Helge Lach DVAG
16.10.2020
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Helge Lach DVAG

Dr. Helge Lach

verantwortet im Vorstand der Deutschen Vermögensberatung die Themen Markt und Regulierung, Verbände sowie Zentrum für Vermögens­beratung

Als Vorstandsmitglied der Deutschen Vermögensberatung stehen Sie für die persönliche Beratung von Bürgern und Unternehmen in Finanzfragen. Ist Bürokratie ein Reizthema für Sie?

Helge Lach: Leider ja. Ich stelle die Behauptung auf, dass gerade unser Geschäft eines der am meisten betroffenen ist. Und zwar in doppelter Hinsicht: Erstens brauchen Bürger und Unternehmen einen Vermögensberater gerade deshalb, weil es so viel Bürokratie gibt. Unsere Aufgabe ist es, das in eine verständliche Sprache zu übersetzen und für den Kunden das herauszufiltern, was wichtig ist. Und zweitens wird der Berufsstand des Beraters in der Finanzbranche selbst durch bürokratische Hürden und Regulierung immer schwerer ausübbar. Das ist sicherlich auch einer der Gründe, weshalb die Zahlen der Vermittler am Markt seit Jahren schrumpfen. Wer eben nicht wie unsere Vermögensberater auf den Rückhalt und die Unterstützung einer starken Servicegesellschaft zählen kann, hat am Ende kaum noch Zeit für das eigentliche Kerngeschäft.

Bleiben wir bei Ihren Kunden. Haben Sie Beispiele?

Lach: Die Einführung der Datenschutz-Grundverordnung ist noch nicht lange her. Sie hat sicherlich im Ansatz auch Gutes, aber am Ende hat sie in der gesamten Bevölkerung und in der Wirtschaft nur noch Kopfschütteln verursacht. Ein zweites Beispiel: Es gibt über 16 Millionen Menschen in Deutschland, die eine Riester-Rente abgeschlossen haben. Für den Abschluss sind am Ende fünf Unterschriften notwendig, und wir müssen unseren Kunden dann über 50 Seiten Papier aushändigen. Hier schlägt Verbraucherschutz in Überregulierung um – und das letztlich zum Nachteil des Kunden. Aber noch schlimmer ist, dass rund die ­Hälfte aller Riester-Sparer trotz Anspruch nicht die volle Riester-Zulage bekommt, weil das Verfahren so kompliziert ist. Das Ziel muss sein, das System einfacher und nicht noch komplexer zu machen. Diesen Wunsch hören wir auch immer wieder in Beratungsgesprächen.

Apropos Politik: Sie sind im Vorstand des Unternehmens auch für die politische Arbeit zuständig. Wie erleben Sie dabei die Diskussionen über Bürokratie?

Lach: Klare Aussage: Kein Politiker, egal welcher Partei, ist nicht davon überzeugt, dass wir viel zu viel Bürokratie haben und die Chancen der Digitalisierung nicht ausreichend nutzen. Versprechen, das zu ändern, gibt es viele. Die Realität ist aber dann eine ganz andere: Es wird nicht weniger, sondern mehr.

Worauf spielen Sie konkret an?

Lach: Vorneweg will ich betonen, dass nicht jede gesetzliche Regel per se schlecht ist. Wenn staatliche Regulierung dazu beiträgt, die Interessen des Kunden zu stärken, ist das gut. Wir begrüßen es zum Beispiel ausdrücklich, dass heute nicht mehr jeder einfach zur Geldanlage beraten darf. Wer das will, benötigt eine Zulassung und muss eine entsprechende Qualifikation nachweisen. Die Einführung dieser Regelungen hat dazu geführt, dass viele schwarze Schafe vom Markt verschwunden sind. Seriöse Berater wie unsere Vermögensberater mit hoher Qualifikation haben profitiert. Außerdem kann Regulierung auch eine Chance sein: Im Mai beispielsweise haben wir uns als erster und bisher einziger Finanzdienstleister einem Check zur Insurance Distribution Directive unterzogen und ein durchweg positives Prüfungsurteil bekommen. Leider gibt es aber auch andere Beispiele. Seit dem 1. August 2020 trifft unsere Berater und Kunden unter anderem eine neue Regelung, nach der jede telefonische Beratung zur Geldanlage aufgezeichnet werden und die Aufzeichnung zehn Jahre aufbewahrt werden muss. Was sich als Idee gut anhört, wurde völlig praxisfremd umgesetzt. So muss auch dann aufgezeichnet werden, wenn gar kein Geschäft zustande kommt oder der Kunde eine Aufzeichnung ausdrücklich nicht wünscht. Eine echte Herausforderung für die telefonische Beratung, die üblicherweise einen Anteil von weit über 50 Prozent hat.

Wie gehen Ihre Berater und die Kunden damit um?

Lach: Allein wegen der Haftungsrisiken, aber auch wegen des völlig unverhältnismäßigen Aufwands geben teilweise unsere Berater am Telefon keine Auskunft mehr. Die Kunden verstehen das überhaupt nicht, ein Verzicht wäre aber Rechtsbruch. Die Regelung ist deshalb auch eine Bevormundung. Für den Berater macht es das doppelt schwer. Einerseits kann er den Kundenwünschen nicht nachkommen, und andererseits muss er das Ganze zusätzlich technisch umsetzen. Dass dies alles am Ende nicht gerade geschäftsfördernd ist, versteht sich von selbst. Wir bieten unseren Vermögensberatern zwar Schulungen und die technologische Infrastruktur an. Aber der Mehraufwand ist erheblich.

Bräuchte es – angesichts der in der Coronazeit ge­machten Erfahrungen – nicht eher Lockerungen?

Lach: Wäre die erwähnte Regelung nicht erst am 1. August, sondern beispielsweise schon am 1. April in Kraft getreten, wäre das im Lockdown wirklich eine echte Katastrophe geworden. Viele Kunden hatten wegen der Börsenturbulenzen dringliche Fragen zu ihren Geldanlagen. Aber persönliche Besuche waren nicht möglich, sogar verboten. Also musste telefoniert werden. Das war die einzige Möglichkeit, den Kunden zu helfen, zumal auch digitale Kommunikation per Chat aufgezeichnet werden muss.

Ist das deutsche Gründlichkeit oder ein EU-Phänomen?

Lach: Gerade in der Finanzbranche kommt viel Regulierung aus Brüssel; das sind Spätfolgen der Finanzkrise. Es gibt viele Fälle, in denen die deutsche Politik dann sogar noch über das von der EU vorgegebene Regulierungsmaß hinausgeht. Man macht es dem Unternehmen damit schwerer, als es sein müsste. Dabei wird vergessen, dass dies nicht nur die Wirtschaft über die Maßen belastet, sondern auch zu Wettbewerbsnachteilen deutscher Unternehmen im inter­nationalen Vergleich führen kann. 

Bürokratie lässt uns also den Anschluss verlieren?

Lach: Das ist die Gefahr. Regulierung und Bürokratie können Wachstum, Innovation und Motivation hemmen. Haben wir im Vergleich zu anderen Ländern zu viel davon – und das ist der Fall –, laufen uns die anderen davon. Weg von der Bürokratie und vom Papier hin zu durchgängig digitalen Prozessen: Das ist die Heraus­forderung, für deren Bewältigung wir Rahmenbedingungen seitens der Politik benötigen. Nicht umsonst sitzen fast alle Global Player der Tech-Branche in den USA.

Was müsste denn Ihrer Ansicht nach geschehen?

Lach: Die Politik redet über Entbürokratisierung, macht aber das Gegenteil. Wer heute einen neuen Personalausweis benötigt, muss manchmal wochenlang warten und mindestens zweimal zum Amt. Das ist Steinzeit. Wie wäre es, wenn in der nächsten Bundesregierung jedes Ministerium durch Beschluss der Bundesregierung im Jahr mindestens drei nennenswerte Digitalisierungsprojekte umsetzen müsste – zum Beispiel in der Bildung, im Bereich Steuern, im Gesund­heitswesen. Das wäre in jedem Fall eine positive Form der Regulierung.

16.10.2020
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