Ich erinnere mich noch sehr gut an meinen Anfang in der Honorarberatung 2008: Während uns das Weltfinanzsystem links und rechts um die Ohren flog, die Börsen kollabierten, die Presse Woche um Woche schlechte Bankberatung anprangerte, versuchten wir und ein paar andere idealistische und ein bisschen verrückte Banker in München ein faires und transparentes Banking aufzubauen.
Wir fühlten uns wie der weiße Ritter, der, wenn nicht die Welt, so doch zumindest die Prinzessin rettet. Täglich eröffneten wir neue Konten – und wir waren uns zu 100 Prozent sicher, dass in wenigen Monaten, maximal ein paar Jahren das korrupte Provisionsbanking zusammenbrechen würde.
2022: Die Honorarberatung ist weitgehend gescheitert
13 Jahre nach der Lehman-Pleite und der berühmt gewordenen Lehman-Oma führt die Honorarberatung ein Schattendasein. In Deutschland gab es Anfang 2022 laut dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag:
- 192.789 Versicherungsvermittler
- 56.715 Immobiliendarlehensvermittler
- 39.084 Finanzanlagenvermittler
- 256 Honorar-Finanzanlagenberater
256 – in Worten: zweihundertsechsundfünfzig! In Prozent: 0,089 Prozent. Weniger als ein Promille aller selbstständigen Finanzberater sind also Honorar-Finanzanlagenberater.
Das Bild bei Banken und Vermögensverwaltern sieht ebenso niederschmetternd aus: Gerade mal 17 Adressen haben sich bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht als Honorar-Anlagenberater registrieren lassen, darunter nur eine einzige Bank. Seit über vier Jahren ist keine einzige Adresse dazugekommen.
Viele dieser Adressen verwalten weniger als 100 Millionen Euro. Der Marktführer, die Quirin Privatbank, bringt es gerade mal auf 6 Milliarden. Um das mal in einen Kontext zu setzen: In Summe haben deutsche Anleger 1.538 Milliarden in Aktien, Investmentfonds und Anleihen investiert.
13 Jahre nach Lehman ist Honorarberatung also bestenfalls ein Rundungsfehler in einer kleinen Nische für gut aufgeklärte, relativ vermögende Privatanleger.
Warum hat sich Honorarberatung nicht durchgesetzt?
1. Dummheit
Es tut uns leid, es deutlich sagen zu müssen: Aber es ist nach wie vor unfassbar, wie niedrig das Niveau der finanziellen Allgemeinbildung in Deutschland ist. Ist es wirklich so schwierig, einmal den Taschenrechner rauszuholen, um zu verstehen, dass ich mit meiner Rürup-Rente 105 Jahre alt werden muss, damit ich das Spiel gegen die Versicherung gewinne? Oder im Vertrag mal nach den Kosten zu suchen und zu verstehen, dass ein Verkäufer NIE ein Berater sein kann?
2. Lobbyismus
Die Finanzindustrie bezahlt nach wie vor ein Heer an Lobbyisten, um die Politik zu beeinflussen und Gesetze mitzugestalten – von Cum-Ex bis zur Untergrabung des Verbraucherschutzes. Zuletzt ist es ihr gelungen – unter anderem durch eine Studie von KPMG –, zu verhindern, dass die Ampelkoalition dem Provisionsirrsinn endlich den Garaus macht.
3. Tarnung
Banken und Versicherungen geben sich wesentlich mehr Mühe bei der Tarnung und dabei, die Unterschiede zu verwischen. Kosten werden ins Innere von Produkten oder ins Trading verlagert; die Hinweise in den Prospekten und Unterlagen werden so gut unter Tonnen von Papier vergraben, dass sie keiner mehr findet.
4. Honorarberater – nett, aber unfähig?
Am Ende nutzt aber all das Klagen nicht. Das Versagen der Honorarberatung geht auch zum Teil auf die Kappe der Honorarberater selbst. Wieso? Viele Honorarberater sind zwar nette Menschen, aber keine Unternehmer. Beim Entwickeln eines schlagkräftigen Geschäftsmodells stehen sie sich selbst im Weg: kein klares Profil, Selbstüberschätzung, Einzelkämpfertum, Inkonsequenz. Andere werden immer wieder „rückfällig“, machen „eigentlich“ schon Honorarberatung, verdienen aber doch zu gerne hier und da ein bisschen was dazu. Auf ihren Webseiten erklären sie dann mal mehr, mal weniger wortreich, weshalb sie gar keine offizielle Lizenz als Honorarberater haben.
Am schlimmsten aber: Auch die, die es ernst meinen, sind konzeptionell meist nicht über das Niveau eines Vermögensverwalters hinaus. Konzepte, die sich nicht auf das Geld des Kunden stürzen, sondern sich mit dessen Lebensentwurf auseinandersetzen, die etwa die gesamte Familie einbeziehen und blinde Flecken aufspüren, kann man wie eine Nadel im Heuhaufen suchen. Kein Wunder also, wenn Honorarberater für die meisten Privatanleger kaum von einem konventionellen Vermögensverwalter unterscheidbar sind.
Was muss sich ändern?
Honorarberater müssen endlich verstehen: Honorarberatung ist mehr als ein faires Preismodell. Honorarberatung ist eine Haltung. Sie endet nicht, wo es unbequem oder anstrengend wird. Honorarberatung muss einen relevanten positiven Einfluss auf die Lebensqualität ihrer Mandanten haben. Dann ist sie nicht nur ein profitables Geschäftsmodell. Sondern dann wird sie sich auch langfristig gegen Dummheit, Lobbyismus und eine größtenteils toxische Finanzindustrie durchsetzen.
Alles Liebe,
Ihr Stefan Heringer und Nikolaus Braun
p.s.: Mehr zum Thema rationale Anlagestrategien, Strategien zum Vermögensaufbau, aber auch darüber, wie Ihr Umgang mit Geld Sie glücklicher machen kann, finden Sie im Blog der Neunundvierzig Honorarberatung und in Nikolaus Brauns Finanzratgeber: „Über Geld Nachdenken“.
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