Kolumne

Vermögensaufbau

Der doppelte Zinseszins

Jemand, der Geld auf dem Sparbuch hat, hofft heutzutage vergeblich auf Zinsen. Jemand, der Anleihen kauft, wird niemals erleben, dass der Anleiheemittent freiwillig den Zinssatz anhebt. Jemand, der in Immobilien investiert, kann nicht unbeschränkt die Mieten anheben. Wer jedoch in Aktien investiert, kann vom doppelten Zinseszins profitieren.

07.10.2021

Geld ist kein echter Cashflow genierender Vermögenswert

Geld ist nur ein auf Vertrauen basierendes Tauschmittel. Diese Tatsache bekamen Sparer schon immer zu spüren. Der Aufbau eines großen Vermögens oder das Erreichen von finanzieller Freiheit, einzig durch das Anhäufen von Geld auf dem Sparbuch war seit jeher ein bitteres Unterfangen. Auch die in der Vergangenheit geltenden Inflationsraten haben den Großteil der Sparbuchrendite aufgezehrt. Durch die aktuellen Negativzinsen und die Inflation hat sich diese Realität nur noch dramatisch verstärkt. Wer heute spart, verliert regelmäßig Geld – der Zinseszinseffekt ist negativ.

Kolumnenkasten von Gerhard Michel

Unternehmensanleiheinvestments taugen eher zum Kapitalerhalt

Wer Unternehmensanleihen quantitativ analysieren kann und in der Lage ist, das Zinsdeckungsverhältnis oder das Nettoumlaufvermögen eines Unternehmens zu berechnen, kann hin und wieder noch Anlagemöglichkeiten entdecken, die über der von der Europäischen Zentralbank (EZB) gewünschten Inflationsrate von zwei Prozent liegen und bei denen das Risiko in einem vernünftigen Verhältnis zur Rendite steht. Die Ankäufe von Staats- und Unternehmensanleihen durch die EZB haben jedoch die Preise vieler Unternehmensanleihen noch oben verzerrt. Im Bereich der europäischen Staatsanleihen gibt es praktisch keine Renditen über der angepeilten Inflationsrate. Selbst eine 13 Jahre laufende griechische Staatsanleihe rentiert aktuell nur bei rund 1,4 Prozent. Diese Tatsache ist vor allem für europäische Versicherungskonzerne schwer zu verdauen, da sie gezwungen sind, eine große Menge an Staatsanleihen im Portfolio zu halten. Der Zinssatz ist bei einem Anleiheinvestment jedoch festgeschrieben und auf eine Anhebung des Kupons wird ein Anleiheinvestor vergeblich warten. Der durch Cashflow erzeugte Zinseszinseffekt tritt bei Anleiheinvestoren – wenn überhaupt – nur beim Investierenden selbst auf – wenn er seine erhaltenen Kupons reinvestiert.

Investierende in Immobilien sind Regularien ausgesetzt

Vermieter von Immobilen sind in Deutschland nicht unbeschränkt in der Lage, die durch Cashflow erzeugte Rendite ihrer Wohnungen zu verbessern. Es gibt Regularien, die Mietanhebungszyklen und die maximale Höhe der Anhebung vorschreiben. Dies gilt auch bei Staffelmietverträgen. Dennoch haben Immobilieninvestoren zumindest die Möglichkeit, einen doppelten Zinseszins zu generieren, denn der Zinseszinseffekt kann für Immobilieninvestoren sowohl durch Reinvestition der Mieten als auch durch Mietanhebung erzeugt werden. Der Zinseszins kann somit beim Investierenden und innerhalb des Vermögenswertes stattfinden. Jedoch ist der durch Cashflow erzeugte Zinseszinseffekt innerhalb des Vermögenswertes Immobilie gedeckelt.

Illustration von Gerhard Michel
Gerhard Michel ist Investor und Finanzcoach. In Einzelcoachings, Seminaren und als Gastdozent vermittelt er die quantitative, fundamentale Aktien- / Unternehmensanalyse

Der Zinseszinseffekt ist innerhalb des Vermögenswertes Aktie nicht gedeckelt 

Aktieninvestoren sollten immer auch die Rendite auf ihr eingesetztes Kapital, unabhängig von Kursveränderungen, kennen. Ein Teil dieser Rendite kann Aktieninvestoren durch ausgeschüttete Dividenden zufließen. Aber auch wenn ein Unternehmen keine Dividende ausschüttet, fließt der Gewinn in das Eigenkapital und erhöht somit den Buchwert des Unternehmens. Mit diesem erhöhten Eigenkapital sollte das Unternehmen nun wiederum ertragreiche Investitionen eingehen, um die Rendite der Aktionärinnen und Aktionäre zu steigern. Es ist also, im Gegensatz zum Anleiheinvestment, gerade der Sinn eines Aktieninvestments, dass die Rendite mir der Zeit steigt und dieser Steigerung sind, im Gegensatz zum Immobilieninvestment, keine regulatorischen Grenzen gesetzt. Investierende in Aktien können somit unbeschränkt von einem doppelten Zinseszinseffekt profitieren. 

Zinseszins Nr. 1 entsteht durch die klassische Reinvestition, des am Aktienmarkt generierten Cashflows, durch die Investierenden selbst.

Zinseszins Nr. 2 wird durch die von den Unternehmen erwirtschaftete Ertragssteigerung innerhalb der Unternehmen erbracht.

Beide Zinseszinsarten bereichern und duplizieren sich im Idealfall bei einem langfristig agierenden Aktieninvestor gegenseitig. Voraussetzung ist, dass Aktieninvestierende in der Lage sind, unter anderem die Ertragskraft und die Rendite auf das eingesetzte Kapital zu berechnen, denn ohne ein Wissen um diese beiden Faktoren wird sich der doppelte Zinseszins nicht einstellen, und übrig bleibt nur eine Spekulation.