Einhörner existieren längst nicht mehr nur in Fantasiewelten. Die boomende Startup-Szene hat sie schon vor Jahren real werden lassen. Gemeint sind Startups mit einer Marktbewertung von über einer Milliarde US-Dollar vor Börseneintritt. Sie werden als Innovationstreiber gehypt und sind die großen Hoffnungsträger der internationalen Wirtschaftswelt. So wird die Einhorn-Dichte oft zur Messlatte, wenn es um den Innovationsgrad eines Wirtschaftsstandortes geht.
Ein Vergleich: In Deutschland standen wir laut Startup Monitor 2023 bei insgesamt 33 Einhörnern. Gegenüber Israel (über 90) und den USA (über 700) sind wir also deutlich im Rückstand. Warum die deutsche Gründungsszene im internationalen Ranking so abgeschlagen wirkt? Das Investitionsvolumen ist vergleichsweise gering, die bürokratischen Hürden hingegen hoch. Das bremst den Innovationsschub. Einerseits, weil es kluge Köpfe von der Gründung abschreckt; andererseits, weil internationale Einhörner nicht in den deutschen Markt einsteigen.
Großes Potential, viele Hürden bei der Startup-Förderung
Dabei gäbe es hierzulande eine Menge Potenzial, findet auch Dr. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse (TK). Die TK beobachtet natürlich insbesondere Gründungen im Gesundheitsbereich. „Wir würden als Krankenkasse gerne mehr in Startups mit innovativen Gesundheitslösungen investieren, aber die bestehende Gesetzgebung macht uns das quasi unmöglich“, sagte er kürzlich auf einem „Tagesspiegel“-Fachforum in Berlin. Im Rahmen ihrer aktuellen Möglichkeiten hat die TK etwa mit „SocialPizza“ oder dem „TK-InnovationsPortal“ die Startup-Förderung bereits in ihr Geschäftskonzept integriert. Aber es könnte noch viel weitergehen. „Wir als Krankenkasse wären ein idealer Investor, da wir in erster Linie die Versorgung verbessern wollen und nicht auf eine möglichst hohe Rendite aus sind“, so Baas weiter.
Was muss sich also ändern, damit die deutsche Gründungsszene wettbewerbsfähig bleibt? Eine der größten Hürden ist und bleibt die Bürokratie. Das bestätigt auch der Bundesverband Deutsche Startups: Laut einer Mitgliederberfragung identifizieren 88 Prozent der Gründerinnen und Gründer die Bürokratie als Hauptproblem bei der Unternehmensgründung. Es braucht also Innovationen in der Regulatorik. Denn neue Technologien verlangen nach neuen Sichtweisen.
Innovative Startups gegen veraltetes System
Hier hat sich in den letzten Jahren schon viel getan – auch im Gesundheitswesen. Zukunftsdatenforschungsgesetz, elektronische Patientenakte und E-Rezept erleichtern den Umgang mit medizinischen Daten. Das allein führt aber noch nicht zum Ziel. Wichtig ist vor allem eine konstante und klare Linie. „Nur wenn wir den aktuellen Weg weiterführen, können sich Startups sowie Investmentgesellschaften darauf verlassen, dass Förderungen und Regulierungen auf längere Zeit bestehen bleiben“, betonte in Berlin Dr. Tina Klüwer, Abteilungsleiterin im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). „Wir müssen zudem von innen heraus an Geschwindigkeit zulegen. Etwa mit unserem neuen Projektprogramm, das uns ermöglicht, Anträge für Forschungsprojekte zwischen Unternehmen und Universitäten innerhalb von vier Monaten zu bewilligen“, so Klüwer weiter.
Die zweite große Hürde ist das Thema Datenschutz, der hierzulande bekanntlich sehr restriktiv ausgelegt wird. „Gesundheitsdaten sind besonders schützenswert. Wir müssen aber eine sinnvolle Abwägung zwischen hohem Schutz und Nutzbarkeit finden. Dabei sollten wir auch immer die Standards der analogen Welt im Auge behalten, was uns beim Thema Banking ja auch gelungen ist“, vergleicht Baas. So könnte unsere Datensicherheit laut dem TK-Chef sogar zum Wettbewerbsvorteil werden. Und zwar, wenn wir innovative Produkte auf den Markt brächten, basierend auf vertrauenswürdigen Daten und deren sicherer Verarbeitung.
Sonderfall Gesundheitssystem
Im Gesundheitssektor gibt es für die Startup-Förderung neben Regulatorik und Datenschutz noch eine zusätzliche Problematik. Diese betrifft das System selbst, das in vielen Teilen die Strukturen aus dem letzten Jahrhundert geerbt hat. So zum Beispiel in Krankenhäusern: „Bis auf ein paar wenige Ausnahmen würde ein Arzt von vor 100 Jahren fast alle Abteilungen wiedererkennen“, erklärte Prof. Ariel Stern vom Digital-Health-Cluster des Hasso-Plattner-Instituts (HPI) dem „Tagesspiegel“. Das System funktioniere zwar, aber es sei in weiten Teilen nicht mit den neuesten Technologien vereinbar. Das erschwert gerade Digital Health Startups oft den Zugang.
Darüber hinaus ist das deutsche Gesundheitswesen sehr komplex – etwa die Beantragung einer digitalen Gesundheitsanwendung (DiGA) oder die Abrechnung von Gesundheitsleistungen, wenn die Solidargemeinschaft für die Kosten aufkommen soll. „Eine Innovation darf sich nicht nur gut verkaufen, sie muss mehr als in anderen Bereichen einen klaren Nutzennachweis bringen“, so Baas. Auch dauert es aufgrund langer Vorlaufzeiten für Forschung und Entwicklung sowie den strengeren Vorschriften wesentlich länger, bis ein Startup Gewinn machen kann. Das wiederum macht die Investments für Business Angels oder Venture Capitalists unattraktiver.
Diversität als Booster für die deutsche Startup-Förderung
Ein Hebel, um Unternehmensgründungen mehr Rückenwind zu verschaffen, ist das Thema Diversität. Dabei geht es vor allem darum, Frauen im Gründungsprozess zu bestärken, Bürokratiehürden für Menschen mit Migrationshintergrund abzubauen und paritätische Teams stärker zu fördern. „Dafür müssen wir auch die Geldströme besser lenken. Etwa, indem wir Diversität zur Investmentbedingung machen“, schlug Fabian von Trotha, Investor und Managing Partner bei DvH Ventures, in Berlin vor.
Seitens der Politik bietet das EXIST-Women Programm der Bundesregierung gründungsinteressierten Frauen die Möglichkeit, sich durch Bildungsangebote und finanzielle Zuschüsse frühzeitig mit dem Thema Unternehmensgründung vertraut zu machen. Das sorgt für das nötige Know-how und erleichtert ihnen den Zugang zu Netzwerken sowie zu Investorinnen und Investoren.
Sichtbarkeit für gesunde Mittelständler fördern
Eng damit verbunden ist auch das Thema Regionalisierung. „Die Ideen sind da. Wir sind Patentweltmeister, wir sind KI-ready. Aber wir müssen die PS auch auf die Straße bekommen und dafür sorgen, dass sich einzelne Institutionen und Gewerke besser austauschen können“, sagte in Berlin Verena Hubertz, stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag. Der Austausch zwischen Forschung, Politik und Wirtschaft müsste also möglichst niedrigschwellig sein und besser funktionieren, damit Startup-Förderung auf lange Sicht gelingt.
Dr. Kati Ernst, Vorstandsmitglied des Bundesverbands Deutsche Startups, ergänzte auf dem „Tagesspiegel“-Forum: „Wenn wir möglichst viel Wachstum und Wohlstand in der Gründerszene wollen, dann können wir uns nicht nur auf potenzielle Einhörner beschränken. Wir brauchen einen diverseren Blick auf die deutsche Startup-Szene und müssen auch Unternehmen fördern, die wirklich gute und gesunde Mittelständler werden können.“ Es reicht also nicht, einfach mehr Gelder für neue Ideen bereitzustellen. Es braucht mehr Sichtbarkeit für kleinere, innovative Startups, damit sie Zugang zu Fördernetzwerken bekommen und die deutsche Gründungslandschaft revolutionieren können.