1700 Prozent plus innerhalb von wenigen Wochen – wer hätte so eine Kursrakete nicht gern in seinem Depot? Ganz ähnlich dürften viele Menschen gedacht haben, als sie in ihrem Homeoffice die Schlagzeilen über den Gamestop-Hype lasen. Die Aktie des US-Videospielhändlers geriet zuletzt ins Zentrum eines Schlagabtauschs zwischen Kleinanlegern auf der einen und Hedgefondsmanagern auf der anderen Seite. Während die Profiinvestoren auf einen Kursverfall wetteten, verabredeten sich unzählige Privatanleger auf Social-Media-Kanälen wie Reddit und hielten mit Aktienkäufen über Trading-Apps wie Robinhood oder Trade Republic dagegen.
Das Resultat: Ein bis dato beispielloser Sieg der Kleinanleger-Crowd. Sie zwangen die involvierten Hedgefonds sogar zu Notkäufen, was die Gamestop-Aktie noch weiter in den Himmel katapultierte. Doch der Jubel hielt nicht lang, der Kurs fiel wie ein Stein und schlägt seitdem wilde Kapriolen. Ähnlich wild ging es zuletzt auch beim Bitcoin zu. Der Wert der Kryptowährung versechsfachte sich innerhalb eines Jahres – befeuert auch durch massive Käufe und Tweets von Tesla-Chef Elon Musk – und lag Ende Februar bei knapp 48.000 Euro. Anschließend sackte der Kurs in nicht mal einer Woche um 10.000 Euro ab.
Sind die Finanzmärkte also völlig außer Rand und Band? Haben momentan Daytrader Oberwasser, die mit vielen Käufen und Verkäufen schnellen Reibach machen wollen? Sorgt die „Reddit-Army“ – also die Armee von Kleinanlegern, die sogar Hedgefonds austrickst – für einen neuen Börsenhype?
Mehr Anleger als bei der New Economy
Zumindest mehren sich die Indizien, dass sich auch hierzulande mehr Menschen an die Börse trauen. Einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungs-Start-ups Civey zu Folge haben zwischen vier und 7,5 Millionen Deutsche im vergangenen Jahr zum ersten Mal in Fonds, ETFs oder Aktien investiert. Damit könnten aktuell mehr Menschen am Kapitalmarkt aktiv sein als zu Zeiten der New Economy. Hinzu kommen hohe Neuanmeldungen bei Trading-Apps wie Trade Republic oder der Kryptobörse Bitpanda.
Dass die Spekulanten auf Dauer erfolgreich sind, bezweifeln jedoch viele Experten. Microsoft-Gründer Bill Gates beispielsweise warnte in einem Bloomberg-Interview vor Bitcoin-Käufen: „Wenn Sie weniger Geld als Elon (Musk) haben, sollten Sie besser aufpassen.“ Ganz ähnlich sehen es auch die Experten der DUB DIGITAL WEEK. „Grundsätzlich ist es ein positiver Trend, dass mehr Menschen am Aktienmarkt aktiv sind. Aber die Gründe dahinter sind zweifelhaft“, sagt Ufuk Boydak. Der Vorstandsvorsitzende und Gesellschafter der Fondsgesellschaft Loys ist sich sicher: „Die Zocker werden Lehrgeld zahlen.“.
Astronomische Erwartungen sind nicht zu halten
„Der Fall Gamestop hat Erwartungen geweckt, die auf Dauer nicht zu halten sind“, kritisiert Carsten Roemheld, Kapitalmarktstratege bei der US-Investmentgesellschaft Fidelity. „Ich hoffe sehr, dass die neuen Anleger länger an Bord bleiben. Das hängt aber stark von der weiteren Entwicklung an den Kapitalmärkten ab.“ Für Roemheld sind Aktien auf lange Sicht alternativlos, auch bei steigender Inflation.
Inflation – noch so ein Reizwort für Investoren. Nachdem sich zu Beginn des Jahres die Hausse von 2020 nahtlos fortsetzte, sorgt die Erwartung steigender Preise für Unsicherheit an der Börse. Nach Jahren der Stagnation stieg die Inflationsrate in der Euro-Zone im Januar um 0,9 Prozent. In Deutschland legten die Verbraucherpreise sogar von minus 0,7 auf plus 1,6 Prozent zu. Investoren gehen davon aus, dass die anziehende Inflation mit einer Konjunkturerholung einhergeht.
Dem scharfen Einbruch durch die Coronakrise könnte also ein kräftiger Aufschwung folgen. „In der Krise haben nicht nur die Notenbanken, sondern auch die Politik sehr schnell gegengesteuert“, erklärt Henrik Muhle, Vorstand der Fondsgesellschaft Gané im Live-Talk. „Der fiskalische Impuls war wichtig, um Nachfrageausfälle bei den besonders von der Pandemie betroffenen Branchen abzufedern“, sagt Fidelity-Stratege Roemheld. Das beherzte Eingreifen habe jedoch bei Investoren die Erwartung immer weiterer Stimuli geschürt – und zugleich ein „trügerisches Gefühl“ hinterlassen.
Raus aus Wachstumswerten, rein in Value-Aktien
Ablesen lassen sich die gestiegenen Inflationserwartungen zum einen an den Anleihemärkten: Die Renditen von Staatsanleihen aus den USA, Deutschland und Großbritannien zogen an. Spiegelbildlich sind ihre Kurse gefallen, weil ihre realen Zinsen bei zunehmender Inflation zurückgehen und sie damit an Attraktivität verlieren. „Diese Liquiditätsschwemme hat es so noch nie gegeben. Die Rettungsgelder in den USA könnten für mehr Nachfrage bei reduzierten Produktionskapazitäten sorgen. Wenn am langen Ende die Zinsen steigen, werden die Notenbanken auf die Probe gestellt“, so Roemheld. Sollten die Währungshüter tatsächlich die Zinsen anheben, fürchten Marktbeobachter eine Korrektur am Aktienmarkt.
Dort ließ sich bereits ein Favoritenwechsel beobachten. „Wachstumsaktien wie die großen Tech-Titel waren bereits sehr hoch bewertet. Bei Value-Aktien, die tendenziell von einem Aufschwung profitieren, waren die Bewertungen akzeptabel. Insofern verwundert ein Umdenken der Investoren nicht“, sagt Valerie Schüler, Fondsmanagerin des DWS Small/Mid Cap.
Schlägt jetzt die Stunde der aktiven Manager?
Die Nebenwerte-Expertin versucht, das Fondsportfolio durch eine Diversifizierung über verschiedene Geschäftsmodelle gegen Krisen abzusichern. „Es bedeutet eine Menge Arbeit, die Ineffizienzen bei kleineren Aktien auszunutzen. Man braucht mehr Ressourcen, um den Markt auszuperformen“, erklärt Schüler. Aus ihrer Sicht stehen die Chancen dafür gut. 2021 dürfte ohnehin eher das Jahr der Stockpicker werden, da sind sich die Experten bei der DUB DIGITAL WEEK einig. „Die Pandemie war hoffentlich ein Jahrhundert-Ereignis. Ich kann mir nicht vorstellen, dass 2021 anspruchsvoller wird als 2020“, sagt Loys-Chef Boydak. Fidelity-Stratege Roemheld bestätigt: „Auf dem Indexlevel sind keine riesigen Zuwächse mehr zu erwarten. Jetzt schlägt die Stunde der aktiven Manager.“
Vor Überraschungen ist jedoch niemand gefeit. Gané-Vorstand Muhle: „Die einzige Konstante ist: Das, was einem die Suppe versalzt, ist nicht das, womit man Anfang des Jahres rechnet.“