Auswirkungen der US-Wahl auf die Wirtschaft

Die Wall Street und das Weiße Haus

Gespannt warten Anleger auf das Ergebnis der US-Präsidentschaftswahl am 3. November. Der Grund: Amtsinhaber Donald Trump und Herausforderer Joe Biden haben unterschiedliche Vorstellungen davon, welche Wirtschaftszweige gefördert werden sollten. Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei der Investmentgesellschaft J.P. Morgan in Frankfurt, schlüsselt auf, wie sich ein Wahlsieg Bidens auf die Märkte niederschlagen könnte. Und er erklärt, welches Szenario der Worst Case für die Börsen wäre.

31.10.2020

Tilmann Galler

ist Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management. Zuvor war er bei UBS Global Asset Management tätig

Würden die US-Börsen von einem Regierungswechsel profitieren?

Tilmann Galler: Diese Frage wird zwar häufig gestellt. Ein Vergleich der politischen Vorschläge beider Parteien zeigt jedoch, dass die Gesamtauswirkung tatsächlich eher auf sektoraler Ebene zu erwarten sein dürfte, weniger auf den gesamten Aktienmarkt. In ihren Vorschlägen zur Körperschaftsteuer unterscheiden sich die Parteien am deutlichsten. Bei anderen Themen, etwa dem Handelsstreit mit China, scheinen sie stärker übereinzustimmen.

Wie würden sich Steuererhöhungen, wie sie von Biden geplant sind, auf die US-Wirtschaft auswirken?

Galler: Bidens Vorschläge zur Erhöhung der Unternehmenssteuern sind zwar weniger drastisch als von den anderen demokratischen Kandidaten Bernie Sanders oder Elizabeth Warren gefordert, stehen aber derzeit im Fokus der Aufmerksamkeit. Dieses Thema hat erhebliche Auswirkungen auf die Aussichten für Unternehmensgewinne. Diese waren durch Donald Trumps Senkung des Körperschaftsteuersatzes von 35 Prozent auf 21 Prozent im Jahr 2018 um geschätzte acht bis zehn Prozent gestiegen. Ich glaube aber, dass Steuererhöhungen bei einem Sieg der Demokraten im November angesichts der Schwäche der US-Wirtschaft kurzfristig nicht ganz oben auf der Tagesordnung stehen werden. Andererseits muss Biden sein Konjunkturprogramm finanzieren – und dieses hätte wiederum einen positiven Einfluss. In der Summe sind die wirtschaftlichen Auswirkungen weder eindeutig negativ noch positiv zu werten.

Wo könnte sich ein Regierungswechsel denn positiv auswirken?

Galler: Das wäre sicherlich der Fall bei Branchen, die von dem Zwei-Billionen-Programm für Investitionen in nachhaltige Infrastruktur profitieren können – also Unternehmen aus den Bereichen Energieversorgung, Elektromobilität, öffentliche Verkehrsmittel, Haus- und Straßenbau.

Und im Gesundheitswesen?

Galler: Auch wenn dies nicht Bidens Hauptaugenmerk ist, liegen seine Prioritäten in der erneuten Stärkung von Obamacare, dem Affordable Care Act, sowie in Maßnahmen zur Verringerung der Zahl der nicht- und unterversicherten Bürger. Mehr Menschen mit guter Versicherung bedeuteten einen positiver Einfluss auf den Sektor. Das Ziel ließe sich auch erreichen, ohne dass Biden seine umstrittenen Vorschläge verwirklicht: eine Public Option, also ein breites staatliches Versicherungsangebot.

Wie steht Biden zu Öl und Gas?

Galler: Tatsächlich wäre ein Wahlsieg Bidens wahrscheinlich deutlich negativ für den Energiesektor. Sein Plan ist es schließlich, die Abkehr von fossilen Brennstoffen hin zu erneuerbaren Energien zu beschleunigen. Das zöge eine strukturelle Verschiebung der Energienachfrage und der Investitionen nach sich. Prioritäten bei fossilen Energieunternehmen sind neben höheren Körperschaftsteuersätzen beispielsweise höhere Hürden für Infrastrukturgenehmigungen und die Einschränkung von Bohrungsgenehmigungen. Dagegen könnten Unternehmen aus dem Wind- und Solarenergiebereich sowie Hersteller von Batterien mit Steuervorteilen rechnen. Offshore-Windenergie ist ein aufstrebender Sektor in den USA, an dessen Wachstum aber auch viele internationale Unternehmen teilhaben möchten.

Was glauben Sie: Wie reagieren die Börsen, falls Trump wiedergewählt wird?

Galler: Ein großer Fehler für Investoren wäre es, dem Wahlausgang eine zu große Bedeutung für den Aktienmarkt beizumessen. Während es für einzelne Wirtschaftsbereiche wie beschrieben durchaus Veränderungen bringen kann, sind die Effekte für den Gesamtmarkt eher moderat. Das größte Risiko wäre sicherlich, wenn aufgrund von Schwierigkeiten bei der Auszählung am 4. November kein eindeutiger, unumstrittener Gewinner feststehen würde – ähnlich wie bei der Wahl von George W. Bush im Jahr 2000. Diese Unsicherheit könnte zu erheblichen Turbulenzen an den Märkten führen.