Die Causa Gamestop zeigt, dass Kleinanleger sogar Hedgefonds in die Knie zwingen können. Erleben wir gerade eine Demokratisierung der Finanzmärkte?
Sven Giegold: Gamestop war stark geshortet und viele Kleinanleger haben unter Umständen, die noch nicht vollständig geklärt sind, die Hedgefonds in einen Short-Squeeze gezwungen. Das ist ein wirklich spannender Move, weil es zeigt, dass viele Kleinanleger den Hedgefonds auch mal eine Nase drehen können.
Hat der Anleger-Schwarm also die Hedgefonds besiegt?
Giegold: Durch den Short Squeeze haben es die Kleinen geschafft, die Großen ein Stück weit zu besiegen. Der Kurs der Aktie ist in eine Höhe getrieben wurden, die mit ökonomischen Fundamentaldaten des Unternehmens nichts mehr zu tun hatte. Ob das Thema für die Privatanleger in jedem Fall gut ausgegangen ist, ist eine andere Frage. Wer zu spät eingestiegen ist, hat unter Umständen eine Menge Geld verloren.
Die Kleinanleger haben Neobroker wie Robinhood und Trade Republik genutzt, um die Gamestop-Aktien zu kaufen. Was ist neu an diesen Trading-Apps?
Giegold: Mithilfe der Neobroker können viele Leute relativ einfach an den Kapitalmarkt gehen. Auf der eine Seite scheinen zwar die Gebühren niedrig. Auf der anderen Seite hab ich nicht die Garantie, immer den besten Deal zu bekommen. Die europäischen Finanzmarkregeln sagen ganz klar, dass es eine „best execution“ geben muss. Das gilt bei diesen Order-Flow-Geschäftsmodellen der Neobroker nicht. Das müssen Kundinnen und Kunden wissen. Die amerikanische Finanzaufsicht hat das bereits bemängelt. Robinhood musste deswegen schon eine Menge Geld an den Staat zahlen.
Wie funktioniert dieses Order-Flow-Geschäftsmodell?
Giegold: Die Neobroker haben in der Regel einen festen Partner, über den die Geschäfte abgewickelt werden. Die Kunden bekommen nicht immer den besten Kurs. Dadurch gibt es auch eine Gebühr, die steht nur nicht so offensichtlich auf dem Deckel. Aber: Im Vergleich zu den hohen Gebühren klassischer Banken, gerade bei kleinen Orders, ist es für die Kunden ein Fortschritt.
Dank Discount-Brokern wie Robinhood und Trade Republic trauen sich plötzlich Neueinsteiger an die Börse, auch in Deutschland. Eine positive Entwicklung?
Giegold: Gerade jungen Leuten erleichtern die Neobroker den Zugang zum Kapitalmarkt. Wie sinnvoll das ist, ist eine andere Frage. Die Gefahr, dass man dabei Geld verliert, ist vorhanden. Es ist aber nicht Aufgabe des Staates, den Anlegern gewissen Risiken zu verbieten. Besonders dann, wenn es nur um die Ausführung geht und die Menschen nicht über Berater in risikoreiche Investments gelockt werden, um Provisionen und Kickbacks zu kassieren. Die meisten Anleger wären aber besser bedient, wenn sie kollektive Investment-Formen nutzen würden. Aus guten Gründen sind ETFs so gefragt. Noch besser finde ich die skandinavischen Modelle mit großen Bürgerfonds, die aktiv gemanagt sind und dadurch verhindern, dass unsere Unternehmen irgendwann in der Hand von Blackrock, State Street oder Vanguard sind. Bürgerfonds sind eine ideale Mischung aus niedrigen Gebühren und dem Vorteil, dass man ein Stück weit die Kontrolle über die eigenen Unternehmen behält.
Sie haben eine Untersuchung des Falls Gamestop durch die EU-Kommission und die europäische Wertpapieraufsicht Esma in Gang gesetzt. Warum?
Giegold: Das Order-Flow-Geschäftsmodell ist ein Grenzfall und beruht nur auf einer Ausnahmevorschrift der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin. Danach darf man unter Umständen von der Best Execution abweichen. Die Frage ist: Passen diese Ausnahme zu dem, was wir anderen Marktteilnehmern abverlangen? Eigentlich müssten gleiche Regeln für alle gelten. Das Minimum sollte sein, dass Anleger Klarheit über die Gebühren erhalten. Wir müssen die tatsächlichen Kosten transparent machen. Die Leute denken, sie traden fast umsonst, dabei fallen die Kosten hinten herum an. Das muss allen klar sein. Ob das bei allen Anbietern in Europa der Fall ist, muss sich die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde Esma anschauen.
Über soziale Netzwerke wie Reddit haben sich Tausende Anleger abgesprochen, um koordiniert zuzuschlagen. Handelt es sich dabei um Marktmanipulation?
Giegold: Das weiß ich ehrlich gesagt auch nicht. Klar ist: Man muss eine Grenze ziehen. Gezielt einen Preis über Absprachen nach oben zu treiben, ist Marktmanipulation. Andererseits sind Anlagetipps, wie etwa in Magazinen nicht verboten. Man muss sich die Intentionen anschauen. Beispielsweise, ob ein Tippgeber dafür bezahlt wird. Das ist eine Grauzone zwischen Marktmanipulation und Anlagetipps am Stammtisch.
Was wird noch untersucht?
Giegold: Wir müssen prüfen, ob unsere Regeln für das Short Selling funktionieren. Leerverkäufe sind nicht prinzipiell schlecht. Sie können Informationen in den Markt bringen. Das nackte Short Selling ist zwar in Europa verboten, aber über eine Serie von Wertpapierleihen kann man trotzdem mit relativ wenig Kapital eine Aktie bewegen. Das haben wir auch bei Varta gesehen. Ich will nicht, dass die europäische Finanzmarktaufsicht in der Schläfrigkeit der Bafin versinkt, sondern, dass der Vorfall untersucht wird und dass die Ergebnisse in die Reform der entsprechenden Finanzmarktrichtline MiFID fließen. Diese Reform steht ohnehin an.
Eine Studie zeigt, dass Anleger dank der Neobroker bei besonders risikoreichen Werten aktiv sind und damit häufig scheitern. Ist also eher die Gier das Problem?
Giegold: Bestimmt ist das der Fall. Die Leute sind bei Gamestop noch eingestiegen, als der Preis schon übertrieben war. Das ist vor allem der Herdentrieb. Märkte sind eben nicht effizient. Wir sind am Kapitalmarkt und nicht in der Kirche. Die Leute sollten aber wissen, welche Risiken sie eingehen. Besonders kritisch sehe ich Anlageprodukte mit Nachschusspflichten, bei denen Menschen in die Überschuldung getrieben werden. Da hat der Staat ein Schutzinteresse.
In Massachusetts sind die Aufsichtsbehörden gegen Robinhood aktiv, weil die App Geldanlage wie ein Spiel erscheinen lasse. Wie gefährlich ist Gamification in diesem Bereich?
Giegold: Bei solchen moralischen Diskussionen bin ich vorsichtig. Sollen wir vorschreiben, dass eine App nicht cool sein darf? Grundsätzlich darf das Spaß machen, solange die Leute wissen was sie tun. Ich habe lange mit wenig Geld gelebt, weil ich mich politisch engagieren wollte. Und das Geld, was ich hatte, habe ich ganz unvernünftig in lauter ökologische Genossenschaften investiert, an denen ich selbst unternehmerisch beteiligt war. Das war portfoliotheoretischer Blödsinn, aber ich fand es richtig, weil ich genau diese Unternehmungen voranbringen will. Das sollte der Staat nicht nach dem Motto verbieten, unternehmerisch tätig werden darf nur der, der schon reich ist. Finanzmarkaktivitäten zur spaßbefreiten Zone zu machen, ist nicht Sache des Staates.
Große Kursausschläge gab es zuletzt auch beim Bitcoin. Der Bankenverband fordert eine starke Regulierung: „Währungen gehören unter staatliche Kontrolle und nicht in private Hände.“ Stimmen Sie dem zu?
Giegold: Grundsätzlich schon. Aber ist Bitcoin wirklich eine Währung? Die Blockchain als Technologie hinter den Kryptowährungen hat wirklich Potenzial. Aber der Energieverbrauch des Minings ist ökologischer Irrsinn. Da müssen wir uns etwas Schlaueres einfallen lassen. Wenn große Konzerne anfangen Währungen auszugeben, finde ich es hoch problematisch. Das sollten wir in Europa verbieten. Zudem wird Bitcoin leider für viele kriminelle Zahlungen missbraucht, weil man das Prinzip Know your Customer nicht anwenden kann. Da muss der Staat Anforderungen stellen.