Bild zeigt ein unfertiges Haus; finanziert werden kann ein Bau per Bausparvertrag
09.12.2022    Stefan Heringer und Dr. Nikolaus Braun
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Eine Interessentin, nennen wir Sie Frau Müller, kam vor gut einem Jahr auf mich zu und bat um eine Analyse ihrer finanziellen Situation. Neben der erfreulichen Frage, wie sie mit der Liquidität aus dem erfolgreichen Verkauf ihres Unternehmens weiter vorgehen sollte, hatte sie noch diverse Altverträge – sprich finanzielle Jugendsünden – zur Bewertung dabei.

In Bezug auf ihre Versicherungen hatte sie selbst – völlig zu Recht – schon ein mulmiges Gefühl. Bei einer Anlageklasse hatte Frau Müller aber keinerlei Bedenken, nämlich bei ihren Bausparverträgen. Zitat: „Das ist wahrscheinlich das einzig Sinnvolle, das ich bisher gemacht habe!“ Kolumne Stefan Heringer und Dr. Nikolaus Braun

Wie funktioniert ein Bausparvertrag?

Diese Illusion musste ich ihr leider nehmen, denn das Gegenteil war der Fall. Ihre Versicherungen waren – ohne ins Detail zu gehen – gelinde gesagt eher suboptimal. Die größte Unverschämtheit aber waren in ihrem Fall definitiv die Bausparverträge.

In der ersten Phase spart der Bausparende ein gewisses Guthaben an, in der Regel 50 Prozent der sogenannten Bausparsumme. Ist dieses Guthaben erreicht und steht der Bausparkasse eine gewisse Zeit zur Verfügung, dann erhält der Sparer sein Guthaben zurück und die zweite Hälfte als zinsgünstiges Darlehen zur Verfügung gestellt.

Der Clou: Der Darlehenszins ist bereits von Anfang an festgelegt, egal, wie hoch (oder niedrig) die Zinsen später auch sein mögen. Klingt ja erst mal ganz gut. Doch schauen wir uns die Bausparverträge von Frau Müller jetzt einmal näher an.

Wie Frau Müller über den Tisch gezogen wurde

Illustration Stefan Heringer und Dr. Nikolaus Braun

Dr. Nikolaus Braun und Stefan Heringer sind die Gründer der Neunundvierzig Honorarberatung. Ihre Kernkompetenz ist die langfristige Begleitung Ihrer Mandanten rund um die Frage wie Vermögen Lebensqualität schaffen kann. Als Vermögensverwalter der Deutschen Wertpapiertreuhand stehen sie für finanzwissenschaftlich informierte Anlagestrategien. Braun ist zudem Autor des Finanzratgebers „Über Geld Nachdenken“

Frau Müller hatte sich verpflichtet, pro Vertrag jeweils 20 Euro monatlich zu sparen – mit dem Ziel, einmal 50.000 Euro von der Bausparkasse als Bausparsumme zu bekommen. Oops! So rein überschlägig gerechnet, dauert das dann aber vermutlich ziemlich lange, bis da mal die erforderlichen 25.000 Euro drin sind, damit der Vertrag zuteilungsreif wird – oder? Exakt: 94 Jahre – ja, das ist ziemlich lang.

Als wir Frau Müller kennenlernten, lief der Vertrag bereits 14 Jahre – seit 2007 – und es waren noch nicht einmal fünf Prozent der Bausparsumme erreicht. Bei Auszahlung des Darlehens wäre Frau Müller übrigens 123 Jahre alt gewesen. Ist das nicht ziemlich alt, um mit dem Bauen anzufangen? Ob es die Bausparkasse dann noch gibt, um die Enkel von Frau Müller zu unterstützen?

Und noch ein paar Zahlenspiele: Je nachdem, ob die Provision eher bei 1,0 Prozent oder 1,5 Prozent der Bausparsumme lag, hat Frau Müller die ersten zwei oder drei Jahre allein dafür benötigt, um die Kassen der Sparkasse direkt zu füllen, über die der Bausparvertrag läuft. Der Bausparzins auf ihr Guthaben von 1 Prozent ist da ein schwacher Trost: Im besten Fall dauert es 20 Jahre, bis diese Zinsen genauso hoch sind wie die gezahlte Abschlussprovision.

Aber warum macht der nette Sparkassenberater denn so etwas?

Die naheliegende und einfache Erklärung: Er hatte die Bausparsumme(n) massiv aufgebläht, um eine höhere Abschlussgebühr zu generieren.

Doch das ist noch nicht alles: Denn diesen Vertrag hat Frau Müller nicht einmal, sondern sage und schreibe mit exakt denselben Bedingungen viermal abgeschlossen. Viel hilft bekanntlich viel – es fragt sich nur wem? Anders gefragt: Wie kommen solche völlig aberwitzigen Empfehlungen von Beraterinnen und Beratern zustande?

Vertriebsvorgaben und Druck führen zu völlig falschen Empfehlungen

Dazu muss man wissen, wie die Vertriebsmaschinerie bei Finanzunternehmen funktioniert. Zum einen gibt es in der Regel Volumenziele für bestimmte Produkte. Je höher ein Vertragsabschluss, umso höher ist schließlich auch die einmalige Abschlussgebühr und die laufende Provision.

Zum anderen gibt es aber auch immer wieder Vorgaben zu Stückzahlen. Damit ist es für einen Verkäufer – und nur für ihn – oftmals sinnvoll, Verträge möglichst kleinteilig zu stückeln.

Im Fall von Frau Müller hat der Verkäufer beide Punkte in seinem Sinne optimal ausgenutzt. Er hat gleich vier Verträge abgeschlossen und auch noch bei jedem Vertrag das Volumen völlig am Kundeninteresse vorbei aufgebläht. Damit hat er wahrscheinlich seine persönlichen Monats- oder sogar Quartalsziele mit einer einzigen bedauernswerten Kundin erreicht – und durch diesen zweiten Killer-Move die jährlichen Kontoführungsgebühren ohne Not vervierfacht. Gut, bei dem Unsinn kommt es auf diesen Schaden fast nicht mehr an.

Reden Sie lieber mit einem Honorarberater

Was sollten Sie nun daraus lernen?

  • Bevor Sie etwas unterschreiben, holen Sie einen Taschenrechner raus und prüfen Sie, ob die Zahlen irgendwie zusammenpassen.
  • Wann immer ein Verkäufer Ihnen schmackhaft macht, gleich mehrere Verträge zu einem spezifischen Thema abzuschließen, sollten Sie vorsichtig werden.
  • Ebenso sollten Sie hellhörig werden, wenn man Ihnen nahelegt, gerade am Anfang eine Zeit lang höhere Sparraten zu leisten, als Sie dauerhaft leisten können oder wollen.

Das sind gute Indikatoren für massive Fehlanreize bei Verkäufern durch Vertriebsvorgaben oder zur Provisionsoptimierung. Am besten ist es, Sie machen um Finanzberater und Banker sowie um Provisionsberater einen großen Bogen. Ein unabhängiger Honorarberater wird Ihnen nur im Ausnahmefall einen Bausparvertrag empfehlen; im Regelfall ist das Produkt weitgehend unnötig bis schädlich. Bestehende Verträge sollten Sie bitte durch einen unabhängigen Honorarberater überprüfen lassen.

Ihr Stefan Heringer und Nikolaus Braun

PS.: Mehr zum Thema rationale Anlagestrategien, Strategien zum Vermögensaufbau, aber auch dazu, wie Ihr Umgang mit Geld Sie glücklicher machen kann, finden Sie im Blog der Neunundvierzig Honorarberatungund in Nikolaus Brauns Finanzratgeber „Über Geld nachdenken“.

Drei unserer Lieblingsblogs zum Irrsinn im Provisionsvertrieb:

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09.12.2022    Stefan Heringer und Dr. Nikolaus Braun
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