Die Mehrheit der Kreditinstitute in Deutschland erwartet für 2023 gleiche bis leicht steigende Zinsen. Sollten Bauwillige also lieber auf ruhigere Zeiten warten?
Michael Neumann: Eine mittel- oder langfristige Zinsprognose gleicht dem Blick in die Glaskugel. Definitiv lässt sich aber sagen: Auf ein nachhaltig niedrigeres Zinsniveau sollte niemand spekulieren. Zwar werden die Baufinanzierungszinsen weiterhin schwanken, und deswegen vergünstigen sich die Angebote auch immer wieder zeitweise. Unter dem Strich erwarte ich aber für dieses Jahr ein höheres Niveau als 2022.
Also sollte man trotz hoher Inflation aktuell Vertrauen in die Immobilienmärkte haben und investieren?
Neumann: Dass die Inflation derzeit so hoch ist – und dies vermutlich auch noch bis weit ins Jahr hinein so bleibt –, spielt Investoren eher in die Karten als Gläubigern. Wer dieses Argument als ausschlaggebenden Grund für die Investition in eine Immobilie nimmt, ist aber nicht gut beraten. Kapitalanleger sollten auf die rechnerische Rentabilität achten, und die hängt von mehreren und wichtigeren Faktoren ab. Es ist viel sinnvoller, sich genau über das Objekt zu informieren und auch die Lage aus zukünftiger Perspektive zu beurteilen.
Deutsche Bank Research prognostiziert für 2023 eine „kleine Preisdelle“. Wie schätzen Sie die Entwicklung der Nachfrage ein?
Neumann: Einen starken Preisverfall sehe ich nicht und würde ihn auch nicht für dieses Jahr vorhersagen. Die Marktentwicklung ist aber regional sehr unterschiedlich. Wir sehen Rückgänge bei den Immobilienpreisen in strukturschwachen Regionen und bei Objekten, die sehr viel Energie verbrauchen. In Metropolen beobachten wir deutliche Preisabschläge, wenn es zum Beispiel um überbewertete Immobilien geht. Künftig bedarf es Kompromissbereitschaft, dann wird die Nachfrage wieder anziehen: Verkaufende müssen Abstriche bei den Preisen hinnehmen und Kaufende bei der Lage oder der Ausstattung.
Wie wirkt sich der fehlende Wohnraum auf die Immobilienpreise in den Metropolen aus?
Neumann: Von Lieferengpässen bis zu gestiegenen Zinsen gibt es derzeit verschiedenste Faktoren, die sich nachteilig auf den Wohnungsbau auswirken. Wir hören von vielen Projekten, die aktuell auf Eis liegen. Hält diese angespannte Situation über längere Zeit an, erhöht sich der Druck auf den ohnehin schon schwierigen Wohnungsmarkt in den Ballungszentren. Und das würde zu steigenden Immobilienpreisen beitragen. Wir erleben bereits jetzt, wie die Mieten in den Metropolen deutlich anziehen, weil viele Menschen derzeit keine Möglichkeit haben, auf Eigentum auszuweichen.
Einige Expertinnen und Experten sehen eine Immobilienblase am Markt als unvermeidlich an.
Neumann: Ich sehe für 2023 keine Immobilienpreisblase in der Fläche, sondern lediglich regionale Überhitzungen des Markts. Das zum Teil sehr hohe Kaufpreisniveau erfährt jetzt langsam wieder eine Korrektur: Es wandelt sich mit Blick auf die Immobilienpreise und deren Verhandelbarkeit von einem langjährigen Verkäufermarkt in einen Käufermarkt. Die Wohnraumknappheit und der ungebrochen große Wunsch nach den eigenen vier Wänden stabilisieren den Immobilienmarkt weiterhin.
Bleiben die Assets der Immobilienmärkte langfristig eine weitgehend inflationssichere Anlagemöglichkeit?
Neumann: Der Anlagemarkt bei den Immobilien ist durchaus eingebrochen. Die Finanzierungszinsen sind aktuell sehr hoch, die Renditen im Umkehrschluss also nicht mehr ganz so lohnenswert wie noch Anfang 2022. Darüber hinaus ist der Anlagemarkt diversifizierter als zu Zeiten der extrem niedrigen Zinsen: Neben dem klassischen Betongold investieren die Menschen in Aktien, ETFs oder Investmentfonds. Selbst der Anleihemarkt bietet wieder höhere Renditen. Dennoch sind Wohnimmobilien nach wie vor eine sichere Geldanlage, wenn auch regional stark von der Mikrolage abhängig. Für Investorinnen und Investoren ist es wichtig, sich nicht vom Markt oder von emotionalen Werten treiben zu lassen.
Was müsste sich ändern, damit Wohnraum besonders in den Metropolen wieder bezahlbar wird?
Neumann: Ein Modell des Gemeindebaus, wie es beispielsweise in Wien seit einem Jahrhundert umgesetzt wird, zeigt, welche Bedeutung gemeinnütziger Wohnungsbau für Städte haben kann. Mit rund 220.000 kommunalen Wohnungen, ergänzt durch eine Vielzahl weiterer Wohnungen, die von Genossenschaften und gemeinnützigen Unternehmen getragen werden, ist es möglich, dass dort knapp 40 Prozent der Bevölkerung erschwingliche Mieten zahlen.
Um hierzulande ebenfalls zu gewährleisten, dass Mieten bezahlbar bleiben beziehungsweise wieder werden, brauchen wir von der Regierung die richtigen Weichenstellungen – sowohl auf gesetzlicher als auch auf finanzieller Ebene. Ohne entsprechende Förderung wird es nicht vorangehen.
Wie bewerten Sie angesichts von Fachkräftemangel und Ukraine-Krieg die Arbeit der Ampel-Koalition im Bund?
Neumann: Die aktuelle Bundesregierung zeigt entschieden zu wenig Einsatz beim Neubau. Das galt übrigens auch für die Vorgängerregierung. Beim Wohnungsbau haben wir ein strukturelles Problem. Schuld sind nicht die Kriegsauswirkungen, sondern vor allem die verfehlte oder gar nicht existente Förderung beim Neubau. Ich sehe kein langfristiges Förderkonzept, das auf die Planungssicherheit von Bauunternehmen einzahlt. Stattdessen belasten den Wohnungsbau unangekündigte Förderstopps oder verschärfte Vorgaben.
Weil es keinen Ersatz für das ausgelaufene Baukindergeld gibt, existiert zurzeit außerdem keine tatsächlich wirksame Förderung für den Erwerb von selbst genutztem Wohneigentum. Hier könnte jedoch mit hohen Freibeträgen bei der Grunderwerbssteuer für Erstkäufer und Eigennutzer sowie mit der Einführung von subventionierten Nachrangdarlehen durch die öffentliche Hand einer Vielzahl von Menschen der Eigentumserwerb erleichtert werden.
Wie ließe sich dieser Negativtrend aufhalten?
Neumann: Um wettbewerbsfähig zu bleiben und das aktuelle Wohlstandsniveau zu halten, braucht Deutschland Zuzug von qualifizierten Arbeitskräften. Und um eine wichtige Grundlage für eine friedliche Gesellschaft zu erhalten, benötigen wir mehr bezahlbaren Wohnraum. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass sich die Regierung dieses Themas doch noch mit Mut und Entschlossenheit annimmt.