, die auch Chancen sein können.

Es heißt, eigentümergeführte Unternehmen hätten einen längerfristigen Blick. Stimmt das?

Olsen: Ja, es ist eine ganz andere Perspektive. Wenn Unternehmen nicht quartalsmäßig denken, sondern langfristig, dann können sie auch in die Vollen gehen. Familienunternehmen haben davor keine Angst, stehen oft gut da im Wettbewerb. Und sie scheuen sich nicht, Geld in die Hand zu nehmen, um morgen und übermorgen besser dazustehen. Das hat möglicherweise etwas damit zu tun, dass die Unternehmenslenker dort im Schnitt zwischen acht und neun Jahren an der Spitze stehen. In der herkömmlich strukturierten Konkurrenz sind das im Schnitt 3,7 Jahre. Schauen Sie mal auf die Politik: Auch in so einer kurzen Legislaturperiode sind langfristige Ziele kaum zu schaffen. Gerade in fordernden Zeiten wie jetzt ist so ein Ansatz wichtig.

Was ist eigentlich die Standardausrede?

Olsen: Die Kostenthematik. Aber das ist Sparen am falschen Ende. Und eine andere Ausrede: Das geht ja nur, wenn alle am gleichen Strang ziehen – und das passiert eh nicht. Mir gefällt das nicht; man muss mit seiner Zeit gehen. Es wird auch für Anleger tolle Opportunitäten geben.

10.03.2022    Arne Gottschalck
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