Diskurs: Bekommen wir mit KI das Arbeitskräfteproblem in den Griff?

FACHKRÄFTEMANGEL Viele Menschen haben Angst vor Künstlicher Intelligenz (KI) – etwa davor, dass sie den eigenen Arbeitsplatz obsolet macht. Doch ist KI wirklich ein Grund für Ängste? Ein Gespräch zwischen DUP-Herausgeberin Brigitte Zypries und Ulrich Leitermann, dem Vorsitzenden der Vorstände der Signal Iduna Gruppe.

Netzwerkgehirn mit Digitaler Struktur

21.10.2024

Das Gespräch macht deutlich, wie ein zukunftsorientiertes Unternehmen den Mittelweg finden will: Es gilt auf der einen Seite, die Chancen von KI zu nutzen, aber dabei die Belegschaft mitzunehmen. Ulrich Leitermann nimmt die Sorgen der Beschäftigten ernst und arbeitet eng mit dem Betriebsrat zusammen.

Brigitte Zypries: Ihr Unternehmen existiert seit über hundert Jahren, und die Signal Iduna musste sich schon mehrfach neu erfinden. Nun gibt es sehr viele Menschen, die sich Sorgen machen, dass die KI ihre Arbeitsplätze wegrationalisiert. Wie sehen Sie das, und wie gehen Sie in Ihrem Unternehmen damit um?

Ulrich Leitermann: In der Tat ist das ein großes Thema für die Mitarbeitenden, weil natürlich die Me- dien auch immer wieder signalisieren, Künstliche Intelligenz schaffe Arbeitsplätze ab. Ich glaube, man kann und muss den Menschen diese Sorge nehmen. Erstens ist es ja nicht so, dass sich KI in Unternehmen mit einem Fingerschnippen einführen lässt. Zweitens fehlen uns aufgrund der demografischen Entwicklung tendenziell immer mehr Arbeitskräfte.

Gibt es Vereinbarungen mit dem Betriebsrat, oder wie haben Sie das geregelt?

Leitermann: Soweit ich weiß, sind wir eines der ersten Unternehmen, die eine Betriebsvereinbarung zu Künstlicher Intelligenz mit den Betriebsräten abgeschlossen haben. Sie gibt über einen Zeitraum von fünf Jahren die Sicherheit, dass wir keine Arbeitsplätze abbauen, weil dort in irgendeiner Form KI zum Einsatz kommt. Darüber hinaus stellen wir den Mitarbeitenden Tools zur Verfügung, mit denen sie den Umgang mit KI in einem geschützten Rahmen üben können. So gelangen diese ersten „Gehversuche“ gar nicht erst ins öffentliche Netz.

Das Thema diskutieren wir auch innerhalb der Justiz, wo Personal fehlt und KI sehr nützlich wäre, um die Arbeit noch zu bewältigen. Angesichts des Mangels an Juristinnen und Juristen werden wir meines Er- achtens die Aufgaben ohne KI nicht in einer dem Rechtsstaat angemessenen Zeit erledigen können. Wie ist die Situation bei Ihnen im Unternehmen?

Leitermann: Bei uns geht in den nächsten zehn Jahren die Hälfte der Beschäftigten im Innendienst im In- land in den Ruhestand, aber die anfallende Arbeit wird nicht geringer. Wir sind ein wachsendes Unternehmen. Die Arbeitswelt wird sich natürlich verändern, es werden andere Anforderungsprofile entstehen. Es werden sicherlich auch Arbeitsplätze an anderer Stelle als bisher entstehen. Kombiniert mit KI, glaube ich, bekommt man das Arbeitskräfteproblem gut in den Griff.

Es gibt ja ganz unterschiedliche Anwendungen von KI. An welchen Stellen setzen Sie bei der Signal Iduna diese Technologien bereits ein?

Leitermann: Das Thema KI beschäftigt uns nicht erst seit ein oder zwei Jahren, sondern schon länger. Sogenannte prädiktive KI, die versicherungsmathematische Vorhersagen machen kann, haben wir seit Längerem im Einsatz. Denn gerade im Versicherungsbereich geht es darum, große Datenmengen zu analysieren und Risikomodelle sowie Prognosemodelle zu erstellen. Im Moment sind wir dabei, einen „Wissensassistenten“ für unsere Mitarbeitenden in der Krankenversicherung einzuführen. Als großer privater Krankenversicherer haben wir mehr als tausend Tarife im Bestand. Viele davon bieten wir heute nicht mehr im Neugeschäft an, aber wir müssen alle Tarife so lange im Bestand halten und pflegen, wie es in dem Tarif noch einen Versicherten gibt. In einem Pilotverfahren haben wir in den vergangenen Monaten die KI darauf trainiert, unseren Mitarbeitenden jederzeit die Informationen zum jeweils richtigen Tarif bereitzustellen.

"Mit KI bekommen wir das Arbeitskräfteproblem in den Griff"

Jüngst trat eine Verordnung der Europäischen Union in Kraft, der sogenannte AI Act. Wie beurteilen Sie diese Regelungen der EU?

Leitermann: Wenn es um Gesundheitsdaten geht, ist die Regulierung besonders scharf, was man ein Stück weit auch nachvollziehen kann. Ich würde mir aber ein wenig mehr Vertrauen in die Unternehmen wünschen. Unser Unternehmen ist über hundert Jahre alt und hat ebenso lange mit Gesundheitsdaten von Kunden zu tun. Der Schutz der Daten hat bei uns höchste Priorität. Es ist für uns essenziell, diese Daten zu schützen! Daher sagen wir: Lasst uns doch erst einmal schauen, in welchen Bereichen KI intern eingesetzt wird und welche Auswirkungen das hat, anstatt eine mögliche Innovation durch KI von vornherein mit Regulierungen zu zerstören! Und ich würde mir wünschen, dass europäische Verordnungen auch überall in der EU auf die gleiche Weise angewandt werden. Da gibt es unterschiedliche Interpretationen.

Gibt es einen Ratschlag zum Umgang mit KI, den Sie Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geben?

Leitermann: Man kann nur immer wieder appellieren: Bei allem, was ihr mit Künstlicher Intelligenz macht – lasst nicht die Maschinen entscheiden, sondern am Ende immer den Menschen! Die KI kann hel- fen, Entscheidungen vorzubereiten, indem sie Informationen effizienter aufbereitet als der Mensch. Sie kann Entscheidungen am Ende des Tages auch besser machen, weil sie auf einer breiteren Wissensgrundla- ge basieren. Aber bitte, am Ende zählt der gesunde Menschenverstand!

Wenn die Maschinen uns steuern, dann haben wir endgültig verspielt. Vermutlich sind es einige wenige Unternehmen, die uns dann manipulieren und über uns entscheiden könnten. Denken Sie, dass wir bei unserer digitalen Infrastruktur und insbesondere bei KI von den Amerikanern abhängig sind?

Leitermann: Ja, natürlich, im Moment. Welche Tools wenden wir denn an? Gemini von Google, ChatGPT von OpenAI. Das sind amerikanische Unternehmen. Aber ich blicke optimistisch nach vorn und sehe da zum Beispiel Aleph Alpha, das nicht zuletzt von der Schwarz Gruppe stark unterstützt wird.

Was müssen wir in Deutschland machen, damit wir uns aus der Abhängigkeit ein wenig lösen?

Leitermann: Es ist sicherlich wichtig, dass alle Serverfarmen, auf denen unsere Daten liegen, in Deutsch- land oder in Europa stehen. Da passiert schon eine ganze Menge. Und man muss unsere KI-Unternehmen unterstützen, indem wir ihre Anwendungen dann auch nutzen. Ich glaube, das gehört mit dazu, wenn wir eine gewisse nationale Souveränität oder gleich eine europaweite Souveränität anstreben. „Europe first!“, könnte man sagen.

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Brigitte Zypries

Die ehemalige Bundeswirtschaftsministerin ist Herausgeberin des DUP UNTERNEHMER- Magazins